Inhalt
Psychologe Dr. Herbert Lyutak arbeitet als Berater der Polizei bei einer Mordserie an jungen Frauen. Dabei ist er selbst ein gefährlicher Psychopath. Erst spät fällt der Verdacht auf ihn, doch einige der Morde kann er unmöglich begangen haben…
Kritik
„Ich bin’s, der Kartoffel.“
Bitte, was? Ernsthaft, zu dem Zeitpunkt ist das schon total schnuppe, da wundert man sich schon über nichts mehr und ist schon komplett im Genussmodus angekommen. „Das Grauen kommt nachts“ (der Titel ist unpassend wie nur sonst was) a.k.a. „Delirium“ (in Bezug auf das Dargebotene nicht ganz abwegig) bzw. „Delirio Caldo“ ist auf seine konfuse Art fast schon eine absolute Perle des Giallo, weil er so konsequent neben der Spur ist. Und gar nicht mehr auszumachen ist, wo der Unsinn seinen Ursprung hat oder ob er nur merkwürdig für den deutschen Markt verhökert wurde. Das aktuelle Resultat ist auf jeden Fall ein Klopfer, wie es ihn nur selten zu bestaunen gibt. Darauf ein Six-Pack und viel Spaß.
„Eigenartig: Es scheint nach einer Art zu sein, einer Art, die die Natur oder eine absurde Krankheit in das Gehirn menschlicher Wesen gesteckt hat“
Das da oben kommt dem Folgenden recht nahe. Genre-untypisch wird das Whodunnit-Prinzip am Anfang sofort ausgehebelt, unmaskiert und in voller Pracht dürfen wir Dr. Herbert Lyutak (Mickey Hargitay, wer hätte gedacht das er noch mehr durchdrehen kann als in der Rolle des hüpfenden Folterknechts in „Der scharlachrote Henker“) beim schön deutlich abgefilmten Entblößen und Abmurksen einer hübschen Dirne beiwohnen. Die Täterfrage wäre somit überraschend früh geklärt, denkste. Im weiteren Verlauf ist „Ich bin Dr. Herbert Lyutak“ (so stellte sich die Figur selbst in den unpassendsten Situationen wiederholt vor, hat schon etwas von Groot aus „Guardians of the Galaxy“) - der als psychologischer Berater im Stil von Hannibal Lecter bei seinen eigenen Verbrechen mit Rat und Tat zur Seite steht – erstaunlich oft mit einem wasserdichten Alibi ausgestattet, während wieder ein kurz-berocktes, BH-loses Mädel dahingerafft und mit blanker Brust platziert wird. Was geht denn hier vor, das ist ja spannend. Ehrlich gesagt auch nur solala, über die Spannung definiert sich „Das Grauen kommt nachts“ (nochmal: Wieso denn dieser Titel???) eindeutig nicht.
„Ich hörte die Sirenen und spürte einen Schlag auf die Nase, weil sie glaubten, ich wäre auf der Flucht. Dabei habe ich mich nur nach dem Schiss erhoben. Der Beweis liegt auf der Wiese, wenn ihr ihn nicht zermatscht habt.“
Eine nicht näher zu erklärende Mischung aus Übermotivation, gleichzeitig möglichem Desinteresse und einer Verkettung waghalsiger (und bestimmt ganz selten freiwilliger) Situationskomik erschafft ein unberechenbares Monster von Film. Bahnhofskino deluxe, bei dem garantiert kein Auge trocken bleibt, wenn man sich nach der ersten Verwunderung diese nicht wundgerieben hat. Es gibt eigentlich keine einzige Szene, die nicht für sich genommen total merkwürdig ist. Sei es aufgrund der – schon überdeutlich kenntlich gemachten – skurrilen Dialoge (wie gesagt, die Synchro ist nicht unschuldig, aber unabhängig davon kann das auch im Original kaum sinniger sein), dem holperigen Schnitt, den irrsinnigen Darstellern (vor Hargitay hätte selbst Klaus Kinski Reißaus genommen, spätestens wenn er sein Spiegelbild mit „Hyäne…Hyäne…HYÄÄÄNE“ anschreit) und die Krönung: Immer wieder eingestreute Tag-und-Nacht-Träume von wilden Folter- und Nackedei-Orgien, die das stilistische, devote Highlight des Films bieten (muss man gesehen haben, allein Hargitay mit Extrem-Halsband). Die Vorgabe Sex-und-Gewalt erfüllt „Das Grauen kommt nachts“ besonders bei Ersterem. Koitus gibt es nicht, dafür reichlich Möpse, Ärsche und 70er-Schambereichhecke, früher war man damit schon restlos bedient.
„Die Leiche wartet nur, bis jemand das Fenster aufmacht um abzustürzen!“
Wer auf nur annährend logisches, nachvollziehbares Handeln wert legt, kann gleich nach Hause fahren, hat aber schon nach den ersten Minuten den letzten Bus verpasst. Die ermittelnden Plattfüße sind dümmer als die Polizei erlaubt, die letztlich Enthüllung des Täters ist nur purer Zufall aufgrund einer bekloppten Kettenreaktion, aber wer hätte inzwischen mehr erwartet? Es ist einfach geil, wie offensiv und selbstbewusst der Film seine Mängel ignoriert und gerade durch sie eine Form von Qualität gewinnt. Es ist letztlich völlig irrelevant, wer hier warum wie handelt und was er nicht für einen Quatsch von sich gibt, die Wirkung ist ausschlaggebend. Am Ende feiert man das alles. Dieser Film ist so sehr Giallo, das er fast wie die eigene, unfreiwillige Parodie wirkt. Die Grundgeschichte ist dabei nicht wesentlich besser oder schlechter als bei Argento („Die neunschwänzige Katze“), Bava („Im Blutrausch des Satans“), Martino („Der Schwanz des Skorpions“) und Co, die Art und Weise aber verrückt-einzigartig.
-„Gleich stirbst du!“
-„Was?“
-„Nein…Ich spreche mit einer Fliege, die noch lebt.“
Und als wenn das alles nicht genug wäre: Es gibt noch eine „Sexfassung“ (dabei gibt sich die Originalversion keinesfalls züchtig) und – der Hammer schlechthin – eine „Vietnamfassung“. Da wird kack-frech zu Beginn Archivmaterial von irgendwelchen Gurken vorweggeschnitten, nicht zu übersehenden, anderen Menschen die Synchronstimmen geliehen und mit leichten Nachdrehs aufgefüllt, um „Ich bin Dr. Herbert Lyutak“ ein überflüssiges Zusatzmotiv für seinen Dachschaden zu geben. Das gab es auch nur in den 70ern. Und macht diese Wundertüte irgendwie erst richtig rund. Prost.
„Du bist meine Frau. Ich liebe dich. Aber ich bin ein impotenter Irrer.“ (Die Karte zum Hochzeitstag, herzlichen Glückwunsch.)
Fazit
Sprachlos sitzt man da, wurde gerade von „Das Grauen kommt nachts" überrollt und versucht, die Eindrücke irgendwie zu verarbeiten. Für ein punktebasierendes Bewertungssystem gänzlich ungeeignet, ist diese Wuchtbrumme ein schlichtes Erlebnis, das es so nicht alle Tage gibt. Wer sich traut, immer ran.
Autor: Jacko Kunze