Inhalt
In seinem eigenen Leben fremd, kehrt der junge BWL-Student Danny nach dem plötzlichen Tod seines Vaters widerwillig in seine kleine Heimatstadt mitten im Nirgendwo zurück. Zu seiner Überraschung findet er dort das sommerliche Paradies seiner Jugend wieder. Statt sich seiner Vergangenheit zu stellen, verliert er sich in der erneut aufflammenden Liebe zu seiner Jugendfreundin Susu. Auf der Suche nach seinem Platz im Leben muss er jedoch den Mut aufbringen, seine Jugend hinter sich zu lassen und endlich seine Träume zu leben.
Kritik
Jeder Generation spendiert das Kino meist den passenden Film, der die Gefühle von Menschen widerspiegelt, die sich meist in einem Abschnitt ihres Lebens befinden, der einen entscheidenden Übergang zu etwas Neuem markiert und zugleich von Ängsten, Ungewissheit, Überforderung und Stillstand geprägt ist.
Verortet man Nirgendwo in einer Liga mit zeitlosen Meilensteinen wie Garden State, Voll das Leben, Absolute Giganten oder Die Reifeprüfung, wird Matthias Startes Spielfilmdebüt unweigerlich eine große Ehre zuteil, mit der sich der noch recht junge Regisseur in Teilen durchaus rühmen darf. Erzählt wird die Geschichte von Danny, der mit Anfang 20 aus einem ländlichen Örtchen nach Berlin zieht, um dort BWL zu studieren. Dem Wunsch seines Vaters folgend, der den Sohn dadurch in eine fest vorgegebene Karrierelaufbahn drängen will, lässt er seine Freundin Susu, die besten Kumpels und seine große Leidenschaft der Photographie hinter sich und schlägt einen Kurs ein, auf dem der zwischen Jugendlichkeit und Erwachsensein stehende Danny zunehmend mit sich selbst hadert.
Starte entwirft in seinem Film ein ebenso treffsicheres wie zeitgemäßes Porträt einer Generation Y. Die einzelnen Figuren, die sich in ihren Charaktereigenschaften auf den ersten Blick schnell und einfach einschätzen lassen, versieht der Regisseur zunehmend mit feinfühligen Wesenszügen, zwiegespaltenen Gewissenskonflikten und nachvollziehbaren Problemen. So dienen sie gleichzeitig als universelle Projektionsflächen für ein spezielles Publikum, dem dieser Film mit spürbarem Herzblut und sichtlicher Hingabe förmlich auf den Leib geschneidert wurde.
Nachdem Danny in Berlin vom Tod seines Vaters erfährt, verlässt er die Hauptstadt notgedrungen, um für die Beerdigung in seine alte Heimat zurückzukehren. Hier treffen die Vergangenheit, von der er sich abgetrennt hat und die für ihn mittlerweile nur noch aus verblassenden Erinnerungsstücken existiert, und sein jetziges Dasein, das aus ihm einen nachdenklichen, unentschlossenen Menschen gemacht hat, aufeinander. Durch das Verhältnis zwischen Danny und seinen engen Freunden, die ebenfalls unterschiedliche Vorstellungen vom Leben und der eigenen Zukunft haben, seiner übereilt verlassenen Ex-Freundin Susu und Adoptivschwester Kirsten, die nach dem früheren Verlust der Mutter und dem nun eingetretenen Tod des Vaters das einzige Stück Familie darstellt, das für Danny noch übrigbleibt, kreiert Starte ein bisweilen eindrucksvolles Panorama aus unreifer Getriebenheit, einschneidenden Veränderungen und dem, was sich herausbildet, wenn gegensätzliche Träume und Wünsche zusammenprallen.
Die Entscheidung des Regisseurs, mit eher unerfahreneren Darstellern zusammenzuarbeiten, die noch dazu möglichst lebensnahe, aber in ihrem Inneren unentschlossene, widersprüchliche Figuren spielen sollen, hätte aus Nirgendwo einen problematischen Film machen können, der an unbeholfenen, unglaubwürdigen Schauspielleistungen leidet. Tatsächlich wirkt der Film aber so authentisch, als sei er direkt aus dem wahren Leben geschnitzt worden und auch in Dialogpassagen, in denen manche Wörter undeutlich verschluckt oder genuschelt werden, hat Starte einige Sätze eingebracht, die auf gefühlvoll unverstellte Weise den richtigen Nerv treffen.
Auch wenn sich der Regisseur im gesamten Verlauf seines Films manchmal etwas zu oft Montagen hingibt, die den typischen Eindruck eines emotionalen Musikvideos erwecken, bei denen mit hübschen Farbfiltern nachgebessert wurde, vermittelt er in anderen Szenen große Eindrücke mithilfe kleiner Details, wenn beispielsweise die eigene Mutter durch einen Knick im Familienfoto unliebsam aus dem Alltag verbannt wurde. Auf der Zielgeraden, wenn Nirgendwo Gefahr läuft, in banaler Gefälligkeit zu enden, bringt Starte aus den einzelnen Momenten plötzlich noch etwas unerwartet Großartiges hervor. Indem er mit einer überraschenden Drastik sowie bewegenden Konsequenz aufwartet, die man ihm so spät gar nicht mehr zugetraut hätte, endet der Film entgegen seines Titels nicht im Nirgendwo, sondern als würdevoll beschlossenes Werk voller melancholischer Hochgefühle, getrockneten Tränen und Entschlüssen, die in ihrer zweifelhaften Endgültigkeit genau dem entsprechen, was Starte die ganze Zeit schon verfolgt und eingefangen hat.
Fazit
Als Generationenporträt einer heranwachsenden Jugend, die zwischen vielfältigen Möglichkeiten, unreifen Impulsen und tiefgreifenden Problemen steht, ist Matthias Starte mit „Nirgendwo“ ein beachtliches Spielfilmdebüt gelungen, das von der authentischen Ungezwungenheit der Darsteller, einprägsamen Einzelmomenten und einem übergreifenden Lebensgefühl verbunden wird, das den Nerv seiner Zielgruppe auf ebenso verständnisvolle wie anrührende Weise trifft.
Autor: Patrick Reinbott