Inhalt
In der ungarischen Tiefebene macht ein Zirkus Halt in einer Kleinstadt. Die Attraktion ist ein riesiger ausgestopfter Wal. Aus dem ganzen Land reisen Menschen an, um das tote Tier zu sehen. Durch die großen Menschenmassen bricht schon bald das Chaos aus und eine Woge der Frustration im Land entläd sich in der kleinen Stadt.
Kritik
39 ist die magische Zahl, auf die sich bei Bela Tarrs (Satanstango) Film Die Werckmeisterschen Harmonien immer wieder berufen wird. Es ist die Anzahl an Einstellungen, aus denen der 145 Minuten lange Film besteht. Schon rein rechnerisch lässt sich daraus die Erkenntnis gewinnen, dass der Film mit zahlreichen Plansequenzen arbeitet. Sechs Kameramänner waren für diesen Kraftakt vonnöten und doch sprengt das tatsächliche Ergebnis alle mathematischen Vorstellungen. Wie kraftvoll und präzise sich die Kamera entfaltet, oftmals minutenlang in beobachtender Stille an Figuren haftet, nur um dann wiederum völlig unkontrolliert auszubrechen, lässt sich kaum beschreiben, sondern muss mit eigenen Augen erlebt und gefühlt werden. Dass es sich dabei wohl um eine der eindringlichsten Kameraarbeiten der kompletten Filmgeschichte handelt, ergibt sich fast nebensächlich, denn Tarr geht es niemals darum seine handwerkliche Brillanz auszustellen oder damit hausieren zu gehen.
Schnell findet der Film dadurch auch seinen ganz eigenen Rhythmus. Schon in der allerersten Szene wird das deutlich, wenn der Protagonist János Valuska einigen Suffköpfen in der lokalen Kneipe ein eigensinniges Kunststück vorführt. Aus einem Ballett menschlicher Bewegungen entsteht eine Nachbildung des Sonnensystems, die Janos simple und naive Weltanschauung zum Ausdruck bringt. Immer wieder prallt sein einfaches, freundliches und weltoffenes Gemüt auf eine erschreckend kalte und grausame Gesellschaft. Aus seinen Augen beobachten wir, wie eine größere Zirkustruppe in der Stadt ankommt und mit sich den Kadaver eines riesigen Wales führt. Für János ist der Anblick des Geschöpfes zutiefst faszinierend und in seiner Gewaltigkeit ein Abbild Gottes. Doch ebenso wie der ausgestopfte Wal bereits verfault, bringt auch der Zirkustrupp Gewalt und Zerstörung über die Stadt. Ereignisse, die wir ebenso wenig verstehen, wie János.
So ist Die Werckmeisterschen Harmonien in aller ersten Linie reines Stimmungskino, das keine Geschichte im klassischen Sinn erzählt, sondern durch seine grandiosen Bilder, der opulenten Musikuntermalung und der natürlichen Gestaltung eine Sogwirkung erzeugt, die es zu erfahren gilt. Dabei ist Tarrs Film auch eine Konfrontation mit unseren eigenen Sehgewohnheiten. Warum erscheint es uns befremdlich, wenn wir einem Mann mehrere Minuten dabei zusehen, wie er einen Feldweg entlanggeht, obwohl diese Bilder deutlich näher an unserem Alltag sind, als jenes Schnittgewitter, das in Hollywood über uns hereinbricht? Die Werckmeisterschen Harmonien ist eine sinnliche Reflexion über die Macht der bewegten Bilder und in seiner völlig eigenen Bildsprache so einzigartig, dass man dieses Werk gesehen haben sollte.
Fazit
„Die Werckmeisterschen Harmonien“ ist Kino kurz vor dem Stillstand. Getreu seiner eigenen Agenda stellt sich Bela Tarr gegen gängige Sehgewohnheiten und erschafft ein Werk, dass sich allen konventionellen Erwartungen und Herangehensweisen entzieht. Mit einer unnachahmlichen Sogwirkung und einer kongenialen Kameraarbeit beweist der ungarische Regisseur, wozu das Medium Film im Stande ist.
Autor: Dominic Hochholzer