Inhalt
Janis steht kurz davor, alleinerziehende Mutter zu werden, wie schon ihre Mutter vor ihr und deren Mutter vor dieser. Im Kreißsaal lernt sie die weitaus jüngere, ebenfalls schwangere Ana kennen, mit der sie bald eine Freundschaft verbindet. Janis' unmittelbares Glück der Mutterschaft währt allerdings nur eine gewisse Zeit, reiht sich doch ein unglaublicher Schicksalsschlag an den nächsten, die allesamt ihr Leben aus den Fugen zu reißen drohen. Unterdessen setzt sich Janis mit der eigenen Familiengeschichte aus der Zeit des Spanischen Bürgerkrieges auseinander.
Kritik
Alles in Pedro Almodóvars (Alles über meine Mutter) neuem Film scheint auf beinah unmögliche Weise miteinander verbunden. Die von Almodóvar-Muse Penélope Cruz (Volver) gespielte Fotografin Janis lernt bei einem Foto-Shoot Arturo (Israel Elejalde, Love Above All Things) kennen, der ihr durch seine Kontakte dabei helfen kann, ein persönliches Projekt zu finanzieren: Es geht darum, ihre Vorfahren zu exhumieren, die während des Spanischen Bürgerkriegs, wie viele, viele andere Spanier*innen unter großer Hast und widrigsten Umständen, in Massengräbern bestattet wurden. Die Koordinaten kennt Janis genau, erinnert doch die Generation ihrer Großeltern noch derer, die dort, vor Ort, einst gefallen waren; eine Generation, die ihr Heimatdorf niemals hatte - niemals hätte - verlassen können, weil mit ihrem Weggang vermutlich auch das Andenken ihrer Männer verblasst wäre. Die Verquickung des Privaten mit dem Beruflichen noch intensivierend geht Janis alsbald auch eine zwanglose Affäre mit dem verheirateten Arturo ein, und als sich die fast Vierzigjährige nach einem harten Schnitt schwanger im Kreißsaal wiederfindet, bezeichnet sie das gegenüber ihrer ungleich jüngeren Zimmernachbarin Ana (Milena Smit, Cross the Line) zwar als einen Unfall, allerdings als einen der glücklichen Sorte. Es ist eine Begegnung, die die beiden auf lange Zeit miteinander verbinden wird, jener parallele Eintritt in die Mutterschaft.
Die Erzählweise Madres Paralelas' erinnert stark an Almodóvars autofiktionalen Leid und Herrlichkeit. Die Vergangenheit findet wiederholt ihren Weg in die Gegenwart, kann gleichermaßen aufgerufen werden, wie sie sich auch auch ungefragt selbst hin und wieder aufzwängt, mal, um auf die Gleichförmigkeit, die Parallelität von Ereignissen hinzuweisen, mal aber auch, um kleine und größere Abweichungen zu akzentuieren. Ohne Ankündigung oder visuelle Marker funktioniert dieses Hin- und Herspringen in der Zeit, ganz so, wie uns auch hin und wieder Tagträume und Erinnerungen in den Sinn kommen, um das Jetzt zu überlagern. So zum Beispiel, wenn Janis zur Wohnungstür tritt und sich auf ihrem Weg dorthin die Zeit um Monate weiterdreht, wir aber ob des selbigen Outfits dies erst durch die Person realisieren, die sie an der Türschwelle empfängt. Mag es sich bei einer Diskussion von Vergangenheit und Gegenwart um eine elegante Rahmung der Geschichte handeln, so nimmt das Gerahmte, die Gegenwart, doch klar den Schwerpunkt in Madres paralelas ein. Zwiebelartig fügt Almodóvar einer sowohl scheinbar leichten als auch einfachen Handlung nach und nach neue Schichten hinzu, die die Beziehungen zwischen Janis, ihrer Kreißsaalfreundin Ana und Arturo zunehmend bis zur Ungläubigkeit verkomplizieren, ohne auch nur ansatzweise in die Falle einer auserzählten Ménage à trois zu tappen. Die zahlreichen Wendungen, mit denen Almodóvars Geschichte aufwartet, werden bei vielen Erinnerungen an Seifenopern hervorrufen, doch ist es gerade der Kontrast des Prosaischen der Telenovela mit dem Historischen des Krieges, den Almodóvar auf gleichsam irritierende wie faszinierende Weise erzeugt.
Bisweilen kommt Madres paralelas gar wie ein Theaterstück daher, wozu zum einen das dialoglastige Drehbuch seinen Beitrag leistet, was zum anderen aber noch stärker durch die vielen Schwarzblenden evoziert wird, mit denen Almodóvar seine Szenen abschließt und bei denen man bisweilen glaubt, die Figuren in der Bewegung erstarren zu sehen, bevor das Schwarz sie umhüllt – ganz so, wie man es von der Bühne gewohnt ist. Für solche Fälle ist es sicher nicht von Nachteil, auf eine Penélope Cruz in Bestform zurückgreifen zu können, der es gelingt, mit jedem Schicksalsschlag, den der spanische Altmeister ihr zumutet, eine neue Facette der Erschütterung auf ihrem Gesicht abzubilden.
Generell lässt sich festhalten, dass sich dieses Spätwerk Almodóvars unwahrscheinlich zärtlich und elegant ausnimmt. Wann immer seine letzten Filme drohten, eine zu seichte Ausfahrt zu nehmen, fügte er ihnen entweder mit dem Element der Autofiktion in Leid und Herrlichkeit eine persönliche oder in Madres paralelas eine kulturhistorische Dringlichkeit hinzu, was eine willkommene Ergänzung zum reichhaltigen Werk des Spaniers darstellt und ihn davor bewahrt, sich in den profanen Krisen der oberen Mittelschicht zu verlieren, jenes Milieu, dem seine Figuren zumeist angehören. Wollte man sich an etwas in Madres paralelas stören, so wäre es vermutlich der Umstand, dass sich der Wunden des spanischen Bürgerkrieges, die sich hier als noch Generationen später nicht verheilt darstellen, nur in Form einer poetischen Rahmung angenommen wird. Allerdings lohnt es sich, über die Frage nachzudenken, ob es nicht gerade die Zusammenkunft des Prosaischen mit dem Historischen ist, die die kleinen und großen Dramen des Alltags in eine neue Perspektive rückt.
Fazit
Mag Madres paralelas auf den ersten Blick auch wie ein bloßes Beiwerk des späten Almodóvar anmuten, so zeigt sich mit zunehmender Dauer die Weitsicht des Spaniers, der hier auf geschickte Weise das Vergangene mit dem Gegenwärtigen, das Singuläre mit dem Kollektiven und das Prosaische mit dem Historischen verbindet.
Autor: Patrick Fey