Inhalt
Ein dystopischer Fieber-Traum-Actionfilm über Boy, einen Taubstummen mit einer lebhaften Fantasie. Als seine Familie ermordet wird, wird er von einem mysteriösen Schamanen darin trainiert, seine kindliche Fantasie zu unterdrücken und zum Instrument des Todes zu werden.
"Boy Kills World" gehört zum Programm der Fantasy Filmfest Nights 2024 (siehe Website des Veranstalters)
Kritik
2017 feierte Schneeflöckchen seine Weltpremiere beim Fantasy Filmfest und war damals für uns ein Highlight. Sieben Jahre später haben die Macher große Fortschritte gemacht. Drehbuchautor Arend Remmers, bekannt für Serien wie Sløborn, war neben Hollywood-Legende Sam Raimi auch Teil des Teams hinter Boy Kills World, das im Rahmen des Fantasy Filmfest 2024 seine Europapremiere feierte. Dieser Film wird sicherlich bei vielen Festivalbesuchern den gleichen Stellenwert erreichen wie damals Schneeflöckchen.
Es ist nicht so, dass beide Titel grundlegend vergleichbar sind, aber beide bewegen sich mit Leichtigkeit durch Facetten des Genre-Kinos und bieten wilde, durchgeknallte und bunt-brutale Unterhaltung. Diese wird auch dadurch erschaffen, dass munter große Vorbilder aneinandergeflanscht und vermengt werden. Mitten in diesem charmanten Chaos ist Hauptdarsteller Bill Skarsgård. Er verkörpert den einsamen und immens durchtrainierten Rächer, quasi einen Probelauf für seine Rolle als Eric Draven im kommenden Reboot von The Crow. Der erste Trailer zu diesem macht schon deutlich, dass es vermutlich etwas wilder zugehen wird als im Original, aber wahrscheinlich nicht annähernd so durchgedreht wie in Boy Kills World.
Wo andere durchgeknallte Action-Extravaganzen (z.B. Guns Akimbo oder Gunpowder Milkshake) sich meistens auf eine oder zwei (absurde) Idee ausruhen und dadurch recht schnell langweilig werden, ist Boy Kills World vollgestopft mit kleinen bis großen Einfällen, die niemals totgeritten werden. Die fiktive Welt der Handlung ist gut genug dargestellt, um die wichtigsten Aspekte zu verstehen, besitzt aber noch ausreichend Leerstellen an den richtigen Punkten, um interessante Mysterien zum Vorschein zu bringen. Die Erzählung drückt ordentlich aufs Gaspedal, und dennoch fühlt sich nichts zu überhastet oder gar unüberlegt an. Sicherlich gibt es auch immer mal wieder Momente, die ein wenig zu sehr auf gewollt cool getrimmt sind, das lässt sich jedoch verschmerzen, denn die positiven Seiten überwiegen.
Einer der besten Running Gags der letzten Kinojahre bietet Boy Kills World darüber hinaus auch. Der taubstumme Titelcharakter kann Lippenlesen – zumindest bei den meisten Figuren. Bei Rebell Barry (Isaiah Mustafa, Es - Kapitel 2) klappt das jedoch nicht. Da wir die Geschichte erzählerisch aber nun mal aus Boys Sicht erleben, kommt es eben dazu, dass Barry sehr merkwürdige Dinge sagt, was vor allem dann das Zwerchfell malträtiert, wenn er gemeinsam mit Basho (Andrew Koji, Bullet Train) Pläne schmiedet. Bei diesem Running Gag zeigt sich, dass die Macher wirklich sehr gut dabei sind, meistens die richtige Dosis zu finden. Weder werden hier Dinge zu oft angewendet, noch werden sie groß angekündigt, um sie danach kaum zu benutzen.
