MB-Kritik

Maria Reiche: Das Geheimnis der Nazca-Linien 2025

Drama

Devrim Lingnau
Olivia Ross
Guillaume Gallienne
Amaranta Kun
Jorge Pomacanchari

Inhalt

Peru in den 30er Jahren: An ihrer Schule in Lima unterrichtet die junge Deutsche Maria Reiche (Devrim Lingnau Islamoğlu, Die Kaiserin) Mathematik – wirklich erfüllend ist diese Tätigkeit aber nicht. Als ein französischer Archäologe sie um Unterstützung bei einer Übersetzung bittet, führt das Maria zum ersten Mal in die südperuanische Nazca-Wüste. Dort stößt sie auf von der Forschung bislang unbeachtete, gigantische Scharrbilder am Boden: die heute weltberühmten Nazca-Linien. Eine Entdeckung, die Marias Leben unwiderruflich verändern wird ...

Kritik

Seit Monaten campiert Maria Reiche  unter einem Huarangobaum am Rand der Nazca-Wüste – im staubigen Nirgendwo. Ihre Freundin Amy (Olivia Ross, The Old Guard) spürt sie trotzdem auf. Und erklärt das mit einem spitzbübischen Lächeln: »Du bist berühmt in dieser Ecke der Welt.«

Ein kleiner Satz, eingebettet in die filmische Gegenwart irgendwann in den späten 1930er Jahren, aber er beschreibt auch die gegenwärtige Realität: Während die Dresdner Mathematikerin Maria Reiche in Deutschland eher wenigen ein Begriff ist, kennt in Peru bis heute jedes Kind ihren Namen. Schließlich hat Reiche den Großteil ihres Lebens den Nazca-Linien gewidmet – jenen riesenhaften, nur aus der Luft vollständig erkennbaren Scharrbildern in der südperuanischen Wüste, deren genauer Zweck bis heute nicht komplett greifbar ist.

Genau die Geschichte dieser Hingabe will Maria Reiche: Das Geheimnis der Nazca-Linien – im internationalen Verleih heißt der Film Lady Nazca – erzählen. Die ursprüngliche Inspiration lag für Regisseur Damien Dorsaz (La Vérité) in einer Begegnung mit Reiche selbst. Produzent Oliver Damian stellt in einem Interview zum Biopic aber auch klar: »Es ist natürlich eine Interpretation, eine Fiktionalisierung, das heißt, es ist keine 1:1-Wiedergabe aller Fakten, sonst wäre es ja eine Doku. (…) Der Film ist angelehnt an ihr Leben und durch sie inspiriert, aber wir haben uns die Freiheit genommen, es neu zu erzählen, mit inhaltlichen und dramaturgischen Änderungen.«

Die vorgenommenen Anpassungen sind dabei unterschiedlicher Art – und längst nicht nur dramaturgischer Natur, um dem Medium Film besser gerecht zu werden. Und nicht alle wirken nachvollziehbar. So ist es im Film der französische Archäologie Paul D’Harcourt (Guillaume Gallienne, The French Dispatch), der Maria Reiche durch einen Übersetzungsauftrag nach Nazca bringt und auf die bis dahin kaum beachteten Linien stoßen lässt. D’Harcourt forscht eigentlich zu vorspanischen Bewässerungssystemen – und scheint darüber hinaus eigens für den Film erfunden worden zu sein.
In der Realität arbeitete Maria Reiche mit dem US-amerikanischen Historiker Paul Kosok zusammen, der von den Linien bereits wusste: Sie waren schon einige Jahre zuvor etwa durch den peruanischen Archäologen Julio C. Tello untersucht worden.

Der Film strickt hier also einiges um, damit der Fokus stärker auf Maria Reiche liegt, die den merkwürdigen Scharrbildern als Erste überhaupt genug Bedeutung beimisst, sie gründlich zu untersuchen. Diese beharrliche Hingabe ist zweifellos auch, was Maria Reiches Lebenswerk so faszinierend macht, und zumindest einen Teil davon fängt der Film auch ein. Das gelingt ihm etwa durch die Zeit, die er sich dafür nimmt: Immer wieder gibt es Sequenzen, bei denen wir Maria bei der Arbeit zusehen – wie sie durch die Wüste stapft, mal mit Kompass und Kamera, mal mit einem Besen; wie sie Notizen kritzelt und Berechnungen anstellt; wie sie ihre entwickelten Bilder in Skizzen überführt. Dazu kommen Landschaftsaufnahmen der Nazca-Wüste, in denen Reiche und andere Menschen nur verschwindend klein wirken, untermalt von Nascuy Linares’ atmosphärischem Soundtrack zwischen perlender Klaviermusik und dem feinen Saitenschwirren von Charangoklängen, die teils an Gustavo Santaolalla, teils an Inti Illimani erinnern.

