Yusuke Kafuku ist gelernter Schauspieler und Theaterregisseur und pflegt eine enge Beziehung zu seiner Frau Oto. Eines Tages verstirbt sie jedoch plötzlich und tags zuvor bemerkt Yusuke zufällig, dass sie einen weiteren Geliebten hatte. Zwei Jahre später beginnt er seinen Job als Regisseur für das mehrsprachige Theaterstück Onkel Wanja, das er in der Vergangenheit bereits gespielt hat und nun sein neues Ensemble auf einem Festival in Hiroshima vorbereiten soll. Aus Versicherungsgründen bestehen die Festivalorganisatoren aber darauf, dass Yusuke von einer Chauffeurin in seinem roten Saab 900 durch die Region Hiroshima befördert werden soll, was er zögerlich bejaht. Darüber hinaus fällt ihm beim Casting auf, dass Otos Geliebter sich ebenfalls für eine Rolle beworben hat. Yusuke weist ihm später die Hauptrolle mit Wanja zu, wodurch er und Otos Geliebter sich näher kennenlernen. Aber auch abseits der Proben beginnt er sich auf den täglichen Fahrten mit der Chauffeurin Misaki zu verstehen, denn während der Fahrten hört Yusuke eine Kassette, die Oto vor ihrem Tod aufgenommen hat und mit der er den Text von Wanja übt. Zugleich dient diese Kassette als Verbindungsstück zwischen ihm und Misaki, wodurch sie in immer tiefer greifende Gespräche geraten und sich beide bald mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sehen.
Die drei Stunden Lauflänge von Drive My Car haben mich förmlich an den Kino-Sitz gefesselt. Das Erzähltempo ist sehr gemächlich, aber mit viel Bedacht von Regisseur Ryusuke Hamaguchi gewählt worden. Es vergehen mehr als 30 Minuten, ehe die opening credits erscheinen, aber bis dahin ist man bereits im Sog der Bilder gefangen. Zusätzlich fordert Drive My Car Konzentration und Aufmerksamkeit vom Zuschauer von der ersten Minute an, wenn Oto in zarter Stimme bei Nacht ihre erotische, fiktionale Geschichte wiedergibt, Yusuke diese fortsetzt und ein erzählerisches Tischtennisspiel zwischen ihnen entsteht. Die von Jazz und Klassik geprägte Musik taucht sehr dosiert auf, während die Dialoge und die Stille die Geräuschkulisse maßgeblich prägen. Die Kamerafahrten sind atemberaubend. Man könnte noch etliche Minuten weiterschauen, wie Yusuke und seine Chauffeurin Misaki mit dem roten Saab auf den Schnellstraßen Hiroshimas bei Tag und Nacht bequem unterwegs sind und miteinander reden. Hamaguchi gewährt dabei den Akteuren sehr viel Raum und Zeit zur Entfaltung der Emotionen mit Einstellungen, die niemals zu lang dauern. Das merkt man auch in den Theaterproben, wenn sich die Schauspieler beim Üben näherkommen oder den Regisseur später auf einen Drink oder ein Abendessen einladen. Sehr ergreifend ist dabei die Geschichte einer koreanischen Gebärdensprecherin, die Yusuke auf ein Abendessen mit ihrem Mann kennenlernt. Auf Yusukes Bedenken hinsichtlich der intensiven Proben entgegnet sie, dass sie als gehörlose Person genauso beurteilt werden möchte wie alle anderen Schauspieler. Zudem bildet sich in der Szene eine angenehme Atmosphäre mit Witzen des Ehepaares, die selbst Yusuke zum allerersten Mal im Film ein Lachen entlocken können.
Weiterhin geschickt ist vor allem die Erzählweise, in der Dialogpassagen aus dem Theaterstück Onkel Wanja von Tschechow mit Yusukes Lebensumständen und Gefühlslage eng miteinander verzahnt sind und nahtlos ineinander übergehen. Hamaguchi zeigt dabei den innerlich tobenden Trauerprozess von Yusuke in Zeitlupe. Man spürt seinen Frust und seinen Drang nach Vergeltung in Richtung von Otos Geliebten, indem er ihn extra tadelt. Die Hauptrolle als Wanja soll für den Geliebten eine Lektion sein, damit er realisiert, was er für einen großen Fehler begangen und wie sehr die Affäre Yusuke geschmerzt hat. Ist seine Aktion verwerflich? Mit Sicherheit und es ist auch die falsche, von Egoismus getriebene Art, die Trauer zu überwinden. Umso schöner ist es zu beobachten, wie sich sein Prozess im Austausch mit Misaki im Laufe der Handlung bessert und das Rauslassen der Vorwürfe, die er an sich selbst wegen des Verlustes richtet, eine emotionale Last von seinen Schultern herabfallen lässt.
Neben den tollen, präzisen Einstellungen und den hypnotisierenden Fahrten glänzt Drive My Car vor allem in den Dialogen, den Gesichtsausdrücken und der Präsenz der Darsteller. Was im Gesicht wortkarg und kalt erscheinen mag, ist in ihrem Inneren sehr dynamisch und aufgewühlt ausgeprägt. Die tragische Vergangenheit von Yusuke und Misaki webt sich mühelos in ihre Gegenwart mit dem Theaterstück Onkel Wanja ein, aber: Wie fahren sie in ihrer Zukunft fort? Ryusuke Hamaguchi interpretiert dafür den Filmtitel clever und präsentiert eine einfache, wenn auch natürlich für die Trauernden schwer zu verdauende Antwort: Wir müssen unsere Leben weiterleben – und die Vergangenheit von uns gehen lassen.