Für all diejenigen, denen das traditionelle Feiern im großen Kreis der Familie regelmäßig wie eine Zusammenkunft des Terrors erscheint, in der sich freundlich angelächelt, über sämtliche Belanglosigkeiten geplaudert oder Nichtigkeiten echauffiert wird, während man sich selbst wie ein hilfloser Fremdkörper vorkommt, der zu den meisten Themen lieber gar nichts sagt, ist Das Fest von Thomas Vinterberg (Die Jagd) gemacht worden.
Der Film, welcher als einer der bedeutendsten Vertreter des "Dogma 95" – Manifests gilt, wirkt roh und ungeschliffen, wenn die Figuren nur durch spärliches, natürliches Licht schemenhaft zu sehen sind und das Bild aufgrund der billigen Digitalkamera von kriselnden Pixeln durchzogen wird. Gerade deshalb erzeugt Das Fest aber schnell eine unglaubliche Nähe zum Geschehen, macht den Betrachter für die gesamte Laufzeit zu einem Teil dieser Familie und verwöhnt das Auge am laufenden Band mit virtuosen, dynamischen Bewegungen der Kamera, die völlig entfesselt durch die Szenen rast, kreist oder in Windeseile von einer Figur zur anderen flitzt.
Es ist aber auch alles andere als eine gewöhnliche Geburtstagsfeier, für die der 60 Jahre alt gewordene Hotel-Patriarch Helge die eigene Verwandtschaft zusammenruft. Wie die anderen Geburtstagsfeiern die Jahre zuvor verlaufen sind, lässt sich nur mutmaßen, doch diesmal kommt alles ein wenig anders. Kleinere Streitigkeiten zu Beginn, wenn einer der Söhne mit der Ehefrau in ein wüstes Schreigelage ausbricht, weil diese spezielle Schuhe nicht eingepackt hat, sind erste Vorboten einer wüsten Eskalation, bei der die bislang so wohl behütete Fassade der gutbürgerlichen, wohl situierten Familie in Scherben zerbricht. Eigentlich sollte Christian, ebenfalls einer von Helges Söhnen, vor versammelter Gästeschar nur eine ehrenvolle Rede für den Vater halten, doch der Sohn nutzt die Gunst der Stunde, um sich ein quälendes Geheimnis aus der Jugend von der Seele zu reden.
Fast schon beiläufig erwähnt Christian, dass er und seine Schwester, die noch dazu nicht allzu lange vor dieser Feier Selbstmord beging, vom Vater missbraucht wurden. Ein scheußlicher Paukenschlag, der nicht der letzte an diesem Abend bleiben soll. Vinterberg lotet die Abgründe hinter dem viel zu oft falsch verstandenen Mythos des heiligen Bunds der Familie aus, blickt auf einen egoistischen, heuchlerischen Haufen aus Leuten, die den Seelenstriptease eines verzweifelten Menschen mit peinlich berührter Ignoranz kommentieren und viel lieber auf die schön platzierten Speisen auf ihren Tellern starren oder die Oma dazu animieren, einen fröhlichen Song anzustimmen. Zwischen widerlichem Stammtisch-Rassismus, totgeschwiegenen Untaten und der verzweifelten Bemühung, den schönen Schein aufrechtzuerhalten, offenbart Das Fest eine zeitlos schöne Grausamkeit, die sich auf ewig in den Kopf des Betrachters einbrennt und mithilfe des unentwegten Aufeinanderstapelns von schockierenden Offenbarungen, wütend stimmenden Verhaltensweisen und sprachlos machenden, unmittelbaren Reaktionen ein Gefühl von Ohnmacht, Beklemmung und Unwohlsein hervorruft.