Vor allem aber gelingt hier viel durch Reiches Darstellerin Devrim Lingnau, die den Film über weite Teile wortlos trägt. Ihre Maria Reiche ist – wenngleich mehfrsprachig und wortgewandt – oft vor allem Beobachterin, und Lingnau weiß ausdrucksstark eine Bandbreite an Emotionen zu vermitteln, die keinerlei Dialog brauchen. Auch wenn Maria Reiche, die mit ihrem Umfeld in der Regel Spanisch, Französisch und Englisch spricht, immer wieder instinktiv auf Deutsch flüstern darf (»Och nee!«), wenn sie in den kreiselnden Gedanken ihrer Forschung versinkt. Das verleiht der Figur weiter Tiefe, wie überhaupt die Mehrsprachigkeit im Film positiv auffällt. Denn dass Maria vieles eben nicht in ihrer Muttersprache ausdrückt, lässt so manchen Dialog charmant und überzeugender wirken, der ansonsten wohl eher unbeholfen wäre.

Zudem sind große Teile des Casts auch tatsächlich peruanische Darsteller*innen, unter anderen Marina Pumachapi als Juana, auf deren Grundstück Maria ihr Lager aufschlagen darf. Mit ihrer Familie spricht Juana durchweg die indigene Sprache Quechua. Im Hinblick auf das Setting beachtet der Film also nach Möglichkeit authentische Details, was man auch bei den Aufnahmen aus dem »historischen« Lima merkt. Überhaupt wurde vorrangig an Originalschauplätzen gedreht, somit auch in der Nazca-Wüste selbst – die im Film gezeigten (und von Maria untersuchten) Linien sind aber vom Filmteam geschaffene akribische Nachbildungen.

An der historischen Wahrheit bleibt der Film auch, indem er Maria Reiches Lebensgefährtin, die Britin Amy Meredith vorkommen lässt. Dass die Darstellung der Beziehung dennoch etwas zurückhaltend wirkt, ist laut Produzent Damian der eher konservativen Haltung geschuldet, auf die man bei peruanischen Kooperationspartnern stieß (bzw. wohl beim peruanischen Publikum vermutete): »Dass [Reiche] eine lesbische Liebesbeziehung hatte, wird nirgendwo erzählt und das streiten auch alle ab.«

Während die Dynamik zwischen Maria und Amy oft menschlich und authentisch wirkt, muss sie an anderen für Konflikt herhalten. Zwar ist es nachvollziehbar, dass die mondäne Amy Schwierigkeiten damit hat, wie hingebungsvoll Maria sich dem Leben in der Wüste verschreibt und die Erforschung der Nazca-Linien über alles andere stellt, insgesamt aber wirkt die Dramaturgie des Konflikts nicht so recht überzeugend. Das gilt leider auch für andere Konfliktlinien, die eröffnet werden – etwa die Bedrohung der Nazca-Linien durch die Machenschaften eines selbstherrlichen Großgrundbesitzers. Sowohl dessen Auftreten als auch sein Einfluss dürften wohl kaum so überzeichnet sein, wie es auf den ersten Blick wirkt, ein wirklich überzeugendes Bedrohungsgefühl setzt aber trotz aller filmischer Bemühungen nie ein.

Das ist auch der generellen Erzählweise des Films anzulasten: Zeit bleibt hier durchweg schwammig. So gibt es weder konkret verortete Jahreszahlen – nur den vagen Verweis auf den sich in Europa ausbreitenden Faschismus – noch klare Orientierungen, wie viel Zeit zwischen einzelnen Szenen verstreicht. Dadurch wirken viele Entwicklungen nicht ganz nachvollziehbar (Maria Reiche scheint ihre Forschung gerade erst aufgenommen zu haben, gilt den Einheimischen aber bereits als Legende), oder es fehlt ihnen an emotionaler Wucht. Verloren geht dadurch auch die Tatsache, dass Maria Reiche über Jahrzehnte in der Nazca-Wüste lebte und forschte. Die im Film thematisierten Ereignisse verteilten sich in der Realität über einen Zeitraum von gut dreißig Jahren; die Filmhandlung lässt all das in luftiger Zeitlosigkeit ablaufen, die zum Teil den Anschein schafft, es wären nur wenige Monate.

Lediglich am Ende erlaubt der Film sich hierzu zarte Andeutungen, bleibt aber selbst in den finalen Einblendungen extrem sparsam mit den Informationen, die zum Abschluss eines Biopics sonst häufig üblich sind. Das ist schade, zumal auch Reiches Theorie zu den Nazca-Linien als gewaltigem astronomischem Kalender als vermeintlich allgemeingültige Erklärung im Raum stehen bleibt – zumindest ein paar einordnende Worte zum gegenwärtigen Forschungsstand wären hier wünschenswert gewesen.

Fazit

 »Maria Reiche: Das Geheimnis der Nazca-Linien« widmet sich seinem Thema mit viel Liebe zum Detail – jedenfalls da, wo es um den Schauplatz und die Emotionen der Hauptfigur geht. Atmosphärisch macht der Film dabei vieles richtig und lebt maßgeblich von der Ausdrucksstärke Lingnaus. Dramaturgisch hingegen ist der Streifen weniger geglückt, auch weil Reiches Biographie zu sehr abstrahiert und abgewandelt wird. Konfliktlinien wirken oft wenig überzeugend und laufen ins Leere, und trotz der starken Verdichtung biografischer Ereignisse wirkt die Handlung stellenweise fragmentarisch. Das Potenzial, das Maria Reiches Leben auch für ein Biopic mit erzählerischen Freiheiten geboten hätte, wird so leider nicht ausgeschöpft.

Autor: Sabrina Železný
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