„Zum ersten Mal bin ich in etwas gut. Ist anstrengend.“
Bisher war das Leben von Cosmo (Jason Priestley,Bevery Hills, 90210) nicht sonderlich aufregend. Um nicht zu sagen trist. Sein Geld verdiente der junge Mann mit stark autistischen Zügen und intellektuell mindestens an der Grenze zur geistigen Behinderung als Buchmacher bei einem illegalen Wettbüro. Telefondienst. Wetten annehmen und platzieren, ein einfacher Job. Privat passiert noch weniger. Nach Feierabend geht es zurück ins Altenheim. Dort bewohnt er einen spartanisch eingerichteten Kellerraum und den – im wahrsten Sinne des Wortes – Höhepunkt der Woche stellt der Besuch der herzensguten Prostituierten Honey (Janeane Garofalo, The Minus Man) dar, die ihn nach ihrer Runde über einige vitale Senioren noch dranhängt. Ein trauriges Dasein, doch obwohl Cosmo selbst damit äußerst unglücklich erscheint ist er leider überhaupt nicht in der Lage, daran irgendwas zu ändern. Er beherrscht eigentlich nur angelernte, mechanische Vorgänge. Alles Emotionale, Sozialkompetente oder kognitiv Herausfordernde scheint wie ein Buch mit sieben Siegeln zu sein. Doch plötzlich befördert ihn sein neuer Brötchengeber (Robert Loggia, Scarface) völlig unvorbereitet. Zum Vollstrecker für nicht zahlungswillige Gläubiger. Sprich: Zum Auftragskiller. Für den naiven Cosmo, der nie auch nur einer Fliege etwas zu Leide getan hat, eine undankbare Aufgabe. Doch siehe da: Der ihm als Coach an die Seite gestellte, in die Jahre gekommene Hitman Steve (Peter Riegert, Amerikanisches Idyll) findet ein wahres Naturtalent vor.
„Du musst positiv denken. Hast du schon mal jemanden umgebracht?“
Nein, hat er nicht, und trotzdem schießt Cosmo nicht nur wie ein junger Gott präzise auf Zuruf in jedes Körperteil oder Organ, er kann aufgrund seiner Defizite – trotz eines nach wie vor sehr wohl vorhandenen Gefühl für Recht und Unrecht und einem moralischen Gewissen – einfach nicht anders, als artig das tun, was ihm befohlen wird. Mag er sich mit einem potenziellen Ziel noch so sehr nett verquatschen und sogar Sympathie für es empfinden, wenn ihm befohlen wird den Abzug zu drücken zuckt er nicht eine Millisekunde zurück. Zwar beschäftigt ihn seine neue Rolle, aber wie alles andere bisher lässt er es einfach über sich ergehen und fügt sich seinem Schicksal. Zumindest wird die Tätigkeit deutlich besser bezahlt und in Steve findet er einen beinah väterlichen Freund, der ihm all sein Wissen vermittelt und behütend unter seine Fittiche nimmt. Hat anfangs was von erster Fahrstunde oder Angelausflug. Allerdings wird die Sache richtig vertrackt, als er sich in seine bildhübsche Yoga-Lehrerin Jasmine (Kimberly Williams-Paisley, Immer wieder Jim) verliebt und er zudem erfahren muss, dass Loyalität im Leben eines Auftragskillers nur bedingt eine Rolle spielt.
-„Du bist wohl anders?“
-„Stimmt.“
Regisseur Wallace Wolodarsky (Lust auf Seitensprünge) drehte nach diesem, seinem Debüt nur noch zwei weitere Spielfilme, war hier und da mal für ein Skript verantwortlich und ist am aktivsten eigentlich schon als Darsteller, fast exklusiv für seinen Kumpel Wes Anderson (Grand Budapest Hotel). Warum er es hiernach nicht zu einer festen Größe gebracht hat ist ein unerklärliches Phänomen, denn Cold Blooded ist nicht nur eine sträflich unbemerkte Perle, es ist tatsächlich ein übersehenes Meisterwerk. Die Story um einen inselbegabten, melancholischen Außenseiter mit schlichtem Gemüt aber großen Herz und einem gnadenlosen Killer-Gen ist der Coen-Film, den die Brüder nie gemacht haben und bestimmt heimlich neidisch drauf sind. Die Mischung aus skurriler, teils brillanter Situationskomik („Warum machen wir das hier nicht nachts?“) - mitunter auch pechschwarz und bitter-böse -, einfühlsamer Charakterstudie, spleenig-liebevoller Romanze und Gangsterstreifen ist in seiner herausfordernden und meisterlich homogenen Kombination einfach sagenhaft vorgetragen. Vortrefflich und mutig besetzt mit einem exzellenten Jason Priestley, der bis heute eigentlich nur als bleichgesichtiges Teenie-Idol der frühen 90er bekannt ist und genau wie Wolodarsky erstaunlicherweise nicht von seiner hier herausragenden Leistung profitieren konnte. Filmkarriere blieb aus, bedauerlich.
-„Willst du nicht das Klopapier abmachen?“
-„Ist mir im Moment scheißegal!“
-„Es wirkt aber nicht sehr professionell auf mich.“
Mit welch unfassbaren Präzision es das Gespann Wolodarsky/Priestley versteht, diesen knuffigen und bemitleidenswerten Cosmo zum Leben zu erwecken ist hinreißend schön. Wenn er in dem viel zu großen Anzug seines verstorbenen Vaters beim „Vorstellungsgespräch“ praktisch verschwindet wirkt er genauso verloren wie sonst in seiner mickrigen Existenz. Gleichzeitig wächst er aber förmlich über sich hinaus, wenn er in der Folgezeit beginnt ein eigenes Selbstwertgefühl zu entwickeln und sich bewusst wird, dass seine Fähigkeiten nicht nur anderen zum Vorteil bestimmt sind. Aus dem kümmerlichen, mit extrem wenig (un)zufriedenen Sitzriesen wird ein aufrechter Mann. Auch und besonders durch die grandiose Performance von Jason Priestley, der wahnsinnig viel über Körperspannung- wie Haltung, Mimik und Gestik ausdrückt, befeuert durch furztrockenen Dialoge und Oneliner, für die viele buchstäblich töten würden. Cold Blooded ist so ein Film, den man leider wirklich entdecken muss und der sicherlich auch nicht jedem so intensiv im Sturm erobert, aber allein das unterstreicht nur seine Einzigartigkeit. Ein pragmatisches wie gleichzeitig emotionales und empathisches Kunststück zweier „Eintagsfliegen“, die sich gesucht und gefunden haben. Nur leider darauf keine Erfolgsgeschichte aufbauen konnten.
„Ich hab’n Fernseher. Wohn an der Ecke und könnt aus’m Anzug raus.“