Inhalt
JOAN BAEZ I Am A Noise ist ein außergewöhnliches Porträt der legendären Folksängerin und Aktivistin Joan Baez. Der Dokumentarfilm, weder ein konventionelles Biopic, noch ein traditioneller Konzertfilm, begleitet Joan auf ihrer letzten Tour und taucht ein in ihr beeindruckendes Archiv aus Privatvideos, Tagebüchern, Kunstwerken, Therapie- und Musikaufnahmen. Im Laufe des Films zieht Baez schonungslos Bilanz und enthüllt auf bemerkenswerte Weise ihr Leben auf und abseits der Bühne: von ihren lebenslangen emotionalen Problemen, über ihr Engagement in der Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King, bis hin zu der schmerzlichen Beziehung mit dem jungen Bob Dylan. Als radikaler Blick auf eine lebende Legende wird dieser Film zu einer intimen Erkundungsreise einer ikonischen Künstlerin, die noch nie zuvor so viel über ihr Leben enthüllte.
Kritik
I Am A Noise ist eine Dokumentation, die sich auf den ersten Blick in ihrer Struktur und Präsentation recht konventionell zeigt, doch sie entwickelt sich im Verlauf zu einer eindringlichen und ambivalenten Auseinandersetzung mit dem Leben und der Karriere der Folk-Legende Joan Baez (bekannt für Songs wie It’s All Over Now, Baby Blue oder Diamonds and Rust). Über eine Stunde lang führt uns der Film auf eine Reise durch die verschiedenen Facetten ihres Leben, wobei zahlreiche Aspekte angerissen, aber nur selten vertieft werden. Dabei ergibt sich der Eindruck eines visuell aufbereiteten Best-of, der diejenigen, die bereits mit Baez' Biographie vertraut sind, ansprechen mag, während Neueinsteiger möglicherweise von der schieren Informationsflut überfordert werden.
Der Dokumentarfilm schafft es, in einem Gewirr von Ereignissen, Personen und Episoden einen latenten Hauch von Unzufriedenheit zu hinterlassen, bevor er schließlich zu seinem eigentlichen Kern vordringt. Es erfordert (zu viel) Geduld, bis I Am A Noise endlich darauf hinausläuft, was im Grunde seit der ersten Minute vorbereitet hat: Die Aufarbeitung von Traumata und Missbrauch zu thematisieren. Es handelt sich hierbei um einen Missbrauch, der sich nicht einfach in eine klassische Schuldfrage einordnen lässt. Auch nach dem Abspann des Films bleibt die Frage nach dem tatsächlichen Vergehen im Raum stehen. In diesem Sinne erweist sich der Film als mutig, da er sich beharrlich weigert, uns einfache Antworten zu liefern. Zu viele komplexe Faktoren, allen voran die Unsicherheit, spielen eine gewichtige Rolle.
Es ist bedauerlich, dass I Am A Noise so viel Zeit benötigt, um zu diesem signifikaten Punkt der Veränderung vorzudringen. Die Prominenz von Joan Baez als Opfer und Kämpferin gegen alte Wunden erscheint eigentlich nicht zwingend erforderlich. Es hätte ausgereicht, ihre Karriere mit weniger breitem Pinselstrich zu beleuchten, besonders wenn man bedenkt, wie wenig ertragreich diese biografischen Abhandlungen hier sind. Infolgedessen steht der Film zwischen den spannenden und vielschichtigen Facetten der Aufarbeitung eines zerrissenen Lebens und einer eher gewöhnlichen, ausgedehnten Dokumentation, wie sie oft im Genre der Künstler-Biographien zu finden ist.
I Am A Noise kann durch seine Makel seine Möglichkeiten nicht in vollem Maße ausschöpfen. Die anfängliche, viel zu lang anhaltende Fokussierung auf die schlichte Aufzählung einzelner Lebensereignisse entzieht dem Film einen erheblichen Teil seiner Leidenschaft und Kraft. Erst gegen Ende entfaltet er sein faszinierendes Potenzial und inspiriert zu tiefgründigen Diskussionen. Dies ist zweifellos von großem Wert, doch bedauerlicherweise bringt diese Qualität auch unnötigen Ballast mit sich.
Fazit
"I Am A Noise" ist eine Dokumentation mit ambivalentem Charakter, die sich erst spät von der konventionellen Struktur einer Biografie löst, um tiefgründige Einblicke in Joan Baez' Leben zu bieten. Leider geschieht dies erst zu einem Zeitpunkt, an dem der Film bereits in der überfüllten Nische der karrierebezogenen Dokumentationen untergeht.
Autor: Sebastian Groß