Inhalt
Der amerikanische Fotograf David (David Wissak) und seine russische Freundin Katia (Yekaterina Golubeva) sind seit längerer Zeit zusammen, doch inzwischen haben sie sich langsam auseinandergelebt. Kommunikation findet nicht mehr statt und wenn doch, artet sie schnell in Streitereien aus.
Kritik
Es sieht nicht gut aus für den Menschen. Und dieser selbst sieht noch viel schlimmer aus. Von Flecken übersäte Beine, strähnige Haare, zerkratzte Haut, zerkratzter Lack, zerstörtes Metall, mit Holz und Gewalt eingedrückter Schädel. Das Paradies, mit grünen Pflanzen, reicher Tierwelt, frischen Blüten und saftigem Obst. Hier, irgendwo in Kalifornien gibt es nichts als Sand, Kies, Geröll. Abgestorbene Bäume, die vereinzelt in der Ferne stehen, trockene Pflanzen, die ohne Wasser überleben. David und Katja fahren mit einem geliehenen Auto durch den Goldenen Staat, mit Ziel des kleinen Ortes Twentynine Palms. Dieser besteht aus einer Straße, Häusern an beiden Seiten - ganz wie im wilden Westen üblich. Als die beiden die Straße überqueren, werden sie von einem Einheimischen aufs Übelste beleidigt. Der Goldene Staat, der, wenn schon nicht mehr der Sand, dann doch wenigstens die Sonne farblich auf seiner Seite haben sollte. Doch hier zeigt Regisseur Bruno Dumont (Hors Satan) seine Art der Einstellung, die direkt in die Sonne gefilmt ist. Kein glitzernder Punkt in der Ferne, sondern ein an allen Rändern ausgefressenes Lichtbild. Blasser kann eine Einstellung nicht werden, enttäuschender kann man die Sonne, den Ursprung alles Lebens, nicht zeigen.
David, der Katja in Los Angeles aufgegabelt hat, ist auf der Suche nach Motiven für seine Arbeit als Fotograf. Doch viel mehr als auf der Suche, scheint er auf der Flucht zu sein - vor dem Dreck, der sich auf seiner Seele niedergelassen hat. Die beiden fahren und fahren, ohne ein Ziel zu haben (lediglich eine Motivation), ohne je auf ihre Arbeit zu sprechen zu kommen. Stattdessen haben sie alle naselang Geschlechtsverkehr. Im Pool ihres Motels, bei dem er ihr aus Versehen eine Kopfnuss verpasst. An den Steinhügeln in der Wüste, was David unterbricht, um mit ihr nach oben zu klettern, was ihr recht ist, weil sie zu trocken war. Wieder im Pool ihres Motels, wo David sie zum Fellatio drängt und sie zu lange unter Wasser hält. Wütend schwimmt sie von ihm weg. Nach einer Weile kommt er ihr nach; zwei sich bekannte Menschen sahen sich noch nie so fremd aus. Im Motel auf dem Bett, während er kommt, bricht er in Tränen aus. Im Motel auf dem Klo, wieder Fellatio, er kommt und schreit und schreit. Laute des Schmerzes, sei er nicht körperlich, dann seelisch.
Wiederkehrend ist auch die Einstellung, die David auf dem Bett sitzend zeigt, während er fernsieht. Beim ersten Mal sieht das Programm aus, als würde die Spurensicherung Fotografien von einem Tatort erstellen - im 360°-Kreis, aber der Raum, wo der Zuschauer wäre bleibt schwarz. Beim zweiten Mal ein Programm, wo ein Vater seiner Frau vor Publikum gesteht, Inzest mit der gemeinsamen Tochter getrieben zu haben. Beim dritten Mal schaut David, den Klängen nach zu urteilen, einen Cartoon. Es ist dieser Kontrast, der den Zuschauer auf den Rand des Sitzes treibt - gleich passiert etwas, das kann so nicht richtig sein. Auch David reagiert danach wütender, als sonst in dieser Situation. Es kommt zum Streit und alle Figuren verlieren Werte, Moral, die Macht. Das Paradies ist eine leere Schleife, in der nichts zum Frieden führt, jeder Versuch diesen doch zu erreichen in Schmerzen endet. Ebenso wie jeder Versuch der Kommunikation zum Scheitern verurteilt ist.
David und Katja reisen wie Adam und Eva durch den Garten Eden. Sie treffen wenig andere Lebewesen und wenn doch, dann in feindseligen Begegnungen. Dumont überlässt dem Zuschauer vereinzelt die Stellung Gottes. In einer Einstellung beobachten die beiden ein Zuggleis und einen dahinterstehenden Windpark. Es hat den Anschein, in eine subjektive Einstellung von David und Katja zu geraten, bis die beiden von viel weiter unten ins Bild schreiten. Wir waren die ganze Zeit über ihnen. Später, wenn das bekannteste Bild des Films kommt (Katja und David liegen nackt auf Felsen), sehen wir sie einmal mehr aus einer überhöhten, hier gar der göttlichen Perspektive. Dumont zeigt zwei verlorene und verletzte, gar zerrissene Seelen und gibt dem Zuschauer den Anschein, er sei in einer Position, in der es ihm leicht fallen könnte, über den Dingen zu stehen. Erst am Ende, wenn die Hölle, bzw. das Leben über die beiden hereinbricht, zeigt er dem Zuschauer, uns, dass wir ebenso machtlos sind wie die Protagonisten, denen wir doch eigentlich nur zugeschaut haben.
Fazit
Bruno Dumont zeigt in seinem Roadmovie / Liebesdrama / Horrorfilm „Twentynine Palms“ das Ende des Schönen auf Erden. Tagelang sind David und Katja auf der Suche und scheitern gleichzeitig Sekunde um Sekunde an der Flucht vor sich selbst. Der Film deutet lange an, bis er schließlich zudrückt und drückt und drückt. Bis es knackt und von der Menschlichkeit nur noch der Wahn im Rausch der Gewalt bleibt.
Autor: Levin Günther