Schon die erste Einstellung macht die Beklommenheit deutlich, die John Schlesinger (Der Marathon-Mann) in Das Ritual mehr und mehr zum Ausdruck bringen wird: Wir sehen Cal Jamison (Martin Sheen, Apocalypse Now), den Protagonisten der Geschichte, wie er seine morgendliche Runde joggt. Wobei von Joggen wohl weniger die Rede sein kann, vielmehr scheint es ein krampfhaften Akt der Selbstoptimierung zu sein, jeder Schritt ist eine Qual, zwanghaft trägt er sich die Straße entlang, zurück in die Vorstadtsiedlung, zurück in das (noch) traute Heim. Hinter ihm taucht indes der Truck des Milchlieferanten auf und Komponist J. Peter Robinson veranschaulicht auf auditiver Ebene, dass er eine nicht unscheinbare Verwandtschaft zum ikonischen Score von William Friedkins Der Exorzist pflegt. Es sind genau diese rein über ihre Audovisualität entschlüsselten Passagen, die Das Ritual wirkungsvoll machen.
Denn, so gelungen der Film auch heute noch zweifelsohne ist, man kann nicht abstreiten, dass der Narration inzwischen der rechte Drive abhandengekommen ist – was natürlich auch in einem Zusammenhang mit modernen Seh- und Erzählgewohnheiten steht. Darüber hinaus aber lässt sich Das Ritual wohl sehr akkurat mit Cruising, ebenfalls von William Friedkin, vergleichen, in dem Al Pacino in den schwülen Sadomaso-Sumpf der New Yorker Schwulenclubs herabsteigt, um eine Mordserie aufzuklären – und sich dabei sukzessive selbst vollkommen aus den Augen verliert, um alsbald klarer zu sehen, als jemals zu vor. Cal Jamison und seinen Sohn Chris (Harley Cross, Perdita Durango) verschlägt es nach einem schweren Schicksalsschlag im familiären Kreis nach New York City, wo ebenfalls eine bestialische Reihe an Morden die hiesige Polizeiarbeit auf Trab hält.
Nur handelt es sich in diesem Fall um Ritualmorden, zumeist praktiziert an Kindern. Für Cal, von Beruf Polizeipsychologe, ist die Sache natürlich schnell klar: Es handelt sich um den ausgemachten Hokuspokus eines Wahnsinnigen. Aber wie schon der von Al Pacino gespielte Steve Burns in Cruising wird Cal bald akzeptieren müssen, dass es auch in ihm Dinge gibt, denen er sich nicht verschließen kann. Den Einfluss fremdländischer Kulturen, in Das Ritual wohl dem karibisch-afrikanischen Raum entsprungen, inszeniert John Schlesinger freilich als fiebrige Drohkulisse, was dem Umstand geschuldet ist, dass der Film das Geschehen stringent aus der Perspektive der westlichen Zivilisation dokumentiert: Wenn wir eine philippinische Holzmaske zu Gesicht bekommen, dann mag das ein netter Dekorationsgegenstand sein, der tieferen Bedeutung dieser religiösen Utensilien begegnen wir jedoch reflexartig mit einem unbeholfenen Lächeln.
Man könnte sagen, die schwarze Magie strahlt aus den Grundfesten des urbanen Kosmos und konfrontiert unseren Protagonisten mit einer Verdrängung, der er sich nie zuvor bewusst geworden ist, einfach aus dem Grund, weil diese Form der Selbstverleugnung fester Bestand der forcierten gesellschaftlichen Regelhaftigkeit ist. Dementsprechend obskur erscheint es, wenn sich neben dem Christentum eine neue religiöse Strömung, der Santeria-Kult, der indes 1000 Jahre älter als das Christentum ist, in den Vordergrund spielt und mehr und mehr Menschen für sich gewinnen kann. John Schlesinger hat hiermit vermutlich seine konkreteste Genre-Arbeit abgeliefert, bleibt seinem Paradethema, der Dekonstruktion des Alltags, jedoch treu: Cal entfremdet sich zusehends von sich selbst, letztlich aber nur aus dem Grund, um zu verstehen, dass es Mächte gibt, die hinter der fragilen Fassade der Normalität bestehen und diese nach Belieben zum Wanken bringen können.