Seit der Uraufführung in Zürich 2006, avancierte das französische Stück Der Gott des Gemetzels (OT Le dieu du carnage) von Yasmina Reza zu einem der weltweit meistgespielten zeitgenössischen Theaterstücke. Aufgrund dessen, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Regisseur an diesen fantastischen Stoff heranwagt und ihn für die große Leinwand umsetzt. Das dies hierbei kein geringerer als Roman Polanski vollzog, ließ dann schnell die Erwartungen in die Höhe schnellen. Als dann auch noch der Cast veröffentlicht wurde, unter anderem Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz und John C. Reilly, gab es kaum ein Zweifel daran, dass den Zuschauer grandioses wie intelligentes Kino erwarten würde, welches gemessen an den schauspielerischen Leistungen ein perfektes Kammerspiel sein wird. Und tatsächlich, Polanski gelingt es, in Zusammenarbeit mit Yasmina Reza selbst, ein humorvolles aber gleichsam gesellschaftskritisches und kraftvolles Werk auf die Leinwand zu bringen, das nicht nur ein fabelhaftes Dialogfeuerwerk offenbart, sondern auch ein Kinohighlight darstellt, welches man dieses Jahr unbedingt nicht verpassen sollte.
Die Grundidee des Stückes ist dabei denkbar einfach: Ein Raum, vier erwachsene zivilisierte wie bürgerliche Hauptfiguren, ein kleiner Streitpunkt sowie 80 Minuten Zeit. Was sich im Grunde schlicht anhört, entwickelt sich nach dem kleinen Einstand zu Beginn, der den Kampf der beiden Kinder zeigt (welches so im Theaterstück nur angedeutet wird), zu einem wahren emotionalen Massaker. Schnell wird ein Dialogfeuerwerk losgetreten, das vor satirischen, schwarzhumorigen wie bissigen Höhepunkten nur so strotzt. Zu keiner Zeit gibt es längen, noch etwas Unspektakuläres. Im Gegenteil, die Inszenierung ist so dicht, dass der Zuschauer durchaus Der Gott des Gemetzels zwei- oder gar dreimal sehen könnte, ohne jemals alle Spitzfindigkeiten, Gesten oder Grimassen zu entdecken, die Polanski in seiner gekonnten Präsentation unter bringt. Interessant ist dabei vor allem, dass der eigentliche Streitfaktor, der Kampf der beiden Kinder, mehr und mehr in den Hintergrund gerät. Fortan zählen eher Dinge wie ein ausgesetzter Hamster, die Verstrickungen der Pharmaindustrie oder gar ein paar Tulpen, die noch einem ganz besonderen Part bekommen. Ausschlaggebend für die zahlreichen Wortgefechte, sind hierbei die unterschiedlichen Persönlichkeiten die aufeinander stoßen und sich nach und nach entblößen. So zum Beispiel die Weltverbesserin, die noch an Gut oder Böse glaubt oder gar der zynische Anwalt, der zu jeder Zeit nur für seinen Job lebt. Sind die Masken dann aber gefallen, gibt es unschöne Wahrheiten, die die Fronten aufbrechen, sie wechseln lassen, bis schließlich sogar der Alkohol nichts mehr retten kann. Und wenn dann schließlich die betuchten Erwachsenen sich selbst wie Kinder verhalten, dann hat der Gott des Gemetzels vollends ohne Gnade zugeschlagen.
Damit so ein beengtes Kammerspiel auch funktionieren kann, braucht es in der Tat eine Schauspielerriege, die sich durchgehend über so eine lange Zeit profilieren kann, wandelbar ist und einfach das äußerste aus ihren Rollen herausholt. Gerade hier beweist Polanski das nötige Gespür für sein Werk, denn die einzelnen Charaktere sind perfekt besetzt. Doch gerade Christoph Waltz kann, als arroganter, halb interessierter wie gelangweilter Anwalt Alan, noch einmal zeigen, dass er demnächst einen weiteren Oscar mehr als verdient hat. Seine Performance ist schlichtweg phänomenal. Dies liegt zum Teil aber auch daran, dass Polanski ihm zu Beginn einer Menge Aufmerksamkeit widmet. In der ersten halben Stunde, gehört Waltz die Bühne fast vollkommen allein. Stets klingelt sein Telefon, stets kann er durch viele kleine Gesten und Mimiken überzeugen und so das Publikum zum Lachen bringen. Seine Figur ist dabei an einer Aussprache mit dem anderen Ehepaar regelrecht uninteressiert und kümmert sich so lieber um seinen Pharmazie-Fall, bei dem er versucht einen wichtigen Kunden zu halten. Dies mag anfangs ein wenig viel Nebenhandlung sein, doch gerade das immer wieder kehrende Klingeln des Telefons, sorgt regelrecht für einen gelungenen Running-Gag.
Regisseur Roman Polanski verlässt sich indes nicht nur alleine auf seinen vermeintlichen Star, sondern räumt nach einer gewissen Spielzeit auch allen anderen Figuren ihren Raum ein. Hier kann besonders Jodie Foster als stringente Weltverbesserin Penelope überzeugen. Sie scheint die einzige zu sein, die sich gegen den Ton von Alan auflehnt und ihre Werte verteidigen möchte. Sie mimt die absolute Powerfrau, die nichts aus der Fassung bringen kann. Doch während um sie herum allmählich das Chaos ausbricht, fängt auch sie an, ihre Fassade fallen zu lassen. Von wütend, über aufbrausend, nachgebend, bis hin zum kompletten emotionalen Overflow, kann sie hierbei ihre ganze schauspieltechnische Bandbreite offenbaren und sich so in den Mittelpunkt spielen. Doch auch Kate Winslet, die anfangs die treue Ehefrau von Alan spielt, darf sich regelrecht in Rage spielen. Spätestens wenn der Alkohol fließt, gibt es für sie kein Halten mehr. Kraftvoll wie eh und je, gibt sie so die verletzliche, unterdrückte, aber angriffslustige Frau, die endlich mal gegen ihren arbeitswütigen Mann kämpfen möchte.
Die vierte Person im Bunde, ist schließlich John C. Reilly, der gegenüber so viel Oscar-Power (immerhin vier an der Zahl) ein wenig fehlbesetzt wirken mag. Doch weitgefehlt. Denn Reilly kann als, fast schon normaler, Michael, gelungen im Hintergrund agieren, bis auch er seine Zeit bekommt. Und gerade hier, kann er zeigen, dass er sich gegenüber seinen Schauspielkollegen keinesfalls verstecken muss. Seien es die kurzen Telefonate mit seiner kranken Mutter, die das gleiche Medikament nimmt bei dem Alan gerade um seinen Fall kämpft, oder die vielen spitzfindigen Kommentare gegen seine Frau, zu jeder Zeit wirkt Reilly vollkommen souverän. Und spätestens wenn sich Alan und er genüsslich bei Whiskey sowie Zigarre verbünden, kann er sich von seiner besten Seite präsentieren. Während dann schlussendlich das komplette Chaos in der Wohnung ausbricht und überall geschrien, geweint, geflucht und gehasst wird, ist es jedoch wieder Waltz, der fast schon ungewollt mit seiner ruhigen, gar schon finsteren Art, die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Immerhin ist er es auch, in der Rolle des Alan, der einzig an den Gott des Gemetzels glaubt und so seine Philosophie mit dem Treiben der Figuren regelrecht bestätigt bekommt.