Inhalt
Zehn Jahre sind vergangen, seitdem die FBI-Agentin Clarice Starling mit dem kannibalistischen Schwerrverbrecher und diabolischen Genie Dr. Hannibal Lecter ihre erste nervenaufreibende Begegnung hatte. Zehn Jahre sind vergangen, seitdem Lecter seine ebenso spektakuläre wie blutige Flucht aus dem Gefängnis gelang. Nun bewegt er sich frei in Florenz umher, und die ahnungslose Welt ist Hannibal schutzlos ausgeliefert.Doch die Zeit heilt keine Wunden – der einst von Lecter verstümmelte Multimillionär Verger entwickelte sich, getrieben von unvorstellbar grausamen Racheplänen, zu dessen ebenbürtigen Rivalen. Als Patient von Lecter musste er sich selbst vor Jahren das Gesicht mit einer Scherbe häuten und sinnt auf bittere Rache für die Qualen und Entstellungen. Um Lecter endlich den Schweinen zum Fraß vorzuwerfen, braucht Fiesling Verger einen unwiderstehlichen Köder: Clarice Starling…
Kritik
Man musste Hannibal nicht in blutrünstiger Aktion sehen, um zu glauben, dass dieser Mensch ein Monstrum ist. Es reichte allein ein Blick in die Fleisch, Knochen und Gedanken durchdringenden Augen dieses Mannes, dem Anthony Hopkins (Was vom Tage übrig blieb) 1991 in einer Jahrhundertperformance sein Gesicht lieh, um den intellektuellen Kannibalen fast schon zu einem mythisch überhöhten Wesen zu machen – allein durch seine bloße Präsenz; seine erschütternde Aura, die gleichermaßen zerstörerisch wie verführerisch auf sein Umfeld einwirkte, wurde Das Schweigen der Lämmer zu einem verstörenden Meilenstein des 1990er Jahre Kinos. Natürlich musste eine Fortsetzung her, das Publikum lechzte danach, sich noch einmal zu frösteln, wenn Hopkins die Bildfläche betrat – und eine Fortsetzung kam, denn Hannibal wurde über Nacht zum popkulturellen Warenzeichen.
Dass sich der Nachfolger aber ganze zehn Jahre Zeit ließ, lag nicht zuletzt an Romanautor Thomas Harris, der sich mit Roter Drache und Das Schweigen der Lämmer als durchaus begabter Literat beweisen konnte, sich nach Jonathan Demmes fünffach Oscar-prämierten Meisterwerk allerdings erst einmal eine selbst verschriebene Auszeit gönnen musste, war es ihm doch nicht möglich, das Gesicht von Anthony Hopkins aus seinem Kopf zu bekommen. Und sicherlich hat dieser Umstand auch miteingespielt, als er genügend Inspiration und Impetus gefunden hat, das Buch, schlicht Hannibal genannt, umzusetzen: Es war die erste Geschichte um Dr. Hannibal Lecter, die sich damit beschäftigte, den kannibalischen Serienkiller bei seinem blutigen Handwerk zu zeigen, fernab der wohldosierten Gewalteinschübe in Das Schweigen der Lämmer und Roter Drache (zum ersten Mal Ende der 1980er Jahre von Michael Mann verfilmt).
Dass viele Fans für Hannibal letztlich allerdings nicht mehr die Begeisterung aufbrachten, die sie für die vorherigen Bücher fanden, lässt sich auch an der gleichnamigen Verfilmung ablesen, die so wirkt, als hätte Thomas Harris sein künstlerisches Pulver bereits verschossen, sich aber gezwungen sah, sich das letzte Wort für seine musische Schöpfung vorzubehalten – nur war dies eben kein allzu klangvolles. Zu sagen, Ridley Scotts erste Regiearbeit nach Black Hawk Down wäre jedoch eine vollständig reizlose, wäre eine Lüge, scheint sich ein Großteil der Beteiligten doch durchaus im Bewusstsein darüber gewesen zu sein, dass man der epochemachenden Qualität eines Das Schweigen der Lämmer nicht das Wasser reichen kann. Hannibal ist nicht mehr der markerschütternde, in seinen Charakterprofilen ausgefeilte Psycho-Thriller, sondern unverschämt kostspielige Exploitation.
