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Inhalt

Der Arzt Dr.Bill Harford und seine Frau Alice führen eine ganz normale Ehe, bis diese ihm gesteht, dass sie ihn einmal beinahe betrogen hätte. Dies stürzt Bill in eine Krise und führt ihn auf eine Odyssee sexueller und moralischer Erfahrungen.
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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Am Ende wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. Diese geläufige Floskel lässt sich in Eyes Wide Shut gleich mit mehrfacher Codierung versteht, bezieht sie sich nämlich nicht nur auf die inhaltliche Ebene und das Zusammensein des von Tom Cruise (Magnolia) und Nicole Kidman (Die Verführten) gespielten Ehepaares Harford. Es bezieht sich auch auf den Film selbst, der als Vermächtnis des überlebensgroßen Stanley Kubrick (2001 – Odyssee im Weltraum) in die Annalen der Filmgeschichte eingegangen ist. Nach Eyes Wide Shut wird nichts mehr so sein, wie es einmal war, weil wir, das Publikum, die Cineasten, die Filmliebenden, uns darüber im Klaren werden müssen, dass Stanley Kubrick nie wieder etwas Neues abliefern wird. Eyes Wide Shut ist sein Endpunkt, sein Schlussakkord, sein letztes Wort, sein letztes Mysterium, sein letztes Jahrhundertwerk.

Basierend auf Arthur Schnitzlers, im Jahre 1925 publizierten Traumnovelle, geht Stanley Kubrick vordergründig den Weg einer außerordentlichen Werktreue und bleibt der literarischen Dramaturgie des österreichischen Vorlagengebers durchgehend verhaftet. Er transportiert die Geschichte allerdings in das gegenwärtige New York und erschafft damit einen Ort, der zwar geographisch lokalisierbar scheint, den Gesetzen von Zeit und Raum, wie alles in Eyes Wide Shut, vollkommen losgelöst und entfesselt entgegentritt. Dieses New York könnte überall auf der Welt und in jedem Jahr verortet sein – es ist ein Nicht-Ort. Ein Nicht-Ort der Entfremdung und Kälte. Nachdem William (Cruise), ein gutbetuchter, hochangesehener Mediziner, und seine Frau Alice (Kidman) bei einem Joint auf der Bettkante urplötzlich den klaffenden Abgrund ihrer Ehe vor sich sehen, zieht es William auf die Straße jener oft besungenen Metropole. Ein New York, wie es weniger Metropole nicht sein könnte.

Im letzte Sommerurlaub wurde in Alice durch den Anblick eines Marineoffiziers eine brennende Leidenschaft geweckt, die sie, so gesteht sie es geradewegs in das versteinerte Gesicht ihres Mannes, dazu verleitet hätte, alles stehen und liegen zu lassen, nur um eine ungezügelte Nacht mit dem uniformierten Fremden genießen zu können. Als Reaktion bleibt dem in seinem Stolz verletzten William nur eine Fluchtgebärde, aus der Wohnung, raus in die Nacht, die ihn von Bekanntschaft zu Bekanntschaft schleusen wird und schließlich auch, als Klimax der Erzählung, inmitten eines dionysisch-zelebrierten Sex-Kults, in dem sich die maskierten Gäste einander in wilden Kopulationen hingeben. Viele Kritiker warfen Kubrick anhand dieses ausgeprägten Abbildens von Freizügigkeit und Nudität vor, Eyes Wide Shut zu einer Altherrenphantasie verkommen zu lassen. Die Nacktheit, der Sex, das gegenseitige Verschlingen von Körpern, aber besitzt hier nichts Erotisches, der den Bildern anhaftende Voyeurismus verfolgt eine entlarvende Intention.

Mit Eyes Wide Shut hat Stanley Kubrick zweifelsohne einen der wichtigsten wie gewichtigsten Beziehungs- und Geschlechterfilme überhaupt in Szene gegossen. Hier nämlich thematisiert der britische Genius das allgemeine Bewusstsein sowie den damit einhergehenden Trugschluss von Geschlechterunterschieden und -rollen. Anhand von William, der sich durch die Offenbarungen seiner Frau in seinem männlichen Selbstverständnis erschüttert sieht (= die klare Formulierung von weiblicher Begierde wirkt auf ihn wie ein Angriff), hinterfragt Eyes Wide Shut die rückständige Wahrnehmung von geschlechtlichen Stereotype, was den Film gleichermaßen zu einer Erforschung der Bedeutung von individueller Sexualität als auch zu einer (Psycho-)Analyse der an dieser gekoppelten Angst innerhalb unserer Gesellschaft erhebt. In seinen lebensweltlichen Grundfesten irritiert fühlt sich William dazu genötigt, in die Dunkelheit hinaus zu ziehen, um sowohl sich selbst zu entdecken, aber auch seiner Frau eine Möglichkeit zur Selbstermächtigung zu schenken.

Dass Eyes Wide Shut zur Weihnachtszeit angesiedelt ist, kommt natürlich nicht von ungefähr. Diese Zeit der Besinnung überträgt sich auch auf das Ehepaar Harford, welches sich darauf besinnt, was sie aneinander haben – oder was ihnen fehlt. Als tiefbohrende Meditation über Bedürfnisse und deren Verleugnung begibt sich Eyes Wide Shut auf eine traumwandlerische Odyssee, in der Triebabkehr und Triebverzicht, Orientierungslosigkeit und Entfremdung eine Kausalitätskette aufwirbeln, die eine schicksalhafte Begegnung an die nächste reiht, William dabei aber immer wieder auf sich selbst zurückfallen lässt. Seine episodenhafte Route durch New York führt ihn nicht nur in einem raumgebundenen Verständnis voran, in Wahrheit definiert sich Eyes Wide Shut als ein umfassender Prozess der Selbstfindung und Selbsterkenntnis. Und um sich selbst zu verstehen, ist es dringend vonnöten, genau hinzusehen, um dann einen festen Entschluss zu fällen: Vielleicht ist der erste Schritt, endlich wieder ungezwungen zu ficken.

Fazit

Als einer der gewichtigsten Beziehungs- respektive Geschlechterfilme überhaupt darf sich "Eyes Wide Shut" als durchgehend faszinierendes Vermächtnis des überlebensgroßen Stanley Kubrick definieren lassen. In seinem Abschiedswerk thematisiert das britische Genie die allgemeine Wahrnehmung von Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft und findet darüber Zugang zur Bedeutung von Sexualität und Ängsten innerhalb unserer gesellschaftlichen Mitte. Ein berauschendes, mysteriöses, psychoanalytisches, aber vor allem wahrhaftiges Jahrhundertwerk.

Kritik: Pascal Reis

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