Im gigantischen Komplex des Milliarden schweren Disney-Unternehmens sollte die Realverfilmung des geschätzten Trickfilmes Mulan nur ein weiterer Termineintrag in einer immer größer werdenden Welle an Neuauflagen ihrer beliebten Zeichentrickfilme sein. Innovation wurde allerspätestens seit Beginn der 2010er Jahre für immer aus dem Katalog des Mäuse-Unternehmens gestrichen, denn seit jeher spielt der Konzern nur mit völlig sicheren Karten. Doch durch den Ausbruch der Corona-Pandemie sollte alles anders kommen: Statt im Kino erscheint Mulan nun auf dem heimischen Streaming-Dienst Disney+, eine rein marktorientierte Entscheidung, die wahrscheinlich erst von einer handvoll Investment-Experten abgesegnet werden musste. Der Missmut war groß und das nicht nur bei den Kinobetreibern. Verständlich, denn selbst der größte Disney-Skeptiker muss sich eingestehen das der Stoff um die Kriegerin Mulan, die auszog, Haus und Land zu beschützen, definitiv Stoff und Bilder für die ganz große Leinwand liefern könnte. Nur wer sich Niki Caros (Whale Rider) Adaption des Stoffes erst einmal ansieht, der muss schnell feststellen, dass das Ergebnis eher so wirkt, als wäre es von vornherein eher für den Bildschirm bestimmt gewesen, am besten für einen, gegen den ein IPod-Nano Display wie eine IMAX-Leinwand wirkt, so trocken, unausgegoren und unfilmisch ist das Resultat verkommen.
Das ist ärgerlich auf mehreren Ebenen: Im Gegensatz zu den vergangenen Live-Action Adaptionen der letzten Jahre, allen voran Die Schöne und das Biest, Aladdin und der National Geographic Simulation Der König der Löwen, bietet sich der Stoff rund um Mulan, bestehend aus epischen Schlachten und glorreichen Landschaftsaufnahmen, definitiv für eine Realverfilmung an. Nur wird dieses Potenzial nicht genutzt, was sich besonders durch das unstimmige, unecht wirkende Color Grading ausdrückt: Die Farben der Kostüme dürfen erscheinen verwaschen, während die Kampfszenen von jeglicher Rauheit befreit sind. Dazu dürfen dann noch unplastische CGI-Hasen durch die Wiesen hoppeln. Der Stil des Filmes ist weder farbenfroh, noch eignet er sich für einen realistischen Ton, welchen der Film durch den Verzicht auf jegliche Gesangseinlagen, sowie auf den Comic-Relief Drachen Muschu zunächst anzustimmen scheint. Nichts an der Optik von Mulan kostet das epische Potenzial seiner Geschichte wirklich aus. Man wünscht sich einen Zhang Yimou oder einen Ang Lee heran, also jemanden, der dazu in der Lage wäre, die Körperlichkeit der im Vordergrund stehenden Schlachteinlagen filmisch über die Bühne zu bringen. Stattdessen ist jede Form von körperlicher Aktion zerschnitten und verwaschen in einer unförmig biederen digitalen Optik, die weder die Emotionen auf den Gesichtern der Akteure noch deren Bewegungen festzuhalten vermag.
Inhaltlich kann das Ganze noch weniger überzeugen. Die Identitätspolitik, die Disney als Reaktion auf die ihnen vorgeworfenen, veralteten Rollenbilder, immer wieder als Kompensation in ihre neuen Filme integriert, bestand schon in den letzten Filmen des Konzerns aus nichts weiter als dem Abklappern von Feminismus Signifikanten ohne dabei etwas Neues zu wagen oder Geschlechterbilder ernsthaft zu hinterfragen. In Mulan erreicht dies einen neuen Tiefpunkt: Ihre Weiblichkeit, welche die junge Mulan (Liu Yifei, The Assassins) vor den restlichen Soldaten geheim halten muss, scheint der Film als geheime Superkraft misszuverstehen, denn erst nach ihrem inneren Bekenntnis zu ihrem Geschlecht kann Mulan auch auf dem Schlachtfeld aufblühen. Eine starke, unabhängige Frau zu sein bedeutet hier, das Spiel der Männer besser zu meistern als diese selbst. Gleichzeitig verwehrt der Film dem Charakter von Mulan jeglichen Spielraum in ihrer Identität: Die Frau darf nicht mit ihrer Identität experimentieren, sondern ist dazu verurteilt, sich zu bekennen und kann erst dann ihre Ziele verwirklichen. Das wird dann noch als Prozess der Selbsterkenntnis verkauft, eine Wandlung, die im Film zu keiner Szene ernsthaft thematisiert wird und sich letztendlich nach einer Message, herausgezogen aus der Disney-Sammlerkiste anfühlt. Warum Mulan plötzlich dazu in der Lage ist, Eimer voller Wasser einen Berg vor allen Männern um sie herum hinaufzutragen, bleibt ein klaffendes Rätsel ohne Tiefe.
Genauso desinteressiert ist der Film letztendlich an dem Potenzial seiner DarstellerInnen: Gong Li (Miami Vice), Jet Li (Kiss of the Dragon) und auch Donnie Yen (Hero) verkommen zu reinen Platzhalterpuppen, die in ihren Darstellungen subtil danach schreien, aus dieser digitalen Hölle befreit zu werden. Dabei bewegen sie sich in einem tonalen Vakuum: Die Epik des Filmes, welche die Bilder unfähig sind, zu produzieren, wird kompensiert durch möglichst theatralische Musikeinlagen und dramatisch, inspirierende One-Liner um Ehre, Treue und Wahrheit, die aber keine Fuß und Boden aufweisen. Von seinem geerdeten, realistischen Ansatz verabschiedet sich der Film spätestens dann, wenn die komödiantischen Einlagen der Vorlage durch Drachen Muschu nun auf Mulans tollpatschigen, männlichen Genossen umgelenkt werden. Das die Kampfeinlagen keinerlei Härte aufweisen, war an dem selbsternannten Familienunternehmen bereits zu erwarten, ärgerlich bleibt es dennoch, weil es eine schmerzhafte Erinnerung für das darstellt, was hier möglich gewesen wäre.