In Blitz lodert Nimmerland in Flammen, jedoch nicht als verzaubertes Fantasiereich, sondern als das London zu Beginn der deutschen Bombardierung des Zweiten Weltkrieges. Regisseur und Auteur Steve McQueen, der mit seinem Werk Hunger (2008) den Grundstein für seine Filmkarriere legte, erzählt hier die Geschichte des jungen George (Elliott Heffernan). Der soll aus der gefährdeten Stadt aufs Land evakuiert werden, entscheidet sich jedoch im letzten Moment dagegen, springt aus dem Zug und kehrt zurück nach London – eine Entscheidung, die ihn auf eine odysseehafte Reise führt, zurück in die von Entbehrungen gezeichneten Arme seiner alleinerziehenden Mutter Rita (Saoirse Ronan, Lady Bird).
McQueens Prämisse erscheint auf den ersten Blick simpel, doch entfaltet sie eine tiefere Resonanz, die mehr an die düstere Welt von Charles Dickens als an J.M. Barrie erinnert. Wie in Oliver Twist kämpft ein unschuldiges Kind darum, im Elend einer kriegserschütterten Zeit zu überleben, ohne seine Unschuld vollständig zu verlieren. Hier verbindet McQueen nicht nur Abenteuer und Überlebenskampf, sondern versucht, die moralischen und psychologischen Belastungen des Krieges in das Bewusstsein zu rücken – ein ehrenwertes Vorhaben, das jedoch zunehmend an der mangelhaften Dichte des Narrativs scheitert.
George’s Reise durch die Provinz sowie Trümmer Londons wird zu einem Mosaik aus Schicksalen, Begegnungen und moralischen Fragen. Der Film schleppt im Laufe seiner zwei Stunden ein nicht zu verachtendes Gewicht an symbolischen Momenten mit sich, ohne dass ein klarer emotionaler Höhepunkt erreicht wird. Zwar gelingen McQueen eindrucksvolle Kontraste zwischen der kindlichen Unschuld und der Kriegsbrutalität, doch bleibt vieles an der Oberfläche, ohne eine durchdringende, existenzielle Tiefe zu erreichen. Anders gesagt: Dann, wenn es wirklich wehtut, schaut der Film meistens weg.
Ein zentrales Problem von Blitz liegt in den oftmals bemüht eingebauten Reden und Szenen, etwa zu den Themen Rassismus und Klassenungleichheit. Statt diese Themen organisch zu integrieren, erscheinen sie wie Fremdkörper, die in die Erzählung hineingehämmert wurden. So ergeht es auch einigen Szenen mit Georges Mutter, deren Arbeitskampf und die verlorene Beziehung zu Georges Vater zwar Lücken in der Hintergrundgeschichte schließen, jedoch den erzählerischen Fluss hemmen und die Odyssee ihres Sohnes unnötig zerfasern.
Es ist ein ambivalenter Film, der viele starke Ansätze bietet, aber auch mehrfach den Faden verliert. Besonders in der Begegnung Georges mit einer Gruppe Kleinkrimineller und ihrem labilen Anführer Albert (Stephen Graham, Yes, Chef!) steckt viel Gutes und Kraftvolles drin. Albert könnte gleichermaßen als Kapitän Hook wie als ein moderner Fagin interpretiert werden, doch er und seine Gefährten erhalten kaum Raum zur Entfaltung. Am Ende verpufft auch diese Episode im Nichts vertaner Chancen. Alles was übrig bleibt ist McQueens humanistischer Ansatz. Das ehrt ihn sehr.
Doch die Moral von Blitz wird letztlich zu stark forciert, wodurch die tiefere Wirkung einzelner Momente und die symbolische Kraft der Figuren oft erstickt werden. So bleibt der Film hinter seinen Möglichkeiten zurück – eine ambitionierte Parabel über Krieg und Kindheit, die ihre eigene Simplizität und damit verbundene emotionale Direktheit zu häufig aus den Augen verliert. Gewiss hat niemand von Blitz so einen rabiaten (wenn auch umstrittenen) Paukenschlag wie The Painted Bird (2019) erwartet, aber dass der Titel dann doch so kraftlos ist erweist sich dennoch als eine große Enttäuschung des Kinojahres 2024. Leider.