Das Internet ist schon lange nicht mehr Neuland, für viele Jugendliche war es das nie. Soziale Netzwerke, das Internet als Informationsplattform, als Machtinstrument, als Mittel zur Kommunikation - die schieren Vorteile der virtuellen Welt sind immens. Schlicht und ergreifend und auch zum letzten Mal für alle, die das nicht wahrhaben wollen: Das Internet ist Teil des normalen Lebens geworden und wird es auch bleiben. Wer sich auch nur kurz mit der medienwissenschaftlichen Theorien und Denkansätzen beschäftigt - insbesondere mit denen, die sich mit der Kommunikation auseinandersetzen - der wird alsbald über Warnungen und gehobene Zeigefinger stolpern. Das Verhalten im Internet hat keine direkten, negativen Auswirkungen auf die Person. Die Anonymität des Netzes entlockt vielen Menschen hässlichste Sätze und Verhaltensweisen. Cyber-Mobbing hat schon mehrfach zu bestialischen Suiziden geführt. Der deutsche Regisseur Simon Verhoeven ("Männerherzen") nimmt sich der dunklen Seite der virtuellen Welt an - der Einsamkeit.
Denn viele, die einen Facebook-Account oder ähnliches führen, wissen: Niemand hat im echten Leben weit über 300 Freunde, manche stoßen beim blauen Riesen dennoch gar auf die Obergrenze von 2000 Freundschaften. Sind das alles Menschen, die man mag, geschweige denn kennt? Unwahrscheinlich und dennoch treten bei derart vielen Personen und Tätigkeiten, die man auf Facebook verrichten kann, immens viele Konfliktpunkte auf. Laura (gespielt vom augenscheinlichen Po-Model Alycia Debnam-Carey, "Fear the Walking Dead") ist so eine Person, die über 800 Freunde hat und anscheinend eine Heilige ist. Immer freundlich, immer positiv gestimmt, bildhübsch und irgendwie nett zu allen. Selbst zu dem Mensch, den niemand mit der Kneifzange anfassen mag. Marina heißt sie, ist immer ungeschminkt (was in dieser Welt des Films gleichbedeutend mit kotzhässlich zu sein scheint), trägt Kapuzenpullover, die ihren Haarausfall verbergen sollen und ist sehr still.
Sie hat über 800 Freunde weniger, als Laura - nämlich genau null. Bis sie Laura eine schickt und die sie annimmt. Was danach passiert ist sicherlich bloß Vorwand, um einen Horrorfilm auf die Beine zu stellen, in dem möglichst oft möglichst weiße Fratzen vor die Linse springen. Wirklich Gespür für Atmosphäre hat hier niemand der Beteiligten, stattdessen kann man die Schockmomente quasi sekundengenau vorbestimmen (auch wenn man zugeben muss, dass es angenehm war, wie selbstzufrieden Verhoeven hier auf einen Jumpscare mittels geöffneter Kühlschranktür verzichtet). Ansonsten ist der Film nur auf den bloßen Schock ausgelegt, die versuchten Momente der Suspense funktionieren selten, was auch mitunter daran liegt, dass man sich auf Elemente verlässt, die gar nicht das gesamte Publikum verstehen kann. Dass ein MacBook eben ein bestimmtes Geräusch beim Hochfahren macht, dürfte manchen verborgen geblieben sein - im Film wird es als lakonischer Witz mit Grusel-Anforderung dargestellt.
Natürlich ist dieses Beispiel relativ unbedeutend, der Film hat weitaus größere Baustellen, jedoch zeigt es ganz gut die Kurzsicht, mit der hier zum Großteil agiert wurde. Während die anfänglichen Visualisierungen der sozialen Netzwerke und Lauras Aktivitäten durchaus gelungen sind, einen wirklichen Mehrwert haben sie nicht. Es wird versucht, Charaktertiefe aufzubauen - für einen Charakter, der von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, einen Charakter, für den sich selbst der Film nicht wirklich interessiert. Wie weitreichend die Dummheit der Geschichte aber ist, wird erst mit der finalen Einstellung deutlich, kurz bevor diese unpassende Abspann-Musik einsetzt. Dann nämlich verfehlt der Film sogar seinen nicht-verfehlbaren Versuch, den erhobenen Zeigefinger auszupacken und kommt zu einer Moral von der Geschicht’, die der gesuchten Botschaft des Subgenres komplett gegen den Strich geht. Pass auf, dass du kein Opfer wirst! Wer mag schon ungeschminkte Menschen?!
Der Titel „Unfriend“ wurde gewählt, damit eine Verwechselung mit dem Film „Unknown User“ ausgeschlossen werden konnte, der im Original „Unfriended“ hieß. Inwiefern der Versuch erfolgreich ist, müsste untersucht werden - schließlich hörte man viel zu häufig den Vergleich zu genanntem Skype-Horrorfilm. Wer hier beide Filme vergleichen möchte, soll sich herzlich eingeladen fühlen, zwanghaft vergleichen sollte man sie aber nicht. Dafür sind die Verfehlungen von „Unfriend“ zu absolut, Vergleiche vereinfachen da gar nichts. Nie überraschend, technisch mit ach und Krach durchschnittlich, dilettantisch gefilmt und geschnitten, musikalisch unpassend und mit Bezug auf Dialoge, Charakterführung und -entwicklung möchte man manchmal nur noch umarmt werden. Der Film wirkt eher wie eine Arbeit, die für den TV-Markt gedacht war - wo sie sicherlich in nicht allzu ferner Zukunft landen wird - neben all den anderen Produktionen über Cyber-Horror und von der Marke Blumhouse-Horror. Günstig, schnell produziert und noch schneller verdaut eben.