Letztes Jahr war Moviebreak mit zwei Autoren auf dem HARD:LINE Festival in Regensburg vertreten und schwer angetan von dem dargebotenen Programm wie dem gesamten Drumherum. Auch dieses Jahr waren wir wieder geladen, konnten aus zeitlichen Gründen leider nicht direkt vor Ort sein. Dank der freundlichen Unterstützung der Verantwortlichen wurde uns dennoch ein Großteil des diesjährigen Programms zur Verfügung gestellt, was wir in den kommenden Tagen und Wochen für euch gerne unter die Lupe nehmen wollen.
Eins vorneweg: Zartbesaitete Gemüter sollten um den spanischen Psychothriller Bajo la Rosa (internationaler, wortwörtlich übersetzter Alternativtitel: Under the Rose) besser einen großen Bogen machen. Nicht unbedingt begründet in expliziter, plastischer Gewaltdarstellung, dahingehend erweist sich der zweite Spielfilm von Josué Ramos (Involucrado) fast schon zurückhaltend in Anbetracht des radikalen Inhaltes. Viel mehr strapazieren die knapp 100 Minuten zermürbenden Kammerspiels das Nervenkostüm jener Zuschauer, für die die größten Grausamkeiten nicht zwingend auf dem Bildschirm ausgetobt werden müssen. Was das innere Auge und das Emotionszentrum hier erleiden muss, ist oftmals brutaler und erschütternder als die meisten, ausufernden Gore-Orgien.
Zahnarzt Oliver, seine ebenfalls beruflich erfolgreiche Ehefrau Julia und der fast erwachsene Sohn Alex werden urplötzlich aus ihrem leicht spießigen, aber wohl situierten Alltag gerissen, als das 10jährige Nesthäkchen Sara spurlos verschwindet. Die Polizei vermutet wegen eines vorangegangenen Streits um schlechte Schulnoten ein einfaches Ausbüchsen, aber der schlimme Verdacht der Eltern bestätigt sich schnell: Jemand hat das Mädchen entführt. Und dieser Jemand verfolgt offenbar andere Ziele als sonst bei Kindesentführungen üblich. Er bittet um ein Treffen zu Mitternacht im Elternhaus, um ein klärendes Gespräch zu führen. Notgedrungen willigt die Familie ein, was den Auftakt zu einer Nacht voller Leid, Demütigungen und Offenbarungen bildet. An deren Ende muss ein grausames Geheimnis gelüftet werden, wenn Sara den nächsten Morgen noch erleben soll.
Mit hoher Intensität vorgetragener Home-Invasion-Thriller ohne vorgehaltene Waffen und lautes Getöse, das hat der namenlose Antagonist (spitze: Ramiro Blas, Down a Dark Hall) überhaupt nicht nötig. Sein Druckmittel ist das Leben eines kleinen Mädchens, was von einem Telefonanruf zu einer bestimmen Uhrzeit abhängig ist. Und nur dann mit positivem Ausgang in Aussicht gestellt wird, wenn einer der drei Angehörigen seine schlimmste Leiche im Keller an die Oberfläche holt. Wieso, weshalb, warum, das bleibt bis zum Schluss spekulativ. Aber schon früh stellt sich das Gefühl ein, dass bei Bajo la Rosa weniges zwingend so ist, wie es zunächst vermittelt wird. Das der Kidnapper und offenkundig extrem sadistisch veranlagte „Gast“ sein perfides Wahrheit-oder-(in dem Fall eher UND-)Pflicht-Spiel nicht ohne triftigen Grund in der extremen Form vorantreibt; vermutlich nicht nur ein perverses Bedürfnis zu stillen versucht. Gleichzeitig damit mehr Geständnisse entlockt als ursprünglich verlangt.
Wie bei einem Pokerspiel wird nach dem Austesten der Wassertiefe und der Feststellung, dass gar nichts anbieten unmöglich zum Erfolg führen kann versucht, durch das Beichten des kleinsten, eventuell anvisierten Übels den Kopf mit möglichst geringem Schamfaktor aus der Schlinge zu ziehen. Aber selbst für die gar nicht angepeilten Gewissensreinigungen hat der mysteriöse, mit donnergrollender Stimme trotz seiner Ruhe enorm bedrohlich auftretende Spielleiter eine spontane Bestrafung in petto, die zwingend zu erfüllen ist. Stück für Stück bröckelt das Bild der Oberschichten-Bilderbuchfamilie mehr; wird der Zusammenhalt und das gegenseitig Vertrauen auf die ganz harte Probe gestellt; kommen Sünden ans Licht, die selbst unter diesen extremen Bedingungen nicht sofort auf den Tisch geknallt werden. Wenn es darum geht, das Leben der eigenen Tochter/Schwester eventuell nur dadurch retten zu können. Zu schwer wird die Last sein, die so was verursachen kann.
Josué Ramos ist sich der beklemmenden, verstörenden und grausamen Qualität seiner Geschichte sehr wohl bewusst und realistisch genug, um sich nicht unnötig mit künstlichen Verstärkern aufplustern zu müssen. Musik kommt beispielsweise äußerst selten und wenn nur in sehr ausgewählten Momenten zum Einsatz, dafür klebt die Kamera konstant sehr dicht, realitätsnah an den Darstellern, engt das Ganze noch mehr ein als es ohnehin schon bis an die Schmerzgrenze geschieht. Sonst verlässt er sich auf die entwürdigende, hemmungslose und hundsgemeine Schonungslosigkeit, die der geschickt aufgebaute wie ausgelebte Plot von Minute zu Minute nur noch mehr intensiviert. Das hat sogar was von den leidensfähigen, aber nicht ausbeuterisch vorgetragenen Martyrien eines Michael Haneke (Caché), trotzdem immer klar im Genre beheimatet. Hervorragend gespielt und mit schockierenden Qualitäten beim scheibchenweisen Zerlegen einer vorgegaukelten Idylle bleibt Bajo la Rosa auch nach dem Abspann noch lange haften und kann trotz einer kritisch betrachtet leicht konstruiert wirkenden Geschichte vollständig überzeugen, da das Handeln der Figuren nicht nur heftig, sondern unter diesen Bedingungen jederzeit glaubhaft bleibt. Auch wenn das hoffentlich so niemals geschehen wird. Unmöglich scheint es aber nicht, zumindest nicht emotional.