Es ist die Ruhe vor dem Sturm, die S. Craig Zahler (Brawl in Cell Block 99) zelebriert, um den Zuschauer sukzessive aus seiner Wahrnehmungs-Komfortzone zu reißen. Bone Tomahwak und Brawl in Cell Block 99 haben bereits eindrucksvoll veranschaulicht, in welch erbarmungsloser Form Zahler seine Definition von Kino durchpeitscht: Es gibt keine Sicherheit, niemandem wird hier hilfsbereit die Hand gereicht, um möglichst unbeschadet die allumfassende Dunkelheit verlassen zu können, in die einen der hochbegabte Regisseur hineingezogen hat. Sein Kino vibriert und bebt von der ersten Minute an – um dann irgendwann in aller archaischen Brutalität zu explodieren. Dragged Across Concrete setzt erneut genau dort an, formuliert sich aber noch ambivalenter als die Vorgänger und gibt seinem Publikum damit über eine Laufzeit von 160 Minuten keinen Raum, um ernsthaft durchschnaufen zu können.
Im Mittelpunkt stehen die beiden Polizisten Brett Ridgeman (Mel Gibson, Blood Father) und Anthony Lurasetti (Vince Vaughn, True Detective), die dabei gefilmt wurden, wie sie einen lateinamerikanischen Verdächtigen auf dem Gitter der Feuertreppe etwas zu hart in die Mangel genommen haben. Die Suspendierung vom Dienst – weder Lurasetti und noch weniger für Ridgeman eine neue Erfahrung – folgt auf dem Fuße. S. Craig Zahler benötigt kaum mehr als fünf Minuten, um ein Gefühl für die Rückständigkeit dieser beiden Charaktere herauszufiltern. Sie sind vom alten Schlag, aber genau dieser ist heutzutage nicht mehr kompatibel mit der Realität. Wie zwei Dinosaurier wuchten sich Ridgeman und Lurasetti durch die Straßen des fiktiven Bulwark, beide gleichermaßen frustriert über den Umstand, tagtäglich ihr Leben zu riskieren, aber niemals entsprechend entschädigt dafür zu werden.
In einem anderen Handlungsstrang lernen wir den frisch aus dem Gefängnis entlassenen Henry (Tory Kittles, American Heist) kennen, der den gleichen Unmut in sich angestaut hat wie die Polizisten, nur dass Henry eben von Beginn an auf der anderen Seite des Gesetzes aktiv ist. Für seinen nächsten Coup schließt er sich mit dem Schwerverbrecher Vogelmann (Thomas Kretschmann, Ballon) zusammen. Ein Banküberfall steht auf der Agenda, von den erbeuteten Goldbarren wird allen Beteiligten ein sorgenfreies Leben in Aussicht gestellt. Ein sorgenfreies Leben, diese Vorstellung lassen sich auch Ridgeman und Lurasetti nur zu gerne auf der Zunge zergehen. Und jetzt, wo sie gewissermaßen Zivilisten sind, fassen sie den Entschluss, Vogelmann und seinen Komplizen einen Strich durch die Rechnung zu machen und sich die Goldbarren selbst unter den Nagel zu reißen.
Sind die Charaktere in Stellung gebracht; ihre Sehnsüchte sowie ihre Bereitschaft, aufs Ganze zu gehen, ebenfalls deutlich gemacht, bringt S. Craig Zahler seine Exploitations-Maschinerie gnadenlos ins Rollen und steigt einen nihilistischen Abgrund hinab, in dem – wie schon in Bone Tomahawk und Brawl in Cell Block 99 - altertümliche Männlichkeitsvorstellungen nicht nur verhandelt, sondern dekonstruiert werden. In Dragged Across Concrete sind die einzelnen Handlungsstränge strategisch so clever und komplex ineinander verknüpft, dass dem Zuschauer erst gewahr wird, in welcher Katastrophe er sich zusammen mit den Akteure manövriert hat, wenn es letztlich zu spät ist. Natürlich, das klassische Zahler-Prinzip, in diesem Fall aber diskutiert der Film auf der Meta-Ebene auch noch zusätzlich das Film- und Privatschicksal des Hauptdarstellers Mel Gibson: Ausgestoßen, verdammt, nicht unterzukriegen. Zu welchem Preis?
Immer wieder, wenn sich Ridgeman in die Opferrolle einfühlen möchte, gibt Dragged Across Concrete unmissverständlich zu verstehen, dass Ridgeman genauso Täter ist. Vielleicht keiner von der Sorte, die mit Sturmgewehren Banken stürmen und Unschuldige über den Haufen schießen. Aber eben einer von denen, die die Macht ihrer Uniform überschätzen; die glauben, sich durch ihren Rang Rassismus und Sexismus erlauben zu können – sich in dieser Annahme gewaltig täuschen. Die ungeheure Ambivalenz, mit der S. Craig Zahler die innere und äußere Lebenswelt der Figuren beschreibt, keim letztlich daher, weil ihre Beweggründe aus menschlicher Perspektive nachvollziehbar sind, die Umsetzung dieser aber grundlegend fragwürdig bis verwerflich. Dadurch entsteht eine brodelnde, unheimlich wirkungsmächtige Wechselwirkung der Stimmungs- und Empfindungslage, die Dragged Across Concrete zu einer vielseitigen, geflissentlichen schwierigen Seherfahrung erklären.
Man sitzt hier also nicht nur zwischen den Stühlen und bekommt zusehends Probleme damit, seine Gefühle zu koordinieren, sondern sieht sich in dieser verzwickten Situation auch noch Daumenschrauben ausgesetzt, die Dragged Across Concrete immer enger und enger zieht. Bevor dann endgültig das Trommelfeuer berstet. Als ausladender und auch in rhetorischer Hinsicht unheimlich betörender Vertreter des Hardboiled-Genres nämlich erweist sich Zahlers exakt komponierte Inszenierung als bedrückend immersiver Kraftakt, stetig und konsequent ozillierend zwischen Pulp und Psychoanalyse; zwischen beißender Lakonie und eruptiver Bestialität. Dragged Across Concrete lässt dem Zuschauer keine andere Wahl als die Luft scharf einzuziehen und anzuhalten. Länger und länger. Dass sich Mel Gibson zudem zu seiner Karrierebestleistung aufschwingt, scheint indes indes folgerichtig: Diese Reise in die alles verschlingende und zersetzende Finsternis ist nicht ausschließlich, aber vor allem ihm gewidmet.