Inhalt
Die letzte Mission einer Familie von Entdeckern in ein unerforschtes und tückisches Land voller fantastischer Kreaturen gerät durch Differenzen untereinander in Gefahr.
Kritik
Die heile Disney-Welt fällt auseinander. Diesen Eindruck erzeugen die Disney-Produktionen der letzten Jahre. Stand Disney stets für innovative Animationstechniken, spitz gezeichnete Welten und eingängige Geschichten, so haben die Disney-Filme der letzten Jahre große Probleme sich in eine Reihe mit Filmen wie Das Dschungelbuch, Aladdin oder auch Die Eiskönigin zu stellen. Mutlose Fortsetzungen wie Chaos im Netz und die Eiskönigin 2, aber auch das Musical Encanto sorgten für Irritationen. Letzteres enttäuschte besonders, da er für einen Disney-Film weder eingängig erzählt war noch ikonographische Momente enthielt. Disneys Diversity-Politik, nur so lässt sich schlussfolgern, steht über dem kreativen Anspruch des Studios. Jede Minderheit, jede Ethnie bekommt ihren Film. Alles weitere ist zweitrangig. Strange World, der neuste Film der Meisterwerk-Reihe, steht ebenfalls ganz im Zeichen dieser Repräsentationslogik. Immerhin: rasant animierte Bilder und werden uns hier präsentiert. Die Ästhetik von Strange World erinnert an Horror- und Science-Fiction-Filme der 50er-Jahre. Ed Wood, die Creature from the Black Lagoon und das Ding aus einer anderen Welt lassen grüßen. Nebenbei erzählt Strange World nicht nur von einer diversen, fortschrittlichen Gesellschaft, sondern auch von einem historischen Generationenkonflikt.
Searcher Clade, Sohn des verschollenen Abenteurers Jaeger Clade, entdeckte als Kind die Pando-Pflanze, dessen Früchte ein ungewöhnliches Aufkommen an Energie enthalten. Er kultivierte sie und konnte den technischen Fortschritt im Land Avalonia in kürzester Zeit vorantreiben. Die Pando-Pflanzen sind alle mit einem unterirdischen Wurzelsystem verbunden, welches jedoch zu sterben droht. Zusammen mit einem Team aus Wissenschaftlern machen sich Searcher und sein Sohn Ethan Clade auf, um im Erdinnern nach der Ursache für das Pflanzensterben zu forschen. Sie begeben sich in eine Art innere Hohlwelt, in der sie nicht auf ihren verschollenen Vater und Großvater Jaeger Clade treffen, sondern auch auf unentdeckte Welten, die ihnen mehr über sich und ihr Verhältnis zur Natur verraten.
Strange World will eine große Parabel, nicht nur über den Klimawandel, sondern auch über das grundsätzliche Verhältnis des Menschen zur Natur sein. Erzählt wird dieses Gleichnis anhand der drei Generationen in der Familie Clade. Großvater Jaeger Clade ist Avalonias letzter großer Entdeckter, eine Art Karikatur eines spätkolonialistischen Forschers des 19.Jahrhunderts. Sohn Searcher Clade wollte nie ein Abenteurer sein wie sein Vater. Seinen Lebenstraum erfüllte er sich mit der Kultivierung der Pando-Pflanze, mit der er es in kürzester Zeit zu unglaublichen Wohlstand geschafft hat. Er lässt sich als eine Art Self-Made-Milliardär des 20. Jahrhunderts deuten, als „guter Kapitalist“ der Nachkriegskonjunktur. Als letztes ist da Sohn Ethan. Er sieht, wie die Welt stirbt, die seine Familie entdeckt und aufgebaut hat. Er soll als Sinnbild dienen für die junge Generation des 21. Jahrhunderts, die vor der historischen Aufgabe steht, die Lebensgrundlage dieser Welt zu sichern.
Im Verlauf ihrer Reise findet die Crew heraus, dass die Pando-Pflanze nicht von der Natur der inneren Hohlwelt bedroht wird, sondern dass es die Pflanze selbst ist, die die Natur zerstört. Konnte man Pando zu Beginn des Films noch als Metapher für erneuerbare Energien lesen, wandelt sich das Bild der Pflanze in der Mitte des Films und steht später für jene schmutzigen Energien, deren ökologische Folgen man lange Zeit ignorierte. Als die Crew die wahren Zusammenhänge der Welt entdeckt, wollen einige es zunächst nicht glauben. Später versuchen sie aber zusammen die Auswirkungen der Pando-Pflanze einzudämmen. Gezeigt wird hier eine vollkommen fiktionale Welt, in der vernünftige Argumente und wissenschaftliche Erkenntnis zum Kampf gegen den Klimawandel führen. Selbst der Großkapitalist Searcher will Pando bekämpfen, nachdem er erfahren hat, wie schädlich die Pflanze für die Erde ist, obwohl er damit seine ökonomische Grundlage zerstört. Strange World ist keine kindgerechte Erzählung vom Klimawandel, sondern propagiert ein falsches Bewusstsein. Der Film leugnet die Existenz klimafeindlicher Strukturen und gesellschaftlichen Gruppen, die ein ökonomisches Interesse daran haben, ebenjene Strukturen aufrechtzuerhalten. Die heile Disney-Welt fällt nicht nur auseinander, sie ist dazu noch falsch. Strange World ist ein interessant animierter Film, der vom Märchen erzählt, wissenschaftliche Erkenntnis führe unentwegt zu Vernunft und Einsicht.
Fazit
Verkehrte Welt im Hause Disney. "Strange World" will kindegerecht den Klimawandel erklären und macht dabei wenig richtig. Immerhin recht hübsch anzusehen.
Autor: Kevin Gensheimer