Inhalt
Remake des gleichnamigen Klassikers von Billy Wilder aus 1957. Es geht um den Anwalt Sir Wilfred, der aus gesundheitlichen Gründen keine komplexeren Fälle mehr übernehmen möchte, sich dann jedoch der Verteidigung von Leonard Vole annimmt, der eine wohlhabene Witwe ermordet haben soll, deren Liebhaber er war. Der Fall nimmt eine besondere Wendung, wenn seine Frau im Zeugenstand gegen ihn aussagt.
Kritik
Zeugin der Anklage ist ein TV-Remake des gleichnamigen Klassikers von Billy Wilder (Manche mögen´s heiß), der auf einem Theaterstück der wunderbaren Agatha Christie (Tod auf dem Nil) basiert. Christie ist nicht nur eine ausgezeichnete Autorin und die Begründerin des modernen britischen Kriminalromans, sondern auch ein Paradebeispiel für guten Geschmack und geschickt arrangierte Wortgefechte, deren Gegenstand nie explizit gemacht wird, jedoch in ungewöhnlicher Klarheit erscheint. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass ihr ein faszinierendes Theaterstück gelungen ist, dessen Prämisse alleine die Spannung auch in diesem Film dauerhaft oben hält. Dennoch ist auch Alan Gibsons (Crescendo) Arbeit nicht zu verschmähen. Ihm ist eine simple, klassische und dennoch sehr akkurate Inszenierung geglückt, deren populäre Rezeption leider dadurch ausblieb, dass dieser Film stets im Schatten des Originals stand.
Wer an das Gericht denkt, wird zwangsläufig an zwei zentrale Motive stoßen: Da wäre zum einen die Wahrheit, die es während einer Verhandlung zu enttarnen gilt, und zum anderen die Gerechtigkeit, die in Form des Urteils gesprochen werden soll. Gibson versteht es, die Emotionen, die mit der Rechtssprechung zusammenhängen, eindrucksvoll einzufangen. Immer wieder schwenken ruhige Kamerafahrten durch den Saal und verharren auf den Blicken der Protagonisten, deren Reaktionen eingefangen werden, während ein Zeuge aussagt. Emotionen werden vor allem unterschwellig kommuniziert, wenn ein Strafverteidiger beispielsweise sein süffisantes Lächeln preisgibt, wenn er eine clevere Frage eingestreut hat. Es gibt jedoch auch diese Momente des Ausbruchs, die einen klaren Kontrast zum förmlichen Habitus des Gerichts darstellen.
Der Angeklagte Leonard (Beau Bridges, Master of Sex) unterbricht die Verhandlungen immer wieder durch Schreie. Bei manchen Aussagen kann er nicht mehr an sich halten und brüllt Sätze wie "Das ist eine Lüge!". Diese Szenen werden besonders imposant eingefangen. Die Kamera hält in Nahaufnahme auf sein Gesicht, die Musik beginnt dramatisch und ungewöhnlich laut zu erklingen und die Schreie wirken hektisch. Gibson verdeutlicht durch den Dualismus an unterschwelligen Emotionen, die dem Habitus des Gerichts angepasst sind, und aus den Formalitäten ausbrechenden Emotionen, die Schwierigkeit der stringenten Logik der Wahrheit nachzugehen, die zur Gerechtigkeit führen soll. Während das Gericht durch wahrheitsgemäße Aussagen und deutliche Argumentationen der Anwälte eine neutrale Suche nach der Wahrheit und Gerechtigkeit sein sollte, kann das durch die Emotionen und Motive, die mit einem solchen Fall zusammenhängen, nicht möglich sein. Das Gericht wird zu einem Ort der Falscherei und der Eigeninteressen zwischen Gerechtigkeitsempfinden, Ego, Liebe und Schuldbegleichung.
Der Zuschauer tritt mit dem intuitiven Wissen, dass nicht alle Aussagen im Gerichtssaal der Wahrheit entsprechen können, an den Film heran. Er fragt sich, wer wohl lügen wird und warum, welcher emotionale Ausbruch Taktik ist, wer wohl ein Pokerface aufsetzt. Der Film ist darauf ausgelegt, weil daraus im Endeffekt die gesamte Spannung resultiert. Als Zuschauer sucht man also in erster Linie nicht nach der Wahrheit, sondern nach der Lüge, aus der sich die Wahrheit ableitet. Das ist alleine deshalb zwingend notwendig, weil die Wahrheit uns in dieser Situation nicht persönlich betrifft. Es besteht für uns kein alleiniger Reiz darin, zu wissen, ob Leonard der Mörder ist. Reizvoll ist es währenddessen die Lüge zu enttarnen, weil sie uns betrifft, weil sie uns vorgelebt wird. Die Person hinter einer falschen Aussage belügt nicht nur den Gerichtssaal, sondern auch uns.
Diese Manipulation, die einem solchen Film zwingend inne wohnt, wird in dem aufreibenden letzten Drittel aufgelöst. Durch die hier zentrale Konstellation aus dem Strafverteidiger Sir Wilfred Robarts (Ralph Richardson, Der Drachentöter), dem Angeklagten Leonard und seiner Frau Christine (Diana Rigg, Game of Thrones) ergibt sich eine neue Verhandlung der Motive der Wahrheit und der Gerechtigkeit. Durch konkurrierende Interessen wird die subjektive Dimension dieser Begriffe deutlich, die sich nicht mehr im Rahmen der Rechtssprechung abzuspielen scheint. Es werden die Unterschiede zwischen objektivem Recht und subjektivem Recht ausgelotet und die sich bereits offenkundig zeigende Schwierigkeit des Erlangens des objektiven Rechts auf die Spitze getrieben.
Fazit
Alang Gibson ist mit "Zeugin der Anklage" ein gekonnt inszeniertes Remake geglückt, das die Motive der Wahrheit und der Gerechtigkeit, die essentiell für das Gericht sind, auslotet und multiperspektivisch betrachtet. Das gelingt ihm auf so herrlich bescheidene Art und Weise, das es Agatha Christie selbst wohl gefallen hätte.
Autor: Maximilian Knade