Inhalt
Die junge Kriminalpsychologie-Studentin Katie Armstrong hat sich für ihre Abschlussarbeit ein ungewöhnliches Thema ausgesucht. Sie möchte einen Blick auf die medialen Schlagzeilen und die Hintergründe zu einem Mordfall in Deutschland werfen. Mit Oliver Hartwin findet sie einen Verbrecher, der über das Internet ein Opfer gesucht hat, welches bereit war, sich von ihm töten zu lassen. Das Opfer war Simon Grobeck, der in Hartwins Pläne eingewilligt und sich mit ihm auch getroffen hat.
Kritik
Jeder wird sich daran erinnern, wie der Name Armin Meiwes im Jahre 2002 zum ersten Mal in den Abendnachrichten auftauchte: Der „Kannibale von Rotenburg“ erlebte damals seine mediale Inkarnation. Egal, auf welchem Sender man sich befand, ob es die Öffentlich Rechtlichen oder doch die Privaten waren, egal welche Zeitung man aufschlug, Armin Meiwes wurde unaufhörlich durch den Fleischwolf gedreht, seine blutrünstige Tat in plakativer Ausschlachtung wieder- und wiedergekäut, während die Massenmedien ihr Antlitz selbstredend in ein Sammelbecken inbrünstiger Sensationsgier tunkten, bis der toxische Geifer nur so aus den Mundwinkeln tropfte. Der ehemalige Zeitsoldat und Bankangestellte wurde ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr als Mensch wahrgenommen, sondern nur noch unter dem reißerischen Schlagwort 'Monster' publiziert. Doch wie muss man juristisch gegen einen Mann vorgehen, der einen anderen Menschen, den 43-jährigen Diplom-Ingenieur Bernd Brandes, auf dessen Einverständnis (!) kastrierte, zerteilte und anschließend Teile von ihm verzehrte?
Vor Gericht plädierte Meiwes' Verteidigung auf „Tötung auf Verlangen“, verurteilt wurde er am 30. Januar 2004 allerdings wegen Totschlags, bis der Bundesgerichtshof den Fall am 22. April 2005 erneut aufnahm und Armin Meiwes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes und Störung der Totenruhe verurteilte. Nun schleicht sich eine weitere Ebene in den verstrickten und allseits diskutierten Fall: Darf man einen Film über eben jenes Verbrechen drehen und den Täter wie das Opfer auf der Leinwand behandeln? Armin Meiwes gab damals sein Einwilligung für eine Dokumentation über seine Person, nicht aber für einen Spielfilm. Auf seinen Antrag hin erließ das Oberlandesgericht Frankfurt am Main eine einstweilige Verfügung, die die Aufführung von „Rohtenburg“ untersagte und den anvisierten Produktionscoup, den Film mitten in den gerichtlichen Verhandlungen in die Kinos zu bringen, durchbrach. Es sollte bis zum 26. Mai 2009 andauern, bis das Verbot durch den VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs unter Berücksichtigung der Kunst- und Filmfreiheit aufgehoben wurde und „Rohtenburg“ fand mit etwas Verspätung seinen Weg in die Lichtspielhäuser.
Also: Darf man einen Film über Armin Meiwes und Bernd Brand drehen? Geht etwas derartiges einher mit den ethischen Vorstellungen unserer Zeit und kann uns dieses Werk wirklich helfen, die Motivation der beiden Männer für Handeln näher zu bringen? Nun, natürlich hat man als mündiger Bürger das Recht darauf, sich mit einem solchen Geschehnis auseinanderzusetzen – auch in Form eines Spielfilmes, wie uns die Vergangenheit mittels massenweisen anderen Streifen vorführte. Das Problem liegt eben nicht darin, OB ein Film gedreht wird, sondern darin, WIE er mit seiner reellen Thematik umgeht. Und unter diesem Gesichtspunkt versagt „Rohtenburg“ einfach ganz gewaltig. Um seinen Fokus nicht zu stringent auf die Psychologie von Armin Meiwes (der Film auf den Namen Oliver Hartwin getauft wurde) und Bernd Brandes (im Film Simon Grombeck) zu verlagern, hat sich der doch so um Realitätsnähe erpichte Film dazu entschlossen, ein rein fiktionales Gerüst um den tatsächlichen Vorfall zu errichten. Mit der Kriminalpsychologin Katie Armstrong (Keri Russell, „Planet der Affen: Revolution“), versucht das Drehbuch die Gegenwart und Vergangenheit zu verknüpfen und die heimliche Faszination für den Vorfall anzusprechen.
Katie ist geradezu vernarrt in Tatvorgang des Oliver Hartwin (Thomas Kretschmann, „Dracula 3D“), doch das Drehbuch bewerkstelligt es zu keiner Zeit, ihr unbändiges Interesse an dem Kannibalen und seinem Opfer Simon (Thomas Huber, „Lindenstraße“) irgendwie in logische, in nachvollziehbare Bahnen zu kanalisieren. Ihre Recherchen, die alsbald in eine gewisse Obsession münden, gleichen einer heftigen Hobbymorbidität, die dahingehend als solche entschleiert wird, wenn sie gegen Ende wirklich in den Genuss des von Oliver Hartwin angefertigten Videos kommt. Dem Drehbuch (verfasst von T.S. Faull) gelingt es aber keineswegs besser, seine eigentlichen Hauptakteure differenziert zu durchleuchten und basiert dessen angefertigte Ätiologie auf einem küchenpsychologischen Raster der Sonderklasse. Anstatt das zerrüttete Wesen der beiden Männer zu grundieren, werden die simpelsten Motive ausgepackt und Oliver Hartwin leichthin auf einen von seiner Mutter übertätschelten, an einer Bindungsstörung leidenden Gewaltvideokonsument denunziert, um aus Simon Grombeck auf der anderen Seite einen an seinem Schuldkomplex langsam zugrunde gehenden Jammerlappen zu machen, der sich doch nichts sehnlicher wünscht, als dass ihm endlich jemand den Penis abbeißt. Videoclip-Regisseur Martin Weisz verfällt bei der Dechiffrierung seiner Geschichte einem Voyeurismus, der sich, ähnlich wie die Medien, Nüchternheit zu suggerieren versucht, sich in Wahrheit aber doch nur an der Tat laben möchte.
Fazit
Die exponierte Schockstarre, wie sie in Deutschland angeblich kursierte, findet ihr filmisches Äquivalent in der kinematografischen Ausreizung: Ein stichhaltiges, vielleicht sogar sensibles Psychogramm über zwei Männer, die gefangen in den Tiefen ihrer seelischen Qualen schicksalhaft zueinanderfinden, wird in „Rohtenburg“ selbstredend nicht angefertigt. Hier geht es nur um ein (pseudo-)realistisches, frei von jeder Differenzierung gehaltenes und grässlich simplifizierendes Illustrieren des populären Falls vom sogenannten „Kannibalen von Rotenburg“. Mahlzeit.
Autor: Pascal Reis