Alle Must-Sees auf Netflix, Hulu, Amazon und der Leinwand abgegrast und ratlos, was als nächstes geguckt werden soll? Bevor die Feiertage zu Filmentzug führen oder irgendwer die alten Brettspiele rauskramt, liefert euch diese Liste eine Auswahl der kleine(re)n, aber feinen Produktionen, die zwischen Blockbuster-Flut und Serien-Sumpf allzu leicht untergehen. Von Dokus über Dramen bis hin zu Festival-Feinkost gibt es hier die Geheimtipps des letzten Jahres!
Wer erinnert sich noch, wie es war, als Kind nachts aufzuwachen und durch die dunkle Wohnung zu wandern, wo alles Vertraute plötzlich gespenstisch und fremd wirkte? Kyle Edward Balls experimenteller Horror lässt in schemenhaften Bildern die archaische Angst aus Kleinkindertagen wieder auferstehen. Nach dem verstörenden Schluss lassen selbst Erwachsene beim Einschlafen lieber das Licht an.
Mit seiner melancholischen Geschichte von Freundschaft, Verletzungen und Verlust ist Pablo Bergers tragikomischer Trickfilm eine Kinder und Erwachsene gleichermaßen ansprechende Hommage an die physischen und biografischen Brüche, die Personen zu denen machen, die sie sind. Der Verzicht auf die übliche penetrante heteronormative und binäre Codierung erlaubt zudem gerade jüngeren Zuschauenden, sich in ihrer eigenen Identität mit den Figuren zu identifizieren.
Sich durch die 177 Minuten Archivaufnahmen Ulises de la Ordens schonungsloser Rekapitulation des titelgebenden Prozesses zu kämpfen, ist keine leichte Aufgabe, aber eine ungeheuer lohende. Die Verbrechen unter Argentiniens Militärdiktatur liefern einen exemplarischen Einblick in ethische Abgründe, sowhl des systems als auch der Menschen, die zu kleinen und großen Rädern im Getriebe eines menschenverachtenden Machtapparats wurden.
Ganz ehrlich: Könntet ihr erklären, was "intersex" überhaupt bedeutet? Etwas über 1 Prozent der Bevölkerung zählen zu der Gruppe hinter dem "I" in LGBTQIA. Trotzdem ist das Thema bis heute ein Tabu, geprägt von Fehlinformation und Sensationalismus. Nicht nur deshalb lohnt sich Julie Cohens spannende Doku, in der drei intersex Aktivist*innen ihre Erfahrungen teilen und mit Vorurteilen aufräumen - etwa dem, dass Geschlecht binär sei und jede Abweichung davon korrigiert werden müsste.
Vor etwas mehr als zwei Jahren verließen die US-Streitkräfte fluchtartig Afghanistan. Zwanzig Jahre Krieg und Besatzung - und die Taliban standen wieder vor der Tür. Hinter die blickt Ibrahim Nash'ats fesselnde Doku gemeinsam mit den Eroberern, denen die USA ein gefährliches Geschenk hinterlassen haben: Waffen und Ausrüstung im Wert von 7 Milliarden Dollar. Eine folgenschweres Desaster - made in the USA.
Basierend auf Ibrahim X. Kendis maßstabsetzendem Sachbuch rekonstruiert Roger Ross Williams hochinformative Filmchronik mit Fokus auf die USA die systematische Konstruktion rassistischer Tropen und Stereotypen, die bis heute nachwirken und mal mehr, mal weniger subtil in Popkultur und Politik eingesetzt werden. Eine zugleich zeitaktuelle und zeitlose Exposition der ideologischen Rechtfertigung gesellschaftlicher Gewalt, mit vielschichtigen Implikationen für das Framing anderer Gruppen.
In seinem dritten Spielfilm zeigt Goran Stolevski ebenso amüsant wie authentisch die mögliche Bedeutung von Familie für die Menschen, die bürgerliche "Familienfilme" nicht beachten. Ein gesellschaftskritisches Gruppenbild von Liebe und Tod, Abschied und Neubeginn, behördlicher Scharade und wahrhaftiger Fürsorge.
Wohl der bekannteste Film dieser Liste und nur mit etwas Schummelei einer dieses Jahres. Aber Saim Sadiqs Debüt-Drama verdient nicht nur aufgrund seiner gerade im Herkunftsland Pakistan brisanten Thematik alle Aufmerksamkeit, welche die bitter-süße Romanze inmitten einer zwischen Traditionalismus und Moderne zerrissenen Gesellschaft kriegen kann.
In eleganten Schwarz-Weiß-Bildern gibt D. Smiths Debüt-Dokumentation einen seltenen Einblick in den Alltag Schwarzer trans Sexarbeiterinnen, die berührend und humorvoll von professionellen und privaten Facetten ihres Lebens berichten. Gerade in Zeiten, in denen der hiesige Bundeskanzler massiv gegen Sexarbeitende hetzt, ist die empathische Perspektive ein wertvolles Zeugnis der Menschlichkeit jener, denen neo-konservativer Populismus keinen Platz in der Gesellschaft zugestehen will.
Regisseurin Malika Musaeva, die selbst aus Tschetschenien floh, wirft in ihrem harschen Porträt einer jungen Frau im Schatten archaischer Tradition einen seltenen cineastischen Blick auf das archaische Patriarchat der ultra-konservativen Republik. Packend, politisch und poetisch.