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Für die einen ist Stanley Kubricks Film "Shining" ein Meilenstein des Horrorfilms, für die anderen ein Werk weit unter den Möglichkeiten des Meisterregisseurs. Dazwischen blühen Verschwörungstheorien von Leuten, die in dem 1980 veröffentlichten Klassiker geheime Botschaften vermuten. Fünf dieser etwas anderen Kubrick-Exegeten kommen in "Room 237" zu Wort. Der Film gleicht ihre skurrilen Mutmaßungen mit Originalszenen aus "Shining" ab - und geht noch weiter: Er dringt in ihre Köpfe ein und visualisiert ihre Bewusstseinsströme. Ein abgefahrener Trip durch ein Labyrinth ohne Ausgang, in dem die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion fließend sind.
Kritik
Wussten Sie eigentlich schon, dass eine Dose Backpulver Stanley Kubricks Intention hinter „The Shining“ verrät? Oder das Kind Danny mit seinem Dreirad nicht bloß durch die Flure des Overlook Hotel rast, sondern gleich durch verschiedenen Dimensionen? Aber das Kubricks Stephen King Verfilmung eigentlich den Holocaust zum Thema hat, ist Ihnen aber schon längst aufgefallen, oder? Wenn Sie „The Shining“ von Kubrick gesehen haben, aber all dies nicht erkennen konnten, dann schauen Sie sich doch mal die Dokumentation „Room 237“ von Rodney Ascher an. Dieser lässt sogenannte Experten über den Horrorfilm von 1980 schwafeln, gibt ihnen Raum ihre Theorien ungehemmt und kommentarlos zu verbreiten und lässt einen nach gut 100 Minuten so ratlos wie vergnügt zurück.
Eines muss klargestellt werden: die Betrachtungen die hier vorgenommen werden, haben herzlich wenig mit echten, seriösen Filmanalysen zu tun. Mehr sind es Fans, obsessive Theoretiker, die hier ihre Ansicht preisgeben und dabei teils wirklich interessante, teils aber einfach nur hanebüchene Behauptungen aufstellen, die in ihrer subjektiven Wahrnehmung oftmals sogar die Grenze zur Lächerlichkeit überqueren. Dabei gibt es ein Wiedersehen mit altbekannten Verschwörungstheorien, etwa das Kubrick einst die Mondlandung inszenierte, aber auch mit durchaus plausiblen schlüssigen und amüsanten Verweisen, z.B. wie Kubrick visuell King klar macht, dass er nun „The Shining“ in der Hand hat. Natürlich, wirklich objektiv beweisen kann niemand der hier sprechenden Experten seine aufgestellten Behauptungen und dennoch gibt es immer wieder Momente, in welchen der Enthusiasmus der Redner spürbar ist. Selbst wenn ihre Hypothesen vielleicht letztlich nur die Essenz aus Ignoranz gegenüber anderen, populären wie einfacheren Meinungen zu „The Shining“ sowie zu viel Freizeit sind, so ist ihre Konfrontation mit Kubricks Werk dennoch äußerst faszinierend.
Wo Faszination ist, sind störende Absonderheiten aber nicht fern und wenn einer der Interviewten darauf pocht mit „The Shining“ beweisen zu können, dass die Apollo 11 Mission nur ein Betrug war, wandelt sich bezaubernde Begeisterung rasch in erstklassige Fremdscham.
„Room 237“-Regisseur Ascher löst dieses Problem nicht, versucht es aber mit der einfachsten aber wohl auch besten Mittel zu umgehen, bzw. zu entschärfen: er lässt die Experten partout im Anonymen agieren. Der Zuschauer erfährt den Namen, aber zu Gesicht bekommt er keinen der „Shining“-Freaks. Während andere Dokumentationen voll mit sogenannten Talking Heads sind, füllt Ascher seinen „Room 237“ mit einer mannigfaltigen Anzahl von Filmclips (meist aus anderen Kubrick-Werken) und entwirft somit ein durchaus hypnotisierendes, cineastisches Mosaik.
Im visuellen Höhenpunkt gipfelt diese Collage dann in einem durchaus ansehnlichen, anregenden und höchst bannendes Experiment, welches auf einer Vermutung eines „Shining“-Experte basiert, der sich leider nicht für den Film befragen lassen wollte: „The Shining“ wird übereinander projiziert. Einmal chronologisch laufend, einmal rückwärts. Dabei kommen wahrlich grandiose Bilder zu Stande. Ob da hinter die Lösung hinter Kubricks Horrorfilm steckt bleibt aber - wie jede andere Theorie - bloße Spekulation.
„Room 237“ funktioniert in vielen Bereichen. Als Abhandlung über das Faszinosum Kubrick, als Theorien-Best-of rund um „The Shining“, aber auch als Ansammlung von teils etwas wirr wirkenden menschlichen Stimmen die meinen mehr in etwas zu sehen, als es andere tun. Das ist teils reizvoll, oft amüsant, hin und wieder schleichen sich aber sogar bemitleidenswerte Gedanken hinein.
Diese Koryphäen, was müssen das für Menschen sein? Allesamt nur Freaks? Nur sture Fanatiker? Es gibt einen Moment, da bricht Regisseur Ascher dies auf. Einer seiner Gesprächspartner unterbricht kurz das Interview, um sich um seinen kleinen Sohn zu kümmern. Glück gehabt. Nur ein Mensch. Ein normaler Vater dessen Hobby eben nicht sein Motorrad oder Fantasy-Football ist, sondern eben „The Shining“. Aber war Jack Torrance nicht auch nur ein Vater…?
Fazit
Eine durchaus liebenswerte Sammlung von diversen Theorien zu einem der besten Horrorfilme aller Zeiten. Im ständigen Wechsel zwischen abstrus und interessant werden diverse Fan-Vermutung preisgegeben. Am Ende ist man Kubricks Film an sich nicht wirklich näher gekommen, aber bei der nächsten Sichtung von „The Shining“ wird man ganz sicher auf einige Details mehr achten und so vielleicht für sich ganz persönlich etwas Neues mitnehmen.
Autor: Sebastian Groß