Inhalt
Der 42-jährige Isaac Davis hat einen Job, den er hasst, eine Freundin, die er als zu jung empfindet und eine lesbische Ex-Frau namens Jill, die gerade ein Enthüllungsbuch über ihre Ehe schreibt – und die er am liebsten erwürgen würde. Dann aber verliebt er sich Hals über Kopf in Mary, die attraktive, intellektuelle neue Flamme seines besten Freundes. Isaac verlässt die blutjunge Tracy, wirbt um Mary, wirft seinen Job hin und beginnt seine Suche nach Romantik und Erfüllung in einer Stadt, in der Sex so intim ist wie ein Handschlag – und der Weg zur wahren Liebe durch eine Drehtür führt.
Kritik
Nicht selten verschlägt es einem gerade im Angesicht überwältigender Emotionen regelrecht die Sprache. Isaac Davis geht es da nicht anders, denn als er im Prolog von Manhattan dazu ansetzt, seine Gefühle für New York, die Stadt, in der er lebt, in Worte zu fassen, muss er zum wiederholten Male neu ansetzen, von vorne beginnen und scheitert am Ende doch, eine definitive Liebeserklärung zu formulieren.
Um Manhattan ohne passende Worte Tribut zollen zu können, verlässt sich der Regisseur Woody Allen (Manhattan Murder Mystery) im Gegensatz zu dem von ihm selbst gespielten Isaac stattdessen lieber auf die wundervollen Schwarz-Weiß-Kompositionen von Gordon Willis. So erstrahlt der titelgebende Stadtbezirk in einem melancholischen Licht, das ikonische Sehenswürdigkeiten, karge Wohnräume und anziehende Schauplätze zur sinnlichen Verführung erhebt, während im Hintergrund trotz des nie stillstehenden Alltags stets Anzeichen von trauriger Tristesse zu vernehmen sind. In Manhattan belässt es Allen aber nicht dabei, eine schlichte Ode an die Stadt, seine Stadt, zu kreieren, denn wie so oft im Gesamtwerk des Regisseurs geht es ihm auch in diesem Film wieder darum, von ihrem eigenen Intellekt geplagte Figuren aus dem Bildungsbürgermilieu vorzuführen und aufzuziehen.
In seinem Meisterwerk Der Stadtneurotiker von 1977 fand Allen dabei die ideale Kombination aus bissiger Selbstironie, neurotischer Exzentrik und verspieltem Humor, weswegen der Film auf nachvollziehbare Weise zum populärsten und gewissermaßen stilbildenden Meilenstein im Schaffen des Regisseurs aufstieg. Was ihm zwei Jahre zuvor noch mit staunenswerter Leichtigkeit gelang, verkommt in Manhattan jedoch zum bemühten Versuch, erneut um das Liebesleiden seiner nahezu weltfremden Figuren zu kreisen, was mit fortschreitender Laufzeit in verkrampftem Narzissmus mündet.
Das größte Problem an Manhattan ist Allen selbst, der als Hauptdarsteller dafür sorgt, dass man Isaac, welcher als intellektuell allen in seinem Umfeld überlegener Frauenheld zur bemitleidenswerten Witzfigur verkommt, in den wenigsten Szenen ernst nehmen kann. Seine Neurosen bleiben die meiste Zeit über genauso wenig greifbar wie Isaac selbst, der ebenso wie der gesamte Film unentwegt zwischen satirischer Überzeichnung und ehrlich gemeinter Tragik schwankt.
Als schonungslose Selbstdemontage sowie Anklage des eigenen Milieus gelingen dem Regisseur dabei einige überaus bemerkenswerte Spitzen, die sich vor allem in den hysterischen, verkopften Dialoggefechten äußern, nach denen die Beteiligten ohne nennenswerte Erkenntnisse erneut am Ausgangspunkt ihrer meist überforderten Situation angelangen. Manhattan gestaltet sich durch die Anhäufung solcher Szenen allerdings viel mehr als bittere, unangenehme Seherfahrung, die jeglichen Charme sowie leichtfüßigen Humor vermissen lässt, mit dem sich Allen in zahlreichen seiner Werke sonst schmücken konnte und auf den er auch hier eigentlich wieder abgezielt hatte.
Warum der gewohnte Dialog-Esprit des Regisseurs in diesem Film genauso abgenutzt erscheint wie der kaum funktionierende Humor bleibt daher ebenso ein Rätsel wie jener fragwürdige Handlungsstrang, für den sich Allen eine Liebesbeziehung zwischen dem 42-jährigen Isaac und einer 17-Jährigen schrieb, die mehr als nur fragwürdig erscheint und in Anbetracht der geringen Fallhöhe des Protagonisten am Ende ohne schlüssige Konsequenzen bleibt.
Fazit
Auch wenn „Manhattan“ neben „Der Stadtneurotiker“ zu den beliebtesten Werken von Woody Allen und selbst als Klassiker gilt, liegen zwischen beiden Welten förmlich Welten. Wo der vorherige Film mit bissiger Selbstironie, neurotischer Exzentrik und verspieltem Humor zum Meisterwerk geriet, wirkt „Manhattan“ wie ein lustloser Abklatsch, in dem Allen seinen eigenen Markenzeichen nachrennt und sich in verkrampftem Narzissmus und redundanter Selbstgefälligkeit verrennt.
Autor: Patrick Reinbott