Inhalt
Sozialdrama mit Louis-Do de Lencquesaing, Chiara Caselli Grégoire Canvel führt ein scheinbar vollkommenes Leben: Er hat eine Ehefrau, die ihn liebt, drei entzückende Kinder und einen erfüllenden Job. Als Filmproduzent ist er stets auf der Suche nach neuen aufregenden Filmprojekten. Seine Arbeit ist seine Passion. Er ist hyperaktiv, charismatisch, kommt nicht zur Ruhe und wird von allen bewundert. Nur kurze Momente des Familienglücks am Wochenende auf dem Land unterbrechen den intensiven Arbeitsfluss. Doch dann gerät seine prestigeträchtige Produktionsfirma unter Druck: Zu viele Produktionen, zu viel Risiko, zu viele Schulden. Die nackten Tatsachen ignoriert Grégoire hartnäckig. Immer weiter steckt er Geld in die laufenden Projekte, bis er eines Tages gezwungen ist, seinem Scheitern ins Gesicht zu blicken. Ihn befällt eine lähmende Müdigkeit, die nach und nach in Verzweiflung mündet. Grégoire Canvel hat seinen Zauber verloren…[moviepilot.de]
Kritik
Solche Sachen passierten halt, sagt Filmproduzent Gregoire (Louis-Do de Lencquesaing) über den Tod eines Mitarbeiters. Der hat sich am Set erhängt. Selbstmord, kommt vor. Den Gedanken daran will der Protagonist, der glücklich verheiratet mit seiner Frau Sylvia (Chiara Caselli) und den drei Töchtern Clemence (Alice de Lencquesaing), Billie (Manelle Driss) und Valentine (Alice Gautier) in Paris lebt, rasch wegschieben. Nicht, weil ihm das Verständnis für die Tat fehlt, sondern weil er selbst nah am Freitod steht. Gregoire ist hoch verschuldet, seine Filmproduktionsfirma steht vorm Bankrott. Familie und Freunde können das Ausmaß seiner Geldnot nur ahnen. In ihrem ebenso unkonventionellen wie einfühlsamen Familiendrama beschäftigt sich Mia Hansen-Love mit dem Tod als alles verändernden Einschnitt im Alltag der Hinterbliebenen. Nuanciert beleuchtet ihr zweiter Spielfilm die unterschiedlichen Facetten des Umgangs mit dem Verlust. Im Zentrum der Handlung stehen Sylvia und die Töchter.
Subtile verweist die französische Regisseurin auf diese Verschiebung des dramatischen Fokus im Titel, der Gregoire aus Sylvias Perspektive betrachtet. Die Sicht der Hauptfigur ist objektiv und kritisch, doch ohne zu verurteilen. Gregoire sieht den Tod als einzigen Ausweg. Doch Sylvia weigert sich, in Apathie zu verfallen. Trotz der Trauer kämpft sie um die Firma auf und entdeckt neue Lebensperspektiven. Die Sichtweise der Angehörigen relativiert das Bild des fürsorglichen Familienmenschen, das Gregoire bis zuletzt aufrechterhielt. Zuerst scheint das Glück der Canevals perfekt, doch unscheinbare Alltagsszenen enthüllen die Spannungen hinter der unbeschwerten Fassade ist. Ununterbrochen klingelt Gregoires Handy. Was erst als eher amüsante Nerverei erscheint, offenbart sich später als Zeichen für sein Desinteresse an der Familie. Sein Terminplan diktiert den der Angehörigen. Besonders die jugendliche Clemence leidet darunter. Alle Gespräche drehen sich um ihn, seine Filmprojekte, seine Firma. Unmerklich ist Sylvia in der Aufopferung für ihren Ehemann versackt. Bewusst wird ihr das erst, als er nicht mehr da ist.
Zum ersten mal spielen ihre Gefühle und die ihrer Töchter eine Rolle. „Er war auf der Flucht“, sagt ein Mitarbeiter über ihn und gesteht Sylvia gegenüber offen, dass er ihren Ehemann nicht loben werde, nur weil er sich umgebracht habe. Denkt man an Gregoires eigenen Kommentar zum Tod eines Kollegen, scheint das mehr als gerechtfertigt. Auch Sylvia kann und will den Verstorbenen nicht idealisieren, der ihr und den Kindern nur Schulden hinterließ. Auf der Flucht war Gregoire nicht zuletzt vor seiner Verantwortung. Für Sylvia, die bisher Hausfrau spielen musste, ist sein Abtritt die Chance, sich als Leiterin der Produktionsfirma zu bewehren. Auch Clemence ist wie befreit nach dem Tod es egozentrischen Vaters. Bevor sie Paris verlassen, wollen Sylvia und die Kinder zum Friedhof gehen. Dann reicht die Zeit doch nicht. Macht nichts, kommt vor. Gregoire ist nicht mehr das Wichtigste. Der Tote kann warten, das Leben wartet nicht.
Fazit
Mit entwaffnender Offenheit wendet sich das Familienporträt von der moralisierenden Sichtweise auf den Tod eines Angehörigen ab. Die Trauer um den Verstorbenen verblasst zum Gedenken und der Akzeptanz des Unwiederbringlichen. Der Suizid zeigt sich unvoreingenommen betrachtet als doppelt befreiend: für den Verstorbenen und die Hinterbliebenen.
Autor: Lida Bach