Hin und wieder gibt es sie, diese kleinen Indie-Filme, die plötzlich aus dem Nichts kommen und dann in aller Munde sind. Als Moonlight im September 2016 auf dem Toronto Film Festival aufgeführt wurde und danach auf zahlreichen anderen Festivals die Runde machte, verbreitete sich der Hype um ihn wie ein Lauffeuer. Für einen Film, der für wenig Geld produziert wurde und weitestgehend ohne große bekannte Namen auskommt ein großartiger Erfolg. Auch in Hinblick auf die Oscarverleihung 2017, bei der das Drama von Barry Jenkins mit stolzen acht Nominierungen als größter Favorit neben La La Land ins Rennen geht.
Moonlight erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte eines Menschen in drei Akten, welche jeweils eine entscheidende Phase seines Lebens widerspiegeln. Im ersten Teil ist Chiron, um welchen es hier geht, gerade einmal neun Jahre alt und wächst in ärmlichen Verhältnissen, bei seiner alleinerziehenden Mutter (Naomie Harris), inmitten eines harten Viertels, auf. Wer hier durchkommen und anerkannt werden will, muss tough, maskulin und selbstsicher sein. All das ist Chiron aber nicht, der Junge ist unheimlich introvertiert, sensibel und eingeschüchtert. Vermutlich ist das gestörte Verhältnis zu seiner drogenabhängigen Mutter, die sich vor seinen Augen prostituieren muss, um vor allem ihre Sucht zu finanzieren, ein wichtiger Grund dafür. Aber Chiron tickt generell etwas anders als sein Umfeld und soll auch schon bald in einen Konflikt mit seiner sexuellen Neigung zu Männern geraten. All das, in einem rauen Viertel, worin sich die Gesellschaft durch ihre Maskulinität definiert, auch noch als Schwarzer zu durchleben, muss wie ein Trip durch die Hölle sein. Und da Chiron sich nicht anpassen kann (oder will) und jeder Außenstehende merkt, dass er anders ist, wird er von seinem Umfeld ausgegrenzt und gemobbt.
Wortlos geistert dieser Junge durch die Straßen und sein Schmerz ist für den Zuschauer stets greifbar. Zuflucht findet er kurioserweise bei einem Mann, der genau das Gegenteil von ihm verkörpert. Juan (Mahershala Ali) ist der lokale Drogenboss, mit reichlich Geld in der Tasche, durchtrainiertem Körper, der seinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat und von allen respektiert wird. Eigentlich aber ist er ein echt netter Kerl, der das harte Image nur nach außen zur Show trägt. Zusammen mit seiner Partnerin entwickelt sich hier so etwas wie eine kleine Ersatzfamilie für den Jungen, was für kleinere Lichtblicke im harten Alltag sorgt und auch das Herz des Zuschauers aufgehen lässt. Beispielsweise wenn Juan den jungen Chiron mit ans Meer nimmt, um ihm das Schwimmen beizubringen. Ohne viel Worte zu verlieren stecken in den poetischen Bildern dermaßen viel Kraft und Schönheit, dass es einem den Atem raubt. Moonlight ist ein Film den man vor allem fühlt, der es gar nicht nötig hat, seine Handlung künstlich aufzupushen, sondern seine Botschaft durch die ästhetischen Bilder sowie durch das hervorragende Schauspiel aller Beteiligten zu übermitteln weiß. Ein Blick in Chirons Gesicht reicht schon oft aus um in die Seele des Jungen zu schauen und Mitgefühl für ihn zu entwickeln.
Im zweiten Teil ist Chiron bereits ein Teenager im Alter von 16 Jahren, der es leider immer noch nicht geschafft hat sich selbst zu finden, aber auch nicht den richtigen Weg, um sich anderen gegenüber zu behaupten. Das Verhältnis zu seiner Mutter ist noch schlechter geworden und seine Mitschüler machen ihm das Leben noch schwerer, da sie nun vermutlich auch erahnen, dass er homosexuell ist. Immerhin einen Freund hat er in einem Jungen namens Kevin finden können, der jedoch zwischen beiden Welten zu stehen scheint. Einerseits sympathisiert er mit Chiron, andererseits darf er keine Schwäche zeigen um nicht genau wie er zu enden. Auch dieser Teil geht emotional sehr nahe und beinhaltet einige sehr gefühlvolle Szenen, die das ohnehin schon komplizierte Leben Chirons auf den Kopf stellen.
Wenn Chiron im letzten Akt, im Alter von rund 30 Jahren, plötzlich als breit gebauter Gangstertyp auftritt, stößt das im ersten Moment etwas an den Kopf, da man diesen Wandel kaum wahrhaben möchte. Vielleicht hat es Moonlight an dieser Stelle mit der Darstellung auch ein klein wenig übertrieben. Doch ergibt der Wandel letztendlich Sinn, Chiron ist zu dem geworden, was die Gesellschaft ihm zum Überleben abverlangt hat, quasi ein Abbild Juans. Doch je weiter die Episode voranschreitet, desto mehr weiß sie zu berühren, wenn man erst einmal begreift, was eigentlich dahinter steckt.
Alle drei Teile greifen wunderbar ineinander über und schaffen ohne reißerische Eingriffe, das komplexe Innenleben dieses Menschen auf einfühlsame Art zu verdeutlichen. Die stille Herangehensweise wird dabei womöglich nicht jedermanns Geschmack entsprechen, trifft aber auf ihre Weise genau den richtigen Ton, wenn man sich darauf einlässt. Der Handlungsaufbau selbst mag dabei zwar nicht außerordentlich überraschend ausfallen, bleibt aber durch seine Kraft und Wichtigkeit stets ein gelungener Teil von Moonlight. Zudem sticht Barry Jenkins' Werk stilistisch mit seiner wunderschönen Bildsprache heraus, die in Kombination mit der klangvollen, sanften Musik von Nicholas Britell fast magisch wirkt. Für einen Indie wirkt er dadurch eigentlich schon zu imposant, Kompliment dafür.
Zu guter Letzt nochmals ein paar Worte zum großartigen Cast. Jeder einzelne von ihnen trägt dazu bei, dass sich Moonlight so real, so sanft und intensiv anfühlt. Naomie Harris und Mahershala Ali wurden beide dafür zu Recht für einen Oscar nominiert, doch auch alle drei Darsteller Chirons (Alex R. Hibbert, Ashton Sanders und Trevante Rhodes) laufen zu Höchstformen auf. Ein starkes Ensemble, welches sich hier zusammengefunden hat.