Es waren einmal zwei Brüder, die landauf und landab und sogar weltweit sehr berühmt wurden, indem sie Märchen sammelten und für die Nachwelt aufbewahrten. Doch die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm waren darüber hinaus bedeutende Literatur- und Sprachwissenschaftler und gelten als Mitbegründer der Germanistik. Neben ihren Märchen und Sagen lag der Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Erforschung der deutschen Sprache. Dass die beiden nicht nur Märchenonkel waren, zeigt auch Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm, legt aber dennoch stark den Fokus auf ihre Märchen. Der Film ist weniger ein Biopic, sondern ein Fantasyfilm mit einigen biographischen Bezügen zum Leben der beiden Brüder. Tatsächlich dient die Lebensgeschichte sogar mehr als Rahmenhandlung und verbindendes Element, um drei eher unbekanntere Märchen zu erzählen. Wenn man so will, ist Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm also ein Märchenanthologiefilm.
Der Film nimmt sich aber Zeit für seine Rahmenhandlung und gewährt ihr besonders zum Ende hin viel Raum. Vor allem die Beziehung der beiden Brüder zueinander steht stark im Mittelpunkt. Während Jacob (Karlheinz Böhm, Sissi) der pflichtbewusstere der beiden ist, der seine Aufgaben gewissenhaft erledigt, um so für den Unterhalt zu sorgen, ist Wilhelm (Laurence Harvey, Alamo) ein Freigeist und Tagträumer, der gern in seine Märchenwelten abtaucht. Für eine neue Geschichte gibt er gern sein letztes Geld her und nur dank des besonnenen Jacobs schafft es Wilhelm seine Familie zu ernähren. Wilhelm verfolgt das Ziel, die Märchen für die Nachwelt zu sichern und vernachlässigt zum Ärger von Jacob dafür sogar seine eigene Arbeit. Doch auch der unverheiratete Jacob würde sich lieber seinen Studien widmen, stellt seine Wünsche zum Wohle von Wilhelms Familie aber hintenan. Es kommt, wie es kommen muss und die beiden zerstreiten sich. Die Handlung enthält zwar einige biographische Fakten, ist ansonsten jedoch frei erfunden, um die Geschichte voranzutreiben und Spannung zu erzeugen.
Das muss nicht unbedingt schlecht sein, ist dennoch teils nur bedingt unterhaltsam und zieht den Film unnötig in die Länge. Vor allem die Jacobs Liebesbeziehung wirkt etwas deplatziert. Längen erzeugt der Film ebenso durch eine lange Ouvertüre aus einem schwarzen Bildschirm, unterlegt mit klassischer Musik, was in ähnlicher Weise zur Halbzeit des Films wiederholt wird. Für Freunde klassischer Musik sicher eine Freude, ansonsten jedoch deutlich zu lang geraten und nichts für ungeduldige Menschen. Erst zum Ende nimmt die Rahmenhandlung mehr Fahrt auf und stimmt versöhnlich, da die Symbiose von Rahmenhandlung und Märchengeschichten gelingt, indem beide Welten im Fiebertraum Wilhelms verschmelzen. Leider greift man auf die familienfreundliche und disneyhafte Märchenwelt zurück, wie man sie heute weitestgehend kennt. So ist weder der Fiebertraum düster und bedrohlich, noch sind es die einzelnen Märchenepisoden. Die drei Märchen sind zudem ebenfalls frei interpretiert und stark gekürzt, was aber nicht wirklich stört.
