Beinahe wäre Natural Born Killers das Regiedebüt von Quentin Tarantino geworden, weil er das ursprüngliche Drehbuch zum Film verfasste und im Nachhinein sicher gerne selbst auf dem Regiestuhl Platz genommen hätte. Doch als die Umsetzung an der Finanzierung scheiterte, musste er sich mit Reservoir Dogs als seinem Erstlingswerk begnügen. Als Natural Born Killers veröffentlicht wurde, distanzierte sich Tarantino von dem Film, weil viele seiner Ideen und Dialoge nicht übernommen wurden und er sich logischerweise hintergangen fühlte. Doch ist der Film tatsächlich so schlimm, wie Tarantino es uns weismachen möchte oder ist es eher ein Segen, dass Oliver Stone (Platoon) das Ruder übernahm?
„Wo wir auch hingehen, was auch passiert, Mickey, wenn ich mir die Sterne ansehe, weiß ich, dass du dieselben siehst!“
Vergesst Tatsächlich ... Liebe oder was uns Hollywood sonst noch als Romantik verkaufen möchte, wenn Mickey und Mallory im Blutrausch durch die Staaten ziehen, gejagt von ihren eigenen Dämonen, dann ist das Romantik pur, nur eben Romantik für Abgefuckte, für kaputte Menschen, die zueinanderfinden, weil sie das Gefühl haben, dass sie für einen kurzen Augenblick ein Ganzes bilden. Mickey und Mallory sind durch ihr Blut für immer vereint und ihre Dämonen treiben sie an, bis sie selbst zu Dämonen werden, vor denen sie sich früher so sehr gefürchtet haben. Es liegt in der Natur der Schlange zu beißen, genauso wie es in der Natur mancher Menschen liegt zu töten, weil sie das Bedürfnis nach Freiheit verspüren, so wie Mickey und Mallory, die getrieben von dem Wunsch sind, auszubrechen. Sie sind verbunden durch ihren Schmerz und sie ziehen rastlos durch Tag und Nacht in einem Feuer aus Leidenschaft. Es existieren keine Tage und keine Nächte mehr und alles, was geschieht ist nur ein einziges überwältigendes Rauscherlebnis.
Wie im Drogenrausch tauchen mal bunte, mal schwarz-weiße Bilder oder Cartoons ohne Vorwarnung auf und man kann sie nicht kontrollieren. Genauso wenig, wie man einen LSD-Trip kontrollieren kann. Diese Bilder, die immer wieder aufflackern, sind poetisch und wunderschön zugleich und sogar die Momente, in denen nicht gesprochen wird, sind von solch einer unbändigen Kraft und dunkler Energie erfüllt, dass sie die dunkle Seite in jedem Menschen wachrütteln, sodass man diesen Ruf nicht mehr überhören kann. Was macht Serienkiller eigentlich so verdammt sexy? Es liegt vermutlich an ihrer Glorifizierung durch Massenmedien. Natural Born Killers untersucht dieses Phänomen in aller Ausführlichkeit und stellt eine berechtigte Frage: „Wer ist eigentlich schlimmer, die Serienkiller oder die Menschen, die sich an ihnen aufgeilen?“ Die Massenmedien, die den tausendsten Bericht über diejenigen bringen, die Hunderte von Menschenleben ausgelöscht haben und Serienmörder feiern, als wären sie Popstars, tragen auch in gewisser Weise Verantwortung für ihre Berichte. An dieser Stelle kann man sich fragen: „Was war zuerst da? Das Huhn oder das Ei?“ Wenn man eine Analogie zu Serienkillern bildet, dann stellt sich die Frage: "Wird ein Serienkiller von der medialen Aufmerksamkeit dazu verleitet, noch mehr Menschen zu töten oder würde er die Morde begehen, wenn niemand ihm zujubeln würde?"
Die Untersuchung der menschlichen Natur ist genau das, was Natural Born Killers so faszinierend macht. Alle Menschen streben nach Anerkennung, ob nun bewusst oder unbewusst und was passiert, wenn sie diese Anerkennung bekommen? Sie wollen sicherlich noch mehr von den Dingen tun, die ihnen diese Anerkennung verschafft hat. So wie Mickey und Mallory, die hervorragend von Woody Harrelson (Die Tribute von Panem - Catching Fire) und Juliette Lewis (From Dusk Till Dawn) verkörpert werden und in ihren Rollen so richtig aufblühen. Man könnte glatt glauben, dass die beiden tatsächlich Serienkiller sind, so wie Bonnie und Clyde. Doch auch wenn der Film eigentlich Natural Born Killers heißt, wirft er aus viktimologischer Sicht eine spannende Frage auf: „Sind die Opfer von heute eigentlich die Täter von morgen?“ Im Laufe des Films werden Bilder von dem kleinen Mickey und der kleinen Mallory gezeigt und diese beiden Kinder schauen unschuldig und ängstlich aus und wenn man in ihre Gesichter blickt, weigert man sich daran zu glauben, dass Menschen von Natur aus böse sein können. Das soziale Umfeld hat bei der Entwicklung eines Serienkillers meistens ein entscheidendes Wörtchen mitzureden.
Umso mehr freut man sich für die Figuren, wenn sie endlich Rache an ihren Peinigern üben können, an den Menschen, die ihnen viele schlimme Dinge angetan haben und dafür endlich bestraft wurden. Man verspürt in gewisser Weise Genugtuung, weil man mit Mickey und Mallory von Anfang an sympathisiert. Die Figurenzeichnung ist überragend, denn man möchte an ihrem Schicksal teilhaben und fühlt mit ihnen mit. Schwankend zwischen Licht und Schatten, zwischen Liebe und Hass, zwischen Gut und Böse ziehen sie uns magisch an. Laut Mickey steckt in jedem ein Dämon, vielleicht ist es auch der Grund, warum man sich mit den Figuren so sehr verbunden fühlt. Für gewöhnlich bringt man niemanden um, auch wenn die Menschen einem schlimme Dinge antun, doch dank Mickey und Mallory, darf man wenigstens eine Ersatzbefriedigung verspüren, weil ihre ersten Morde nachvollziehbar erscheinen. Wenn man als Kind misshandelt oder missbraucht wird, wäre es geradezu unnatürlich, wenn man sich nicht vom ganzen Herzen wünschen würde, dass sein Peiniger sofort tot umfällt.
Auch wenn es im Film um Morde geht, sind sie trotzdem mehr oder weniger nur Nebensache, denn viel wichtiger ist die leidenschaftliche Liebe zwischen Mickey und Mallory. Insofern kann man nur froh sein, dass Tarantino nicht Regie geführt hat, denn wenn er es getan hätte, dann hätten sich Mickey und Mallory gleich zu Beginn des Films erstmal eine Stunde im Diner aufgehalten und mit der Bedienung gequatscht und ihr dann ein paar Körperteile abgehackt. Doch so wie die erste Szene inszeniert war, war sie einfach perfekt. Weniger Gequatsche und mehr Taten, mehr Leidenschaft und mehr Gefühle. Wenn die Gewalt nur um der Gewalt willen inszeniert wird, also nur um zu schockieren, dann kann es schon mal gewaltig nerven. Doch es geht hier nicht nur um exzessive Gewalt. Es geht um wahre Liebe, um Freiheit und um Dämonen, die nur darauf warten befreit zu werden. Deswegen kann man sich bei Oliver Stone eigentlich nur bedanken, dass er die Geschichte gerettet hat. Nichts für ungut, Tarantino hat großartige Filme gemacht, siehe Pulp Fiction, aber Natural Born Killers war einfach nicht für ihn bestimmt und das ist auch gut so.