Die richtige Dosierung gilt auch für die Action. Regisseur Moritz Mohr, der hier sein Spielfilmdebüt abliefert, findet eigentlich immer die richtige Balance aus Action und Ruhephasen. Wo zuletzt etwa Farang - Schatten der Unterwelt oder Monkey Man Actionfans teilweise arg lange auf Ausbrüche haben warten lassen, schiebt Boy Kills World immer wieder nach, ohne jemals zu übersättigen. Dazu hat Mohr die Schießereien und Kämpfe rasant und dynamisch eingefangen. Die Kamera von Peter Matjasko rast durchs Geschehen, zirkuliert um die Widersacher und vermittelt ein gutes Gefühl für die Bewegungen. Zugegeben, das ist manchmal etwas unübersichtlich, aber niemals in dem Maße, dass die Übersicht für die Geografie der Szene verloren geht. Auch dürfen sich Puristen gerne daran stören, dass die arg überzogene Gewalt (Stichwort: Käsereibe) meist mit CGI-Blut unterstützt wird. Wirklich störend ist das in den meisten Fällen nicht, es passt eher zum Look & Feel.
Darüber hinaus bietet Boy Kills World immer wieder Martial-Arts-Szenen, die ordentlich bis richtig gut sind. Richtig gut sind sie dabei immer dann, wenn Yayan Ruhian involviert ist. Welcher Actionfans diesen indonesischen Herren nicht kennt, darf sich gerne in eine Ecke stellen und schämen. Der werte Mann ist ein echtes Ass im Kampfsport und einer der Kampfchoreografen der beiden The Raid-Filme, in denen er auch als Mad Dog sowie Prakoso zu sehen ist. Gegen Ende gehört er zu den intensivsten und besten Kampfszenen von Boy Kills World. Diese ist atemlos, unbarmherzig, brutal und mitreißend. Sie erreicht nicht die Qualitäten von The Raid aber man merkt stets, wie viel Aufwand, Herzblut und Schweiß investiert gesteckt wurden.
Bevor es zum großen Endkampf kommt, spult die Handlung dann leider einen Twist ab, der zwar an und für sich ebenso abgedreht ist wie der Rest der Geschichte, nur leider wird versucht, diesen durchaus dramaturgisch ernst zu verkaufen. Das funktioniert – um es gelinde zu sagen – überhaupt nicht und sorgt dafür, dass ausgerechnet im letzten Drittel und vor dem großen Finale nicht nur die Stimmung kippt, sondern auch der Flow des Films ins Stocken gerät. Das ist verschmerzbar, und durch den famosen Showdown fällt es auch nicht mehr so stark ins Gewicht, dennoch ist klar zu erkennen, dass Boy Kills World dann doch zumindest einmal etwas deutlicher ins Stocken gerät.
Das absolut wahre Highlight ist jedoch weder vor noch hinter der Kamera zu finden, sondern hinter dem Mikrofon. H. Jon Benjamin ist die innere Stimme von Boy und darf sich mit Fug und Recht die Medaille des MVP umhängen. Seine markante Stimme, bekannt unter anderem als Geheimagent Archer, sorgt dafür, dass der Film ständig zum Schmunzeln einlädt. Im Kontrast zu Skarsgards oft verloren wirkender Mimik erscheint seine stimmliche Präsenz wie der ultimative Kontrast. Es mag unfair erscheinen, aber eigentlich sollte schon jetzt die Empfehlung ausgesprochen werden, Boy Kills World definitiv in der Originalfassung anzusehen, und das obwohl an der Synchronisation anscheinend noch nicht einmal gearbeitet wurde, als der Titel auf dem Fantasy Filmfest lief.
Fazit
Große Orgie ohne Präservativ: „Archer“, „Running Man“, „The Raid“, „Wanted“ und „Die Tribute von Panem“ haben sich gegenseitig und ineinander ausgelassen. Das Ergebnis dieser Zusammenkunft ist der Live-Action-Cartoon "Boy Kills World". Ein bunter, wilder, brutaler wie charmanter und durchaus auch abwechslungsreicher Action-Trip quer durch die Möglichkeiten des Genres.
Autor: Sebastian Groß