Inhalt
Maren Yearly ist eine junge Frau, die dasselbe will wie wir alle. Sie möchte jemand sein, den man bewundert und respektiert. Sie möchte geliebt werden. Aber ihre geheimen, beschämenden Bedürfnisse haben sie ins Exil getrieben. Sie hasst sich selbst für das Schlechte, das sie tut, für das, was es ihrer Familie und ihrem Identitätsgefühl angetan hat; dafür, wie es ihren Platz in der Welt bestimmt und wie die Menschen sie sehen - wie sie sie beurteilen. Sie hat es sich nicht ausgesucht, so zu sein.
Kritik
„The world of love wants no monsters in it”
Diese tragische Kernweisheit aus Luca Guadagninos (I am Love) Bones & All, zeichnet das schmerzliche Dilemma seiner, gleichermaßen verletzenden wie verletzten, Protagonisten aus. Trotz der schwer abstreitbaren Wahrheit hinter diesem poetischen Satz scheint das erste amerikanische Werk des Italieners es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, sie zu widerlegen. Wie in allen Filmen von Guadagnino beschäftigt sich sein, von Blut und Eingeweiden gepflasterter, Road-Trip durch den mittleren Westen der USA mit der Frage, ob es Platz für die Außenseiter in dieser Welt gibt. Eine solche Außenseiterin ist Maren Yearly (Taylor Russell, Waves), mit der etwas nicht stimmt. Als die Teenagerin von ihrer Mitschülerin zu eine Pyjama-Party eingeladen wird, auf welcher Maren schließlich genüsslich einem Mädchen den Finger abbeißt, sind alle Fragen nach ihrem Außenseitertum geklärt: Seitdem sie als Kind ihre Babysitterin verspeiste ist Maren befallen von einem unstillbaren Drang nach menschlichem Fleisch. Sie ist ein „Eater,“ ein Begriff für von kannibalistischen Trieben befallene Menschen, für die nur abseits der Gesellschaft ein Platz existiert, mit einer der Gründe, warum Maren in dem Glauben aufwuchs, sie wäre die einzige mit derartigen Drängen. Als ihr Vater (André Holland, Moonlight) sie schließlich aufgibt und allein zurücklässt, bricht Maren auf, ihre verschollene Mutter (Chloë Sevigny, Boys Don’t Cry) zu finden, die einzige Familie, die sie vielleicht noch hat.
Adaptiert von Camille DeAngelis herzzerreißendem YA-Roman deckt Guadagninos Film, versehen eben mit jenem kannibalistischem Twist, viele Motive klassischer Probleme junger Erwachsener ab, primär die Suche nach Identität, das beginnende Hinterfragen erwachsener Autoritäten und natürlich die erblühende erste Liebe. Denn es dauert viele feindlich gesinnte Begegnungen bis Maren irgendwann auf den etwa gleichaltrigen und in mehrfacher Hinsicht gleichgesinnten Lee (Timothée Chalamet, Dune) trifft, eine Begegnung, die ihr beider Leben für immer verändern wird. Unter Guadagninos gewohnt sinnlichem Auge wirkt die Prämisse zweier fleisch- und liebeshungriger junger Erwachsenen wie eine Mischung aus queerem Coming-of-Age wie Call Me By Your Name und der monströsen Blutfontänen-Orgie eines Suspiria. Bei genauerer Betrachtung aber bleibt Bones & All zwar keineswegs blutleer aber überraschend frei an Transgressionen. Dies wird besonders im Vergleich zu DeAngelis Vorlage deutlich, in welcher die Fleischeslust Marens explizit mit dem Erblühen ihrer Sexualität verknüpft wird, ein Element, welches Guadagnino auslässt. Zwar kann man hier, wie eigentlich bei allen filmischen Literaturadaptionen, einen freien Umgang mit dem Material nur begrüßen, nur scheint Guadagnino der zugrundeliegenden Kernmetapher durch wenig ersetzten zu können. Der Kannibalismus in seiner Adaption kann als Rorschach-Test für Themen wie Ausgrenzung wie auch die Brutalität und Unausweichlichkeit der ersten Liebe gelesen werden, sonderlich viel damit anzufangen weiß sein Film leider nicht.
Das ist für Guadagnino zwar etwas schade, kann doch kaum ein kontemporärer Regisseur so intensiv viszerales Begehren inszenieren, aber in seinen romantischen Implikationen liegt vielleicht die wahre Grenzüberschreitung seines Filmes. Guadagnino beschreibt seinen Film selbst nicht als transgressiv, da wir, seiner Meinung nach, inzwischen so tief in einer alles wegrationalisierenden Postmoderne feststecken, das nur noch eine klassische Herangehensweise die eigentliche Transgression darstellt. Dies kann man parallel verneinen und bejahen: Verneinen, da der Film zum einen stark auf den, sich bereits in DeAngelis Vorlage sich aufgesetzt funktional anfühlenden, Bösewicht in Gestalt des mysteriösen Sully (Mark Rylance, Bridge of Spies) zurückgreift und damit einen explizit negativen Gegensatz zu den, zwar mörderischen, aber doch gutgesinnten Protagonisten kreiert. Bejahen kann man die Formulierung von Guadagnino aber in anderen Aspekten, einen davon bildet der Titel: Bones & All, das bedeutet, folgt man der Schilderung eines ebenfalls kannibalistischen Landstreichers (Michael Stuhlbarg, A Serious Man), jemanden bis zu den Knochen komplett zu verschlingen. In dieser totalen Verzehrung des Anderen kann eigentlich nur ein großer Liebesbeweis stecken. Dieser Idee folgend ist Bones & All ein bisschen wie eine weitere Arthouse-Antwort auf Stephanie Meyers Vampirromanze Twilight, und damit genauso naiv, einfältig und dennoch wunderschön wie die erste Liebe selbst.
Fazit
Luca Guadagninos viszeraler Mix aus Road-Trip, Menschenfresser-Horror und zarter Teenieromanze erzählt mit seiner Prämisse wenig Unbekanntes, schenkt allen verliebten Außenseitern dieser Welt dennoch ein ehrliches Herz, bei dem man nicht anders kann, als seine Zähne in es hineinzuwetzen.
Autor: Jakob Jurisch