6.8

MB-Kritik

22 Bahnen 2025

Drama

6.8

Jannis Niewöhner
Luna Wedler
Laura Tonke
Sabrina Schieder
Zoë Baier
Luis Pintsch
Ercan Karaçaylı
Berke Cetin
Hannah-Chioma Ekezie

Inhalt

Tildas (Luna Wedler) Tage sind streng durchgetaktet: studieren, an der Supermarktkasse sitzen, schwimmen, sich um ihre kleine Schwester Ida (Zoë Baier) kümmern – und an schlechten Tagen auch um ihre Mutter (Laura Tonke). Zu dritt wohnen sie im traurigsten Haus der Fröhlichstraße in einer Kleinstadt, die Tilda hasst. Ihre Freunde sind längst weg, leben in Amsterdam oder Berlin, nur Tilda ist geblieben. Denn irgendjemand muss für Ida da sein, Geld verdienen, die Verantwortung tragen. Nennenswerte Väter gibt es keine, die Mutter ist alkoholabhängig. Eines Tages aber geraten die Dinge in Bewegung: Tilda bekommt eine Promotion in Berlin in Aussicht gestellt, und es blitzt eine Zukunft auf, die Freiheit verspricht. Und Viktor (Jannis Niewöhner) taucht auf, der große Bruder von Ivan, den Tilda fünf Jahre zuvor verloren hat. Viktor, der – genau wie sie – immer 22 Bahnen schwimmt. Doch als Tilda schon beinahe glaubt, es könnte alles gut werden, gerät die Situation zu Hause vollends außer Kontrolle …

Kritik

Caroline Wahls Debütroman 22 Bahnen entwickelte sich nach seiner Veröffentlichung zu einem bemerkenswerten literarischen Erfolg. Im Zentrum steht Tilda, die ihr eigenes Leben auf Eis legt, um sich um ihre kleine Schwester Ida zu kümmern, während die Mutter Andrea im Strudel von Alkohol und Verzweiflung versinkt. Die filmische Adaption von  (Die Saat) übernimmt diese Grundkonstellation nahezu unverändert und bleibt den Themen des Romans treu: familiäre Abhängigkeiten, das Ringen um Selbstbestimmung und die Suche nach einem Ausweg aus einer klaustrophobisch wirkenden Existenz.

Getragen wird die Verfilmungen vor allem von Hauptdarstellerin Luna Wedler () als Tilda. Sie verleiht ihrer Figur jene brüchige Selbstsicherheit, die den Charakter im Roman so vielschichtig machte: eine junge Frau, die Stärke demonstrieren muss, obwohl sie innerlich von Selbstzweifeln zerrissen ist. Wedler gelingt es, diese Ambivalenz nicht plakativ, sondern mit feinen Nuancen in Gestik und Blicken zu transportieren. Neben ihr beeindruckt Laura Tonke (Alles Fifty Fifty) in der Rolle der Mutter Andrea.  Tonke verkörpert eine Frau, die an ihren eigenen Schwächen scheitert und dennoch Restmomente von Zärtlichkeit in sich trägt – ein Spiel, das eindringlich beweist, dass sie weitaus mehr sein kann als die humorvolle Begleiterin.

Die Inszenierung von Mia Maariel Meyer dagegen zeigt sich eher spröde. Nur selten findet sie zu wirklich visuell erinnerungswürdigen Bildern, stattdessen verlässt sie sich häufig auf lange Dialogpassagen und erklärende Szenen, die dem Geschehen eine gewisse Schwere verleihen. Dieser Hang zu Exposition bremst den Fluss der Erzählung immer wieder, verhindert jedoch nicht, dass der Film im Gesamtbild stimmig bleibt. Gerade weil Meyer das Tempo reduziert, entstehen Raum und Zeit für ihre Darstellerinnen, die das Herzstück der Adaption bilden.

Bemerkenswert ist zudem die Tonalität des Films. Obwohl Themen wie Verlust, Alkoholismus und emotionale Abhängigkeit zentrale Rollen spielen, wirkt 22 Bahnen keineswegs bedrückend. Statt in radikale Härte zu verfallen, inszeniert Meyer ihr Drama mit sanftmütigen Untertönen. Der Film konfrontiert das Publikum nicht mit drastischen Schocks oder überfordernder Tragik, sondern präsentiert die Schwierigkeiten des Lebens auf eine Weise, die nachvollziehbar und nahbar bleibt. Wer also große dramaturgische Konfrontationen erwartet, wird eher milde Melancholie als emotionalen Aufruhr vorfinden.

Subtil allerdings ist 22 Bahnen nicht. Manchmal greift die Regisseurin zu allzu deutlichen Symbolen, die ihre Wirkung verfehlen. Besonders augenfällig ist dies, wenn Tilda und Ida auf der Straße Tokio Hotel anstimmen – ein Moment, der den Zusammenhalt der Schwestern zwar unterstreichen soll, jedoch unfreiwillig überhöht wirkt. An solchen Stellen droht das Drama ins Künstliche abzugleiten, wenngleich diese Ausrutscher den Gesamteindruck nicht nachhaltig schmälern.

So bleibt am Ende ein Film, der vielleicht nicht in die erste Reihe der deutschen Gegenwartsdramen gehört, aber dennoch funktioniert. 22 Bahnen ist ein Werk, dem etwas mehr Tiefe und gestalterische Kraft sicherlich gut getan hätten, das aber gerade durch seine Zugänglichkeit ein breites Publikum erreichen dürfte. Was in literarischer Form bereits viele Leserinnen und Leser berührte, wird nun durch zwei herausragende Hauptdarstellerinnen auf der Leinwand weitergetragen. 

Fazit

"22 Bahnen" erweist sich als leises, stimmiges Drama, das nicht durch große Gesten, sondern durch die Präsenz seiner Figuren überzeugt – ein Film, der weniger durch filmische Wucht, sondern durch die Intensität seiner Darstellerinnen nachhallt.

Autor: Sebastian Groß
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