Inhalt
Dawid ist 14 und steckt voller Kraft, voller Talent – und voller Zorn. Sein Traum ist es, ein großer Judo-Champion zu werden. Doch das Erbe seines inhaftierten Vaters liegt wie ein Schatten über ihm. Immer wieder verliert er die Kontrolle. Sein Weg zum internationalen Durchbruch ist vor allem ein Kampf gegen sich selbst. Und gegen die kriminellen Machenschaften seines kleinen Bruders Michał.
Kritik
Gesehen beim 35. FilmFestival Cottbus
Es gibt einige Filme, die eine vielversprechende Grundidee haben, doch in ihrer Umsetzung leider nicht konsequent genug sind. Zu solchen Filmen gehört Brat, denn trotz einer hervorragenden Prämisse tritt der Film zu lange auf der Stelle und verkommt schließlich zu einer tristen Milieustudie, die am Ende jedoch mit einem starken Finale ausgestattet wird. Die Geschichte eines Jungen mit einem inhaftierten Vater und einem kleptomanischen Bruder klingt an sich erstmal recht spannend. Vor allem, weil dieser Junge mehr aus seinem Leben machen möchte und ein großer Judo-Champion werden will. Doch wie das Leben oder eher der Drehbuchautor so spielt, wird die Erreichung seines Ziels kein Spaziergang, denn Dawid (Filip Wilkomirski) scheint derjenige zu sein, der seine Familie zusammenhält. Er ist auch derjenige, der seinem Vater ständig aus dem gegenüberliegenden Gebäude etwas zuruft. Diese Inszenierung des Kontakts mit einem Inhaftierten scheint ein wenig fragwürdig zu sein, weil Szenen gezeigt werden, bei denen es so aussieht, als wäre Dawid in einem Treppenhaus eines anderen Gebäudes, wobei er hinter einem vergitterten Fenster steht und seinen Vater offenbar über den Hof anschreit.
Es mag sein, dass die Gefängnisse in Polen anders sind, als in Deutschland, trotzdem wirkt diese Art der Kommunikation eher wie eine Sparmaßnahme während der Dreharbeiten, auf die man notgedrungen zurückgegriffen hat, um den Aufenthalt des Vaters im Knast darzustellen. Das ist zumindest billiger als die Gefängnisszenen zu drehen. Das ist leider noch nicht alles, was in gewisser Weise unstimmig erscheint, weil der Film sich auch noch sehr harter Schnitte bedient, wodurch mehrere Szenen bei den Zuschauern ein starkes Stirnrunzeln auslösen. Man fragt sich, wo finden die Szenen eigentlich statt? Direkt nach einer Krankenhausszene, bei der die Mutter (Agnieszka Grochowska, Kind 44) in ihrer Krankenschwesternkleidung gezeigt wird, sieht man sie plötzlich in einem Raum, der eher wie eine Gefängniszelle aussieht. Dort spricht sie mit irgendwelchen Männern über ihren Ehemann. Das Ganze wirkt recht seltsam, weil man sich fragt, wo sie denn überhaupt gerade ist. Wenn sie noch im Krankenhaus ist, wieso sieht der Raum dann wie eine Gefängniszelle aus? Und wenn sie im Knast ist, warum trägt sie dann noch ihre Arbeitskleidung? Unabhängig davon, was der Regisseur Maciej Sobieszczanski (Performer) uns damit sagen wollte, der Schnitt ist nicht immer geglückt und das Setting ist auch nicht immer ideal.
Allerdings lässt sich das Schauspiel durchaus sehen, sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Kinderdarstellern. Auch die Atmosphäre ist gelungen und die zerrütteten familiären Verhältnisse und der innere Konflikt, mit dem sich Dawid auseinandersetzt, werden nachvollziehbar und schlüssig dargestellt. Die Gewaltthematik und der Traum vom sozialen Aufstieg und die Verantwortung dem Bruder (Tytus Szymczuk) und der Mutter gegenüber stehen stets im Mittelpunkt, doch die Figuren drehen sich mit ihren Problemen oft im Kreis, ohne dass der Film irgendwelche Höhepunkte aufzeigt. Erst am Ende wird es noch so richtig dramatisch. Bis dahin gibt es jede Menge Streit und einige Judokampfszenen, die teilweise ziemlich gut inszeniert sind. Teilweise entscheidet man sich für eine Vogelperspektive bei diesen Szenen, was dazu führt, dass man eine gewisse Distanz zu den Figuren aufbaut. Während des Judoturniers zeigt man manchmal auch nur die freudige Reaktion des Trainers (Julian Swiezewski, Filip). Sicherlich kann man die Szenen so präsentieren, aber gerade bei den Kampfsportfreunden springt der Funke nicht unbedingt über, wenn man die Kampfsportszenen so stiefmütterlich behandelt. Natürlich liegt der Fokus mehr auf der zerrütteten Familie und dem Verhältnis der Brüder zueinander, trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass man aus diesem Film mit dem höheren Budget viel mehr hätte machen können. Und wenn man auf den Höhepunkt wartet, dann muss man sich leider fast bis zum Ende gedulden. Trotzdem ist Brat insgesamt noch eine ziemlich solide Leistung.
Fazit
Eine trostlose Milieustudie, die sich mit der Beziehung zweier Brüder befasst. Das Judo wird zum Hoffnungsschimmer im tristen Alltag des älteren Bruders, während der jüngere Brüder sich voll und ganz auf Diebstähle konzentriert. „Brat“ überzeugt hauptsächlich mit seiner Atmosphäre, seiner Prämisse und seiner schauspielerischen Leistung. Der Schnitt und die Spannung lassen leider zu wünschen übrig.
Autor: Yuliya Mieland