Inhalt
Nach einem Massaker am Hafen erzählt der Krüppel Roger "Verbal" Kint seine Geschichte: Einige Wochen zuvor suchte die Polizei für eine Gegenüberstellung wegen eines gestohlenen Lastwagens fünf Kriminelle zusammen, neben Kint noch den Ex-Cop Keaton, den Sprengstoffspezialisten Hockney, sowie die Profi-Räuber McManus und Fenster. Aus Rache tun sich die Männer zusammen und drehen ein kleines Ding. Keiner ahnt, daß sie damit dem großen Unbekannten im Hintergrund auf die Füße treten, der Verbrecherlegende Keyser Soze, von dem niemand weiß, ob es ihn überhaupt gibt. Doch Soze zieht schon längst die Fäden im Hintergrund zu einem Netz, aus dem scheinbar niemand entkommen kann. Und so werden die fünf üblichen Verdächtigen zu Erfüllungsgehilfen in einem Spiel, daß niemand durchschauen kann.
Kritik
»Der größte Trick, den der Teufel je gebracht hat,
war die Welt glauben zu lassen, es gäbe ihn gar nicht.«
Die üblichen Verdächtigen gehört zu den Filmen, die man in den 1990er Jahren gesehen haben musste, um mitreden zu können. Cineastisches Basiswissen, fächerartig ausgebreitet durch gepflegte Mundpropaganda wie exzellente Kritiken in Zeiten, in denen das Internet unsere Kommunikation noch nicht vollständig im Griff hatte und arrangiert von einem aufstrebenden Regisseur namens Bryan Singer (Jack and the Giants), der hiermit sein beachtliches Bewerbungsschreiben für Größeres ablieferte - obwohl er im Anschluss vermutlich nie etwas Besseres inszenieren sollte. Heute ticken die Uhren etwas anders, Singer is nach über fünfzig Missbrauchsvorwürfen unlängst in Ungnade gefallen und Die üblichen Verdächtigen gefühlt ein Stück weit in Vergessenheit geraten (im Gegensatz zu ähnlichen Kultstreifen aus dem Jahrzehnt wie Pulp Fiction oder Fight Club). Dabei funktioniert das zweifach Oscar-prämierte Werk auch heute noch blendend.
Dass Die üblichen Verdächtigen einen derart euphorisierten Gesprächsstoff lieferte, liegt natürlich an seinem Ende, auf welches das mehrfach ausgezeichnete Drehbuch von Christopher McQuarrie (Mission: Impossible – Fallout) in Form einer gut geölten Spannungsmaschinerie zielstrebig hinarbeitet: Ein klassisches Twist-o-Rama, wenn man so möchte, das den Höhepunkt seiner wendungsreichen Dramaturgie jedoch nicht als reißerischen Selbstzweck ausstellt, um aufzuzeigen, wie clever der Film doch ist, sondern damit auf äußerst sinnstiftende und packende Art und Weise die Grundzüge des Kinos erforscht: Die üblichen Verdächtigen beruft die künstlerischen Mechanismen des Mediums bis zuletzt auf der apparaturerzeugte Realität des Sehens. Einer illusionären Wahrnehmung also, der man zur eigenen Sicherheit niemals aus der Hand fressen sollte, oftmals aber schlicht und ergreifend machtlos dagegen ist. Wie in diesem Fall eben.
Dabei beginnt das Ganze wie eine übliche Kriminalgeschichte um eine Gruppe Klein- und Großverbrecher (besetzt mit Kevin Spacey, Gabriel Byrne, Benicio del Toro, Stephen Baldwin und Kevin Pollak), die sich bei einer polizeilichen Gegenüberstellungen kennenlernen und daraufhin beschließen, den ein oder anderen Coup zusammen zu begehen. Bis die Sache augenscheinlich aus dem Ruder läuft und in einem kriminellen Akt kulminiert, der 27 Todesopfer fordert. Was genau passiert sein soll, rollt der halbseitig gelähmte Rogert Kint (Spacey) im Zuge einer Vernehmung auf und führt damit auch als Off-Kommentator durch das Geschehen. An dieser Stelle aber muss schon der Vermerk erlaubt sein, dass die Wahrheit immer im Auge des Betrachters liegt – und nicht selten ist sie sogar in einem solchen Zusammenhang äußerst, nun ja, fragwürdig und zweifelhaft.
Als eines der Paradebeispiele für das unzuverlässige Erzählen in den 1990er Jahren lässt Die üblichen Verdächtigen jedoch keine Skepsis an den Worten von Kint aufkommen, weil der Film von Beginn an affirmativ seine Perspektive bezieht und somit am Zuschauer – ohne ihn vorerst darüber in Kenntnis zu setzen – äußerst stilsicher die Manipulationsstrategien ausprobiert, die das Kino seit jeher ausmachen. Die Suche nach der Wahrheit ist somit auch ein selbstreflektorischer Diskurs über die immersive Kraft einer engangiert gestalteten Täuschung. Mit dem wertvollen Unterschied, dass Bryan Singer und Christopher McQuarrie ihr Publikum nicht bloßstellen und eine lange Nase drehen wollen, sondern dieses zum Nachdenken dahingehend anregen, was wirklich von Belang ist, um sich in einer Geschichte zu verlieren: Was erzählt wird, wie es erzählt wird oder ob überhaupt etwas erzählt wird?
Fazit
Einer der wenigen Filme, über dessen Wendung man durchaus in Kenntnis gesetzt sein kann, ohne dadurch aber einen Qualitätsverlust der Seherfahrung zu vernehmen. Sicherlich, der WOW-Effekt klingt ein Stück weit ab, der clevere "Die üblichen Verdächtigen" aber definiert seinen Twist nicht als reinen Selbstzweck, sondern versteht ihn als Höhepunkt einer packenden Reflexion über die Realität des Sehens, die im Kino immer noch eine apparaturerzeugte ist. Wieso lassen wir uns auf eine Illusion ein, die sich innerhalb des filmischen Raumes nochmal als Täuschung versteht? Die Antwort darauf darf man sich nach "Die üblichen Verdächtigen" individuell geben und damit um eine wertvolle Erkenntnis reicher präsentieren.
Autor: Pascal Reis