Bewusst hatte man sich entschieden eher unbekanntere Märchen zu wählen, um für mehr Unterhaltung und Spannung zu sorgen, was im Ergebnis deutlich besser gelungen ist, als mit der Rahmenhandlung. Erzählt werden die Märchen „Die tanzende Prinzessin“, „Der Schuster und die Wichtelmänner“ und „Der singende Knochen“. Die tanzende Prinzessin ist auch unter dem Titel Die zertanzten Schuhe bekannt und handelt von einer Prinzessin (Yvette Mimieux, Die vier apokalyptischen Reiter), die sich jede Nacht aus dem Schloss rausschleicht, um zu tanzen. Der König (Jim Backus, ... denn sie wissen nicht was sie tun) wundert sich über die zertanzten Schuhe und beauftragt einen jungen Jäger (Russ Tamblyn, West Side Story) das Geheimnis zu lüften. Zur Belohnung wird ihm die Prinzessin versprochen. Es ist ein klassisches, klischeebehaftetes Märchen, doch weniger altmodisch, als man denken mag, denn die Prinzessin setzt sich in den Kopf ihren Liebsten selbst zu wählen und schaltet die potenziellen Anwärter skrupellos aus und besiegelt damit ihr Todesurteil. Mit viel Musik und Action vermag dieses Märchen ansonsten gut zu unterhalten.
Der Schuster und die Wichtelmänner (Alternativtitel: Der Schuster und die Zwerge) ist dagegen ruhiger und sentimentaler. Ein armer, alter Schuster (Laurence Harvey) schafft es nicht, die Arbeit zu erledigen, die ihm auferlegt wurde. Doch eines Nachts erscheinen ein paar Wichtel und erledigen die Arbeit für ihn, wodurch er alle Sorgen loswird. Klares Highlight sind die mittels Stop-Motion-Puppenanimation dargestellten Wichtel, die freudig singen und ihre Arbeit verrichten. Hier steckt viel Liebe in der Inszenierung, was wenig verwunderlich ist, denn die Spezialeffekte stammen von George Pal (Die Zeitmaschine), der mit seinen Puppetoons-Filmen in den 40ern einige Oscarnominierungen erhielt und dem der Ehrenoscar für die von ihm entwickelte Technik der Kombination aus Zeichen- und Puppentrick verliehen wurde. Pal führte neben Henry Levin (Die Reise zum Mittelpunkt der Erde) zugleich Regie und zeichnete sich für die drei Märchengeschichten verantwortlich, während Levin die Rahmenhandlung inszenierte.
Die Stop-Motion-Technik kommt auch im dritten Märchen zur Anwendung, und zwar in Form eines Drachens. In dieser humorvollen Geschichte kämpfen ein Ritter (Terry-Thomas, Monte Carlo Rallye) und sein Knappe (Buddy Hackett, Die Geister, die ich rief...) gegen den Drachen, der das Land terrorisiert. Der eigentliche Held ist der Knappe, doch der ängstliche Ritter heimst die Lorbeeren ein, nachdem er den Knappen ausschaltet. Das Märchen ist damit jedoch nicht vorbei und es soll an dieser Stelle nicht zu viel verraten werden. Der Kampf mit dem Drachen wirkt zwar aus der heutigen CGI-verwöhnten Sicht etwas antiquiert, aber man erkennt sofort, dass hier noch echte Handarbeit dahintersteckt. Die Verbindung der Stop-Motion-Animation des Drachen mit den realen Darstellern ist unter Beachtung der technischen Möglichkeiten der frühen 60er Jahre wirklich beeindruckend. Was auf der Handlungsebene fehlt, holt der Film im technischen Bereich und mit Ausstattung und Kostüm (hierfür sogar oscarprämiert) heraus.
Der Film wurde als einer von nur zwei Kinofilmen (der andere war Das war der Wilde Westen) im Cinerama-Format produziert, einem Vorläufer des heutigen IMAX-Formats. Dabei handelt es sich um ein extremes Breitwand-Format, für das eigens Kinos mit gekrümmter Leinwand gebaut werden mussten. Gefilmt wurde mit drei gekoppelten Kameras, wodurch drei Einzelaufnahmen entstanden, die in der Vorführung durch drei gleichzeitig laufende Projektoren abgespielt und so zusammengefügt wurden. Der Aufwand beim Dreh war enorm, der Effekt ist aber dank Restaurierung noch heute auf dem heimischen Bildschirm zu erkennen. Das enorme Panorama sorgt für räumliche Tiefe und erzeugt dadurch eine Art 3D-Effekt. Gerade die Aufnahmen von Originalschauplätzen wie Neuschwanstein und Rothenburg ob der Tauber oder Actionsequenzen, wie eine wilde Kutschfahrt, wirken dadurch noch spektakulärer.