Inhalt
Juli 2014. Im Haus von Irka und Tolik fehlt eine Wand – sie ist den Kampfhandlungen an der russisch-ukrainischen Grenze zum Opfer gefallen. Auch als in der Nähe das Passagierflugzeug MH17 abgeschossen wird, will die schwangere Irka in ihrem Zuhause bleiben.
Kritik
Bei all der kinematischen Ausdruckskraft, die Maryna Er Gorbachs Kriegsdrama in sein parabolisches Szenario packt, und Sviatoslav Bulakovskyis kongenialen Kamerabildern, bleibt unweigerlich die Frustration darüber, die Inszenierung im Kino zu sehen statt im Theater. Dafür sind die begrenzte Szenerie und das zwischen surrealem Schrecken und Zynismus schwankende Geschehen wie geschaffen. Die Regisseurin setzt ihr Figurenpaar Tolik (Sergey Shadrin) und Irka (Oxana Cherkashyna) in eine offene Kulisse, deren Entstehung die Handlung mit einem wahrhaftigen Knalleffekt eröffnet.
Eine Rakete schlägt in das kleine Haus, in dem die werdenden Eltern im Handlungsjahr 2014 nahe der russischen Grenze leben, und reißt eine Wand weg. In ihrem Wohnzimmer sind die beiden in mehrfachem Sinne exponiert. Den Blicken der letzten verbliebenen Anwohner und des Publikums sind sie schutzlos ausgeliefert. Buchstäblich zwischen den Fronten ukrainischer Separatisten und russischer Streitkräfte ist die sich in der trügerisch ruhigen Landschaft zusammenbrauende Bedrohung förmlich greifbar. Doch Irka hat den Schuss nicht gehört.
Selbst als die Gefahr in Gestalt russischer Truppen buchstäblich vor der Haustür steht, lässt sie sich von Tolik nicht zur Flucht überreden. Die Protagonistin ist auf der diesjährigen Berlinale, wo die Anti-Kriegs-Allegorie im Panorama läuft, nicht die erste Frau mit Baby, die sich komplett irrational verhält. Doch die Figuren sind offenkundig eben nicht einfach nur Mann und Frau, sondern Personifikationen politischer Positionen. Beide setzen inmitten von Tod und Verwüstung eine unendlich verwundbare Zukunft.
Fazit
Vor dem Hintergrund des Russland-Ukraine-Konflikts konstruiert Maryna Er Gorbach ein Zivilistendrama zwischen Agitprop und absurdem Theater. Nachdem deren Plot sich zur staatskritischen Parabel wandelt, ergibt der Reigen aus Galgenhumor, Groteske und Grausamkeit mehr Sinn. Der Krieg wächst zur monströsen Bedrohung, unvorstellbar und dennoch erschreckend real. Oxana Cherkashynas unerschrockenes Spiel ist das rohe Zentrum der unbarmherzigen Parabel. Das taumelt blindlings von brutaler Satire in symbolische Schocks, die beide auf der Bühne besser aufgehoben wären.
Autor: Lida Bach