Inhalt
Duszejko, eine pensionierte Brückenbauingenieurin, lebt zurückgezogen in einem Bergdorf an der polnisch-tschechischen Grenze. Sie ist charismatisch, exzentrisch, eine leidenschaftliche Astrologin und strikte Vegetarierin. Eines Tages sind ihre geliebten Hunde verschwunden. Wenig später entdeckt sie in einer verschneiten Winternacht ihren toten Nachbarn und bei dessen Leiche eine Hirschfährte. Weitere Männer sterben auf mysteriöse Weise. Alle hatten ihren festen Platz in der dörflichen Gemeinschaft, alle waren passionierte Jäger. Haben wilde Tiere die Männer auf dem Gewissen? Oder lässt sich ein Mensch zu einem blutigen Rachefeldzug hinreißen? Irgendwann fällt der Verdacht auf Duszejko ...
Kritik
Eines ist sicher: Wer geboren wird, muss auch sterben. Das universelle Fazit steht zu Beginn von Agnieszka Hollands fesselnder Exposition des zivilisatorischen Sadismus. Es ist der zweite Berlinale-Wettbewerbsbeitrag einer osteuropäischen Regisseurin über den sozialen Status von Männlichkeitsidealen, Machtritualen und lizenzierten Massenmord. In ihrem bissigen Ökokrimi dekonstruiert die polnische Filmemacherin die evolutionsbiologisch und religiös gerechtfertigte Barbarei, die schon Kinder von klein auf erlernen. Vor hässlichen Wahrheiten scheut sie nicht zurück und erntet dafür auch Ablehnung im Kinosaal. Seine eigene Verworfenheit filmisch bloßgestellt zu sehen entspricht nicht jedermanns Vorstellung von Unterhaltung.
Einen „Holocaust“ nennt ihre energische Protagonistin das systematische Abschlachten in dem kleinen polnischen Ort, den eine mysteriöse Todesserie heimsucht. Tatsächlich sind es zwei Mordreihen, die in den Wäldern ihre blutige Spur hinterlassen. Die eine wird polizeilich untersucht, die andere ist behördlich sanktioniert. Die erste Todesabfolge trifft Anwohner, die selbst abstoßende Übeltäter sind. Die zweite befällt unschuldige Individuen, die meist nicht mal einen Namen haben. Bjalka und Lea sind da Ausnahmen. Als die Hunde der Grundschullehrerin Duszejko (Agnieszka Mandat) eines Tages nicht vor ihrem Waldhaus warten, ahnt sie deren Schicksal bereist. Es ist Jagdsaison.
Die Handlungskapitel beginnen mit einer Aufzählung der Tiere, die diesen Monat auf der Abschussliste stehen. Wenn mehr Biester abgeknallt werden, wen interessiert das? „Gott hat die Tiere den Menschen untergeordnet“, sagt der Priester zur trauernden Duszejko, „Tiere haben keine Seele.“ Eine identische Aussage fällt in einem Sektionen-Film dieser Berlinale; einer Dokumentation über Fleischkonsum. Mit den Neuankömmlingen Dobra (Patrycja Volny) und Dyzio (Jakub Gierszał) folgt die verschrobene Protagonistin der titelgebenden Fährte, die sie neben einer Männerleiche entdeckt: Hufabdrücke. Eines ist sicher: Wer geboren wird, muss auch sterben. Die Bestie Mensch ist keine Ausnahme.
Fazit
Agnieszka Holland reißt der Tyrannei einer von falschen Idealen der Frömmigkeit, Potenz und Allmacht besessenen Kultur die Maske herunter. Das Wilde in den Außenseitercharakteren und der Fauna offenbart sich als zwischen Gefährdung und Gefährlichkeit alternierende Urkraft. Erhabene Naturszenen und detektivische Spannung verwachsen zu einem rabenschwarzen Meisterwerk über Verlogenheit, Gier und Perversion.
Autor: Lida Bach