Denkt man an den japanischen Neo-Noir, so taucht ein Name mit Gewissheit auf – Seijun Suzuki. Kein anderer Japaner hat das Genre so entscheidend geprägt, wie der dieses Jahr verstorbene Regisseur. Mit Tokyo Drifter schuf Suzuki 1966 einen der optisch buntesten und gleichzeitig inhaltlich schwärzesten Noir-Filme der Filmgeschichte, der später Regisseure wie Quentin Tarantino, Wong Kar-Wai und Takeshi Kitano inspirieren sollte.
Auf der Reise, die kein Ende kennt, vergess ich Tokyo, irgendwann
Yakuza-Boss Kurata (Ryuji Kita) löst sein Syndikat auf, um dem kriminellen Leben abzuschwören und als ehrenwerter Geschäftsmann friedlich seinen Lebensabend zu verbringen. Der ihm treu untergebene Tetsuya – Phoenix Tetsu – Hondo (Tetsuya Watari) folgt ihm schweren Herzens, um seinem ausgeprägten Sinn für Ehre zu folgen. Selbst der überzeugende Versuch vom Boss der rivalisierenden Yakuzta-Bande, Otsuka (Hideaki Esumi), welcher Versucht das entstandene Machtvakuum zu schließen, kann ihn nicht überzeugen, seiner Gruppe Beizutreten. Aufgrund der Ablehnung seitens Tetsus und um einen bevorstehenden Immobilienbetrug nicht zu gefährden, sendet Otsuka mehrere seiner Männer aus, um Tetsus Leben ein jähes Ende zu bereiten. Aus Angst um seine Gruppe und das eigene Vermögen, fordert Kurata seinen treuen Gefolgsmann dazu auf, Tokyo zu verlassen und ein Dasein als Drifter zu fristen. Doch ahnt Tetsu nicht, dass Kurata sich aus Angst schon längst mit Otsuka zusammengetan und mit diesem zusammen den berüchtigten Kopfgeldjäger Viper auf ihn angesetzt hat.
Man kann nicht über Tokyo Drifter sprechen, ohne nicht auch die schwierige Beziehung zwischen Suzuki und dem verantwortlichen Studio Nikkatsu zu erwähnen. Der Filmemacher war Teil der B-Riege von Nikkatsus Regisseuren. Das bedeutete, dass ihm weniger Budget zur Verfügung stand, er Drehbücher nicht ablehnen durfte und gerade mal 10 Tage für die Vorproduktion, 25 Tage für den Dreh und 3 Tage für die Nachbereitung Zeit hatte. Mit diesem Vorgehen wollte das Studio sicherstellen, dass die Filmemacher keine Zeit mehr für mögliche Änderungen haben und jene Projekte keine große Aufsicht mehr erfordern. Suzuki nutzte diese geringe Kontrolle durch das Studio jedoch aus und lies seinem Drang zur Kreativität und Experimentierfreudigkeit freien Lauf. Das führte dazu, dass seine Filme mit ihrem bizarren Stil für aufsehen sorgten. Leider nicht nur beim Publikum, sondern auch bei den Studio Bossen. Diese kürzten in der Hoffnung, Suzuki würde seinen visuellen Stil etwas runter fahren, das Budget von Tokyo Drifter. Allerdings hatte das eher einen Gegenteiligen Effekt. Er und Art Director Takeo Kimura erreichten mit Tokyo Drifter neue Höhen in Sachen Surrealismus und Absurditäten. Die Folge war, dass Suzuki seine nächsten beiden Filme nur noch in Schwarz-Weiß drehen durfte. Mit dem zweiten dieser Filme – Branded to Kill – eskalierte der Streit komplett und führte nach 40 gemeinsamen Produktionen zu einem finalen Bruch der beiden Parteien, der einen jahrelangen Rechtsstreit zur Folge haben sollte.
Nicht nur das Drehbuch und die für den Dreh zur Verfügung stehende Zeit wurden vom Studio bestimmt, sondern auch der Hauptdarsteller. Tetsuya Watari sollte jedoch nicht nur die Hauptrolle übernehmen, sondern auch das Titellied singen. Dieses musste dann möglichst oft im Film vorkommen. Auch das wusste Suzuki zu seinem Vorteil zu nutzen und machte aus Tetsu den singenden und pfeifenden Yakuza auf Wanderschaft. Darüber hinaus verstand er sich darin, aus dem japanischen Schauspieler das Beste rauszuholen. Selbst wenn er teilweise der schmächtigste Kerl im Raum war, konnte Tetsuya Watari sich mit seiner bloßen Präsenz Respekt verschaffen. Dank seiner Arbeit an Tokyo Drifter, durfte er später mit weiteren großen japanischen Regisseuren wie Kinji Fukasaku oder Takeshi Kitano arbeiten.
Tokyo Drifter ist das beste Beispiel dafür, dass Suzuki – ähnlich wie Kubrick im Westen – seiner Zeit voraus war. Anstatt es den Regiekollegen der 60er Jahre gleichzutun und eine romantisierte, fast schon nostalgische Sichtweise auf das Leben der Yakuza zu präsentieren, stellte der Regisseur dieses eher bloß. Hier geht es eben nicht nur um Loyalität und Ehre, sondern primär um den Betrug dieser. Damit wehrt sich Sukui nicht nur gegen Konventionen, sondern parodiert diese sogar auf eine sehr zynische Art und Weise. Doch macht er bei der inhaltlichen Ebene nicht halt. Auch visuell parodiert er die Präsentation und insbesondere die Exzesse der Yakuza-Filme der 60er Jahre.
Als Folge dessen und des bereits erwähnten Streits mit Nikkatsu, erschuf Suzuki einen fast schon revolutionären Stil, der bis heute unerreicht bleibt. Immer wieder driftet der Film ins surreale ab, präsentiert sehr rudimentäre Sets, wie man sie eher vom Theater gewohnt ist. Lebhafte und pulsierende Farben stehen im starken Kontrast zum düsteren Inhalt. Viele der stilistischen Elemente wurden von anderen Regisseuren übernommen und nicht zuletzt auch von Tarantino etwa in Pulp Fiction oder Kill Bill weiterverarbeitet. Damit zählt Suzuki neben Kurosawa und Fukasaku zu den einflussreichsten Regisseuren der japanischen Filmgeschichte.