Der 22. November 1963 ist als ein Datum in die Geschichte eingegangen, an dem nicht einfach nur der 35. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ermordet wurde. Das Attentat auf John F. Kennedy befeuerte viel mehr den Mythos, der sich schon länger um dessen Person gebildet hatte, und machte den Mann spätestens nach einem abgedruckten Interview mit Kennedys Witwe Jackie zu einer Ikone, um die sich bis heute unterschiedlichste Legenden ranken.
In Pablo Larraíns (Neruda) erstem englischsprachigen Film wird genau dieses Interview nun zum Fixpunkt der Geschichte, in der sich Jackie eine Woche nach der Tat mit einem Journalisten trifft, unter der Bedingung, dass jedes Wort aus dem geführten Gespräch, welches schriftlich festgehalten und später gedruckt werden soll, genauestens unter ihren Vorgaben entsteht. Was dieser festgesetzte Rahmen für konkrete Auswirkungen hat, veranschaulicht der Regisseur früh in einer Szene, in der Jackie ihren Emotionen unter Tränen freien Lauf lässt, nur um ihrem Gegenüber anschließend sofort darauf hinzuweisen, dass nichts davon an die Öffentlichkeit dringen soll.
Larraín belässt es jedoch nicht bei diesem einen spielerischen Konzept, bei dem die Trennlinie zwischen Realität und Fiktion, zwischen der Gewichtung des womöglich frei Erfundenen und dem Wert des tatsächlich Empfundenen unklar verläuft. In Jackie ist es dem Regisseur vielmehr gelungen, den Prozess des Trauerns, aber auch der lähmenden Schockstarre in assoziative Bilder und Montagen zu kleiden, die sich dem engen Korsett des konventionellen Biopics von Beginn des Films an entledigen. Genauso wie bei der in den Kopf des Präsidenten abgefeuerten Kugel, die das Skelett umgehend zum Zerbersten brachte, ist die Gefühlswelt der verbliebenen Witwe in kleine Splitter zerbrochen, die Larraín zu einem elliptischen Gemälde anordnet.
So makellos die Kleidungsstücke von Jackie und die fein säuberlich arrangierten Details in jeder Räumlichkeit, durch die sie sich bewegt, auch erscheinen, unter der Oberfläche sowie in ihrem Inneren dringt schon bald eine zerrissene Person zum Vorschein, die mit einer schier unmöglich zu bewältigenden Anzahl an Reaktionen, Entscheidungen und Entwicklungen umgehen muss. Zu eindringlicher Intensität findet das mitunter schizophrene Wesen des Films durch den Score von Mica Levi, in dem pompöse Streicher immer wieder in Symphonien des blanken Grauens kippen, nur um kurz vor der Eskalation von einer süßlichen Flötenmelodie aufgefangen zu werden.
Jackie ist aber mehr als nur die Charakterstudie einer Frau, die mit dem Tod eines Geliebten umgehen muss, den sie gleichzeitig ihren noch sehr jungen Kindern beibringen soll, während sie maßgeblich darüber bestimmt, wie der Nachlass von John F. Kennedy, das Bild eines der vorübergehend mächtigsten Männer der Welt, aussehen soll. Am letzten Aspekt dieser Geschehnisse zeigt der Regisseur besonderes Interesse, denn Jackie ist eine Frau, die ihre Trauer aufgrund des einflussreichen Status zwangsläufig mit der Öffentlichkeit teilen muss.
Inwiefern sich die ehemalige First Lady dabei glaubhaft gegen den Druck von außerhalb stemmt, um in einem intimen Rahmen mit ihren Gefühlen alleine sein zu können, oder durch einstudiertes Verhalten sowie manipulative Methoden ganz bewusst dazu beiträgt, ein unvergesslicher Bestandteil der Mythenbildung und des Personenkults zu werden, lässt der Film auf ambivalente Weise offen im Raum stehen.
Dass man als Zuschauer überhaupt ein solch zwiegespaltenes Verhältnis zur Hauptfigur des Films entwickelt, liegt nicht zuletzt an der überragenden Leistung von Hauptdarstellerin Natalie Portman (Black Swan). Die Schauspielerin trifft den Dialekt und das Auftreten ihres realen Vorbilds nicht nur mit beängstigender Perfektion, so dass sie völlig hinter der Figur verschwindet, sondern spielt Jackie als unnahbare Persönlichkeit, die in einem Moment eine große Verletzlichkeit und Trauer ausstrahlt, während sie nur kurze Zeit später wie ein kalkulierter (Medien-)Profi wirkt, bei dem jede Geste eiskalt berechnet scheint.