Inhalt
Bei Bauarbeiten im norwegischen Dovre-Gebirge kommt es zu einem Zwischenfall von zunächst unklarer Herkunft. Als so etwas wie gigantische Fußspuren entdeckt werden, wird die Paläontologin Nora Tidemann hinzugezogen. Gemeinsam mit ihrem als verrückt geltenden Vater und dem Regierungsmitarbeiter Isaksen forscht sie nach, doch bald kann jeder das Resultat mit eigenen Augen sehen: ein riesiger Troll ist erwacht und zieht eine Schneise der Verwüstung auf seinem Weg nach Oslo.
Kritik
Trolle spielen in der skandinavischen Mythologie eine große Rolle, wobei jedes Land seine ganz eigene Interpretation dieser Fabelwesen hat. In Norwegen wurden sie in zahlreichen Volksagen und Märchen thematisiert und sind bis heute eine Art Markenzeichen des Landes. Das sie bisher so selten für cineastische Zwecke genutzt wurden, ist aus dieser Sicht relativ verwunderlich. Im Prinzip kommen einem nur zwei Filme in den Sinn: Trollhunter aus dem Jahr 2010 und dann noch ein Film von 2018, dessen Titel man aus Spoiler-Gründen an dieser Stelle nicht erwähnen sollte. Netflix sei Dank (was diesmal tatsächlich ohne Sarkasmus gemeint ist), kann nun Roar Uthaug sein eigenes Drehbuch im Dienste des Streaming-Giganten in die Tat umsetzen. Uthaug gelang schon mit seinem Langfilmdebut Cold Prey – Eiskalter Tod (2006) ein Überraschungserfolg. Damals zauberte er mit wenig Budget einen international konkurrenzfähigen Slasher aus dem Hut, der ihm über die eigenen Landesgrenzen hinaus schlagartig bekannt machte. Mit der Tomb Raider Neuauflage gab er 2018 sogar seinen Einstand in Hollywood, nun ist er aber wieder in der Heimat aktiv. Und hat Hollywood gefühlt mitgebracht, denn abermals muss sich dieser Film in vielerlei Hinsicht nicht hinter den dicken Monsterschlachten aus der Traumfabrik verstecken. Auch wenn er sich vielleicht nicht jeden Mechanismus dieser Werke zwingend hätte einverleiben müssen.
Allein optisch ist das hier eine ziemlich beeindruckende Geschichte. Das liegt zunächst nicht an der titelgebenden Kreatur, denn diese wird sinnvollerweise erst etwas später in voller Pracht präsentiert. Bis dahin gefällt aber bereits das authentische Setting und ermöglicht einen sehr schnellen Einstieg in eine Stimmung, die trotz der zahlreichen Parallelen zum US-Blockbuster dies hier angenehm eigenständig, dezent „exotisch“ gestaltet. Als dann der gut getarnte Titan sich endgültig erhebt, ringt es einem ehrlich gesagt ein nicht minder großes Staunen ab. Das dies so gut aussehen würde, hätte wohl kaum jemand bei so einem Projekt gedacht. In diesem Punkt ist man zweifellos auf Augenhöhe mit den ganz dicken Big-Budget-Brocken. Dahingehend ist Troll somit schon mal eine faustdicke, positive Überraschung und das Roar Uthaug ein guter Handwerker ist, steht sowieso außer Frage. Ein großer Vorteil ist auch das narrative Tempo, bei dem man eben nicht – wie heutzutage ja beinah selbstverständlich – auf Pi mal Daumen 140 Minuten ausgelegt ist, sondern das Ganze in angenehmen 103 Minuten erzählt, in denen ein in den Grundsätzen schon mal gelungener Genre-Film dieses Kalibers immer gut aufgehoben ist.
Bei allem Lob über die technische Präsentation muss und soll man natürlich auch die offenkundigen Defizite nicht unerwähnt lassen. Da gibt es Dinge, die sich so an fast jedem Film dieses Sub-Genres kritisieren lassen und die auch Troll eindeutig nicht besser macht. Wieso eine Paläontologin zu diesem Fall hinzugezogen wird und dann auch einen Großteil der „Operation“ mehr oder weniger im Alleingang managt, ist ziemlicher Unfug und auch sonst hat das im Grunde immer wieder Züge von Edel-Trash – aber nichts anderes ist auch z.B. Godzilla vs. Kong und der funktioniert unter dieser Prämisse auch wunderbar, also warum nicht? Gerade das Finish (Stichwort: Schloss) zieht sich diesen Schuh wohl sehr bewusst und nicht ohne das notwendige, entspannte Augenzwinkern an, was ihn nur noch sympathischer macht. Ein wirklich negativer Punkt ist da eher, dass der Film nicht noch mehr den „Heimvorteil“ einsetzt und an vielen Stellen eben sehr wirkt wie ein klassischer Hollywood-Film mit all den typischen Versatzstücken. Wenn er noch mehr so kleine Ideen einbringen würde (die „Schädel-Jagd“ im Schlussakt ist so eine) und noch mehr Aspekte der eigenen Mythologie verwenden würde, er hätte sich sehr deutlich von der Masse abheben können. Das wird immer so ein Bisschen nebenbei gedroppt, schlussendlich fühlt es sich aber dann doch sehr bekannt und gewohnt an. Trotzdem auf einem guten Niveau, auch wenn es längst nicht zu so einer bombastischen Zerstörungsorgie kommt wie auf der anderen Seite des Atlantiks in solchen Fällen. Dafür fehlte dann vielleicht doch das nötige Kleingeld, wenn der Rest schon so gut aussieht. Macht aber auch nichts, denn dann wurde definitiv in die essenzielleren Details investiert. Lieber ein paar weniger Häuserblocks in Schutt und Asche zerlegt und dafür sieht das Grundsätzliche vernünftig aus.
Fazit
Auch das kann Netflix sein: oft fühlt man sich hier wie in der wiederbelebten Videotheken-Ecke, in der dir vielversprechende Cover dämliche Stangenware als das nächste Must-See verhökern. Und dann gibt es da die wirklich teuren Nummern, bei denen man sich ehrlich fragt, wer hier das Budget verkokst hat. „Troll“ hingegen zeigt, dass die große Kohle des Streaming-Dienstes auch mal Sinnvolles und Gutes bewirken kann. In dem Fall, dass ein talentierter Regisseur aus Norwegen in seinem Heimatland einen Film realisieren kann, der so normalerweise wohl utopisch gewesen wäre. Das es dabei vielleicht etwas zu „angepasst“ an den Mainstream verläuft, sei dahingehend verziehen. Schlussendlich hat man hier eine überwiegend gute Zeit. Und vielleicht kommen dadurch noch mehr solche Projekte ins Rollen, was absolut begrüßenswert ist – mit Luft nach oben, aber das ist vollkommen okay.
Autor: Jacko Kunze