MB-Kritik

Obscuro Barroco 2018

Documentary

Inhalt

Langsam und elegisch gleitet die Kamera erst über einen in dichten Nebel gehüllten Wald, dann über das Panorama von Rio de Janeiro. Rio sei eine Fabrik der Träume und Alpträume, sagt eine Stimme aus dem Off, eine Stadt der Transformationen. In ihrem essayistischen Film Obscuro Barroco folgt die griechische Regisseurin Evangelia Kranioti den poetischen Worten ihrer transidenten Erzähler*in Luana Muniz, Ikone der queeren Subkultur Brasiliens. In einem schlafwandlerischen Fluss von Kamerabildern begibt sie sich in die pulsierende Welt der Nachtgestalten. Ein Bewusstseinsstrom aus dem Underground Brasiliens fließt mitten hinein in den Straßenkarneval der Stadt. Zwischen Masken und Make-up, jungen, nackten und neuen Körpern und dem Spektakel des Feuerwerks kommen Menschen zum Vorschein, deren Transformationen kein klares Geschlecht mehr kennen. Ein weißer Clown führt uns durch den Film, in dessen Bildwelten unvermittelt auch Proteste gegen die Regierung ihr ungeschminktes Gesicht zeigen. In geschlossenen Räumen fallen die Hüllen, die „Transvestiten“ werden besungen und feiern sich selbst, bis der Traum in eine tänzerische Ekstase mündet.

Kritik

Das Versprechen mystischer Schönheit lastet schwer auf dem konturlosen Bilderbogen, den Evangelia Kranioti vom Heimatland ihrer Leitkommentatorin Luana Muniz (Exotica, Erotica, Etc.) ausbreitet. Weder löst die griechische Filmemacherin es ein, noch findet sie eine Neuinterpretation des gewichtigen Oberbegriffs. Ihre zwischen Dokumentation und Erzählkino fluktuierende Installation kreist um kulturelle und subkulturelle Stereotypen Brasiliens, das die ziellose Hommage mit der selbst entworfenen Identität der Erzählerin verknüpft. Wenn Rio de Janeiro eine Person wäre, wäre sie ein Transvestit, sinniert Muniz. Aber nicht irgendeiner, sondern vorzugsweise sie selbst. Ohne selbstironische Brechung verdeutlichen solche Aussagen das hohe Maß an Egozentrik und der daraus resultierenden Einseitigkeit, beschränkt nicht nur das inhaltliche Spektrum, sondern den narrativen Rhythmus und die visuelle Exploration.

Die in den Monologen beständig evozierte Hauptstadt bleibt ein Rätsel. Ihre Geheimnisse bleiben unberührt, ihre Einzigartigkeit gegenüber andern Orten vermitteln weder Worte, noch Bilder. Letzte mögen in den ersten Minuten noch vage optische Anziehungskraft ausüben, doch der Reiz verfliegt schnell. Kaum ein paar Minuten hält die Inszenierung durch, bevor sich der wohl bekanntesten kulturellen Facette des Landes widmet: dem Karneval. Fortan klebt die Kamera an vibrierenden Körpern, gekleidet in bunten Federschmuck und funkelnde Strass-Bikinis. Die nominelle Verbindung zu Transvestismus und Transsexualität wird inszenatorisch deutlich herausgestrichen, doch nie hinterfragt oder vertieft. Der Mangel an diskursivem Gehalt ist das Hauptproblem des Bilderbogens, dessen auf den ersten Blick positive Assoziationen durchaus ambivalent interpretiert werden können. 

Sieht Kranioti Transidentität als Akt des Verkleidens? Oder betrachtet sie umgekehrt die vielfach zum touristischen Spektakel verkommenden Karnevalsprozessionen als authentische Form Selbstausdrucks? Ist der einzig relevante Aspekt von Rio de Janeiros Trans-Community tatsächlich deren Partylaune? Wo bleibt der alltägliche Kampf gegen Armut und Diskriminierung? Würde dessen Anerkennung der Gemeinschaft, als deren Ikone Muniz bezeichnet wird, nicht weit mehr nützen als das Image fröhlich-bunter Party People? Und mal was ganz anderes: Warum läuft dieser betrübt dreinblickende Harlekin durch den Film? Wahrscheinlich ist er Symbol. Wir alle seien Symbole, die sich mit Symbolen beschäftigen, heißt es. Doch alle Versuche, die opake Bildsprache künstlerisch zu überhöhen, sind aufgrund der inhaltlichen Leere zum Scheitern bestimmt.

Fazit

Rio de Janeiro bezeichnet die filmische Annotation als Stadt der Träume und Albträume. Das klingt nicht nur abgedroschen und austauschbar, sondern steht in eigentümlichen Widerspruch zu den ganz der Traumseite verschriebenen Szenen. Sie zeigen Brasiliens Metropole als glitzernde Silhouette, in deren Kulturszene Figuren wie die transsexuelle Erzählerin auf fast magische Weise aufgehoben sind. Doch die Symbiose von Topographie und Individuum, vereint in Metamorphose, entspringt einem selektiven Katalog touristischer Attraktionen.

Autor: Lida Bach
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