Nachdem Hannibal Lecter am Ende von Das Schweigen der Lämmer fliehen konnte, hat er sich eine neue Identität als Museumsbibliothekar in Florenz erschafft, hat sich seiner von Abhängigkeit von Clairce Starling (nun gespielt von Julianne Moore, The Big Lebowski), deren Karriere beim FBI stagniert, jedoch nie lösen können. Plulpig wird der Film nicht im Aufkochen dieser verbotenen Romanze, sondern durch seine Nebenfiguren, die ganz üblen Groschenromanen entsprungen sein könnten: Da wäre der stinkreiche Mason Verger (unter tonnenschweren Schichten von Make-up entstellt: Gary Oldman, Die dunkelste Stunde), der einst Patient von Hannibal Lecter war, von diesem auf Drogen aber dazu verleitet wurde, sich die Haut mit einer Glasscherbe vom Gesicht zu ziehen. Die andere Figur ist der italienische Kommissar Rinaldo Pazzi (Giancarlo Giannini, Mann unter Feuer).
Dieser kettenrauchende, offenkundig ständig schwitzende Ermittler entlarvt Hannibals wahre Identität und möchte diesen unbedingt überführen, nachdem er via Internet-Recherche feststellt, dass Mason Verner ein attraktives Kopfgeld von 3 Millionen US-Dollar auf Hannibal ausgesetzt hat. Haben sich die Charaktere in Stellung gebracht, gibt sich Ridley Scotts erhabene Inszenierung einer fast schon prunkvollen Zierrat hin, während der Film sich inhaltlich auf dem tumb-dumpfen Niveau einer Seifenoper verständigt, die so offensichtlich, plakativ und hirnrissig ausschließlich darum bemüht ist, die ganz niederen Triebe mit dem Maximum an ästhetischer Selbstbeweihräucherung darzubieten. Tatsächlich wirkt Hannibal einen Großteil seiner Handlung so, als könnte ihm die Geschichte kaum bedeutungsloser sein, stattdessen ist Ridley Scott merklich darauf erpicht, seine Kompetenz als virtuoser Bildschmied nachhaltig zu unterstreichen. Und das funktioniert.
Natürlich ist Hannibal kein Meisterwerk, aber auf abseitige, entartete und nicht zuletzt faszinierende Art und Weise lebt der Film genau die maliziöse Dekadenz auf handwerklicher Ebene aus, für die Hannibal Lecter bekannt und auch gefürchtet ist. Wenn man so möchte, dann ist Hannibal ein grenzdebiler, Millionen von Dollar verschlingender Schundroman, eingebunden in das feinste Antilopenleder. Fast schon ins Satirische ausschlagend, gibt sich Hannibal den Gewaltexzessen seiner Vorlage hin, verweigert sich jeder erzählerischer Komplexität und zelebriert sich selbst als Kolportage, in der Wildschweine im Blutrausch über Menschen herfallen dürfen und Ray Liotta (GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia) als widerlicher Schmierlappen Paul Krendler verzichtbare Teile seines eigenen Gehirns verspeist. Natürlich, so viel Kultur und Gusto muss sein, deliziös und aromatisch angereicht mit Trüffel. Köstlich!
Und Hannibal Lecter? Der gockelt als Dandy durch das geschichtsträchtige Florenz, während Anthony Hopkins gelegentlich noch einmal unter Beweis stellen darf, wieso er diesem Charakter auf der Leinwand eine so ikonische Strahlkraft abringen konnte. Hannibal jedoch dabei zuzusehen, mit welcher wohlüberlegten Kaltblütigkeit er Menschenleben auslöscht, raubt der Figur einiges von seiner mystischen und mythischen Tiefe, lebte doch gerade Das Schweigen der Lämmer von seiner klaustrophobischen Stimmung, die sich auch auf das Wesen von Hannibal Lecter übertrug, der in begrenzter Räumlichkeit den Höchstwert an Dynamik freilegen könnte. Aber seine Gebaren passt natürlich zu diesem Film; diesem süffisanten, von der Exzentrik des Regisseurs geschwängerte Edeltrash-Operette, der Clarice Starling vollkommen egal ist; die sich selbst eben vollkommen genug ist. Es sei ihr erlaubt, als antiklimatisches Blockbuster-Kuriosum genießt Hannibal fast schon eine Sonderstellung.
Fazit
Kann man als Verfechter von "Das Schweigen der Lämmer" kaum ernst nehmen, aber man kann Ridley Scott für seine inszenatorische Exzentrik bewundern, der aus "Hannibal" eine Edeltrash-Operette macht, wie man sie in diesen kostspieligen, letztlich auch prestigeträchtigen Regionen nur selten zu sehen bekommt. Ein Schundroman in Antilopenleder gebunden, kann man verreißen, man kann sich in seinem kuriosem Wesen aber auch verlieren.