Er galt als Kritikerliebling bei den 66. Internationalen Filmfestspielen Cannes, erhielt bei seiner Erwähnung während der Verleihung der Goldenen Palme Standing Ovations, allerdings keinen Preis. Bedauerlich. Denn Toni Erdmann von der deutschen Regisseurin Maren Ade hätte eine der wichtigsten Auszeichnungen des internationalen Films wirklich verdient.
Die Geschichte des pensionierten Musiklehrers Winfried, einem Alt-68er der seine Umwelt immer wieder mit teils absurden aber stets liebenswerten und durchaus charmanten Scherzen konfrontiert, und seiner Tochter Ines, die als Unternehmensberaterin versucht sich in der kalten Geschäftswelt zu profilieren, ist ein Werk, in dem sich facettenreiche Figurenentwicklung, intelligente Komik sowie eine authentische Filmsprache und Erzählung zu einem überzeugenden Ganzen vermengen.
Die Kernthematik von Toni Erdmann ist dabei die stetige Wiederannäherung zwischen Winfried und Ines, die voller Höhen und Tiefen steht und jede davon ist amüsant, aber auch berührend und manchmal sogar irritierend, etwa wenn Winfried als Toni seine Tochter quasi dazu zwingt vor Fremden einen Whitney Houston zu singen, genau den, den sie als junges Mädchen so gerne mit ihrem Vater tonierte. Diese Szene ist bezeichnend für den gesamten Film, weil Maren Ade es hier (wie im Rest des Films) problemlos gelingt innerhalb kurzer Zeit ein authentisches Gefühlsspektrum zu erzeugen, was über einen hereinbricht: Lachen, Verwunderung, Scham, Mitleid – alles drin.
Toni Erdmann ist eben auch eine Abhandlung über die Absurdität von Beziehungen und auch eine auf Film gebannte Rettungsmission. Mit seinem Alter Ego Toni versucht Winfried auf freundlich penetrante Weise seiner Tochter aufzuzeigen, dass sie mehr wert ist, als nur ihr Job, in dem kalter Narzissmus der taktangebende Ton ist. Winfried, bzw. Toni ist quasi ein lächelnder Rebellenführer. Ein scheinbarer Don Quixote, der mit seinem Ritt gegen die Windmühle seine Mitmenschen amüsiert und sie dadurch mit ihren Schwächen konfrontiert – vor allem natürlich seine eigene Tochter Ines.
Dass diese Vater-Tochter-Konfrontation so glänzend funktioniert liegt hauptsächlich an zwei Dingen: Die beiden Hauptdarsteller Peter Simonischek (Rubinrot, Hierankl) und Sandra Hüller (Finsterworld, Requiem) spielen famos. Sie verleihen ihren Figuren eine autonome Natürlichkeit, fern von artifiziellen Charakteristika. Genau diese entstand wahrscheinlich durch einen einfachen, aber gewiss beim Drehen aufwendigen Kniff: Regisseurin Ade drehte jede Szene in zwei Varianten: Einmal als Drama, einmal als Komödie. Diesen Trick wandte zuletzt M. Night Shyamalan bei The Visit an und dies sind die einzigen Parallelen zwischen den beiden Filmen.
Im Schnitt setzte Ade dann die einzelnen Fragmente so zusammen, dass das Endergebnis stets amüsant ist, der Humor aber niemals zum Selbstzweck verkommt, sondern auch immer etwas über die Figuren, ihre Situation und Gefühle aussagt. Ein guter Witz bietet eben mehr als bloß die Pointe, Toni Erdmann ist dafür ein sehr guter Beweis.
Es sollte wohl aber angemerkt werden, dass sich Maren Ade viel Zeit und Atem lässt, um ihre Geschichte aufzubauen, um diese dann fließen zu lassen. Mit über 160 Minuten ist ihr dritter Kinofilm alles andere als kurzweilig und dazu visuell meist sehr bieder umgesetzt. Großes, publikumswirksames (Komödien-)Kino ist Toni Erdmann also nicht – will er aber auch gar nicht sein.
Denn Toni Erdmann ist kein Film, der versucht es allen recht zu machen. Viel lieber implantiert Regisseurin Ade ihrem Festivalhit etwas, was vielen großen Komödien wie auch Dramen in den letzten Jahren fehlte: Eine Eigenheit. Eine Anwendung von individuellen Merkmalen, die weder engstirnig geformt noch kalt wie ein Banner vor sich hergetragen wird.
Trotz seiner eher etwas biederen Äußerlichkeit weht so ein frischer wie vitalisierender Wind durch die Geschichte, die sich übrigens auch nicht davor scheut seine Figuren in allen Facetten ihres Daseins nackt zu zeigen. Toni Erdmann ist eben nicht bloß eine Komödie, sondern auch ein amüsanter Seelenstriptease, eine charakterliche Abhandlung in der sich einiges entdecken lässt – auch über uns selbst.