4.9

MB-Kritik

The Heretics 2017

Horror

4.9

Inhalt

Eine berüchtigte Sekte entführt ein junges Mächtigen. Die Mitglieder opfern sich daraufhin um sie herum selbst im Licht eines besonderen Mondes. Die Gekidnappte wacht am nächsten Morgen umgeben von getrockneten Blut und vermummten Leichen auf. Als Jahre später der Mond wieder am Himmel erscheint, wird sie von einem überlebenden Mitglied des Kultes erneut gefangen genommen und in eine abgelegene Hütte gebracht. Ihr Entführer erklärt ihr, dass in all den Jahren seit des Selbstmord-Opfers ein Dämon in gewachsen ist und dieser sich nun vor der Morgendämmerung erheben wird.

Kritik

Das Sub-Genre des Okkult-Horrors beläuft sich seit einer gefühlten Ewigkeit auf die immer gleichen Besessenheits-Motive: Ob Der letzte Exorzismus, Incarnate oder Possession – Das Dunkle in Dir. Die Besitzergreifung einer dämonischen Entität (gerne auch mal vom Satan höchstpersönlich) wurde einst natürlich von William Friedkins Der Exorzist meisterhaft und wegweisend etabliert, allerdings gibt das Okkult-Sujet deutlich mehr her, als das teuflische Habhaft werden eines zumeist von Unschuld gezeichneten Individuums. Die kanadische Produktion The Heretics von Chad Archibald (The Drownsman) weist immerhin Ambitionen dahingehend auf, den Konventionen des Genres ein Stück weit entgegenzuwirken, was in den ersten Minuten des Films auch für den wohl stimmungsvollsten Moment des Gesamtwerkes führt: Hier nämlich versteht The Heretics es, den Zuschauer in ein Szenario zu entführen, in dem die Ungewissheit dominiert.

In der Exposition wird man Zeuge, wie Gloria (gutaussehend, aber zumeist ausdruckslos: Nina Kiri, Let Her Out) schreiend und an Armen und Beinen gefesselt auf einer massiven Holzplatte mitten im Wald erwacht. Um sie herum versammelt sich eine Gruppe Sektierer, obligatorisch mit schauriger Holzmaske (die sind wirklich gelungen und erinnern an das 1970er Jahre Kino) und in weißem Gewand gehüllt. Dass es allerdings nicht Gloria ist, die hier für höhere Ziele geopfert werden soll, unterläuft angenehm Erwartungshaltungen, stattdessen kommt es zu einem Massensuizid, der Gloria mit dem spritzenden Blut aus den Halsschlagadern der Ritualisten von oben bis unten benetzen wird. Dieses Gefühl des Kontrollverlusts vermag The Heretics im Anschluss nie wieder einzuholen, weil er sich eben nicht auf das (womöglich?) psychotische Wesen Glorias einlässt, sondern sich merkwürdigerweise einmal quer durch die Mottenkiste des Okkult-Horrorfilms fleddert.

Mit dem mysteriösen Narbengesicht Thomas (Ry Barrett, Antisocial) und Glorias love interest Joan (Jorja Candence, Do You See What I See?) erweitert The Heretics nicht nur den ausschlaggebenden Personenkreis, auch die schauspielerischen Qualitäten steigen an, was vor allem auf Jorja Candence zutrifft, die einige herrlich durchtriebene Augenblicke gekonnt ausspielen darf. Nach einer guten Viertelstunde jedoch scheint Chad Archibald in seiner nunmehr siebte Regiearbeit das gesamte Kreativpulver verschossen zu haben. Was folgt, ist ein Eindruck davon, dass Archibald sicherlich Zeit seines Lebens mit Horrorfilmen in Berührung gekommen ist, die Grammatik des Genres indes beherrscht er nicht. Vielmehr reiht er Versatzstück an Versatzstück, Body- an Natur-Horror, Familien- an Schuld-und-Sühne-Drama und beweist dabei, wie unausgegoren das Drehbuch und seine Regie ausgefallen sind. 

Wie gesagt: Der Ägide von Chad Archibald ist durchaus anzumerken, dass hier ein Künstler zu Werke geschritten ist, der eine klare Leidenschaft zum Horror-Genre pflegt (wenn die einsame Hütte im Wald gezeigt wird, ist die liebevolle Referenz augenfällig). Geradezu absurd ist daher die Kluft, die entsteht, wenn man bemerkt, wie uninspiriert Archibald agiert. Bezeichnend ist gerade der Umstand, dass The Heretics keinerlei Gespür dafür besitzt, Bilder für sich allein sprechen zu lassen, ein Klima der Bedrohung rein über das Visuelle heraufzubeschwören, was ihn dazu nötigt, jede Szene,  in der ein gewisses Maß an übernatürlicher Beklemmung aufgefächert werden soll, mit einem übermäßig penetranten Klangteppich zu überstülpen, der nicht suggestiv, sondern penetrant und enervierend auf den Zuschauer einwirkt. Und damit versinkt The Heretics im unteren Genre-Einheitsbrei, in dem es nicht um Beklommenheit, sondern um Lärmbelästigung geht.

Fazit

Mit "The Heretics" beweist Chad Archibald, dass er Zeit seines Lebens Horrorfilme verschlungen hat – verstanden allerdings hat er sie nicht wirklich. Denn anstatt eine suggestives Klima der Angst zu evozieren, baut Archibald in seiner Inszenierung auf lärmende Effekthascherei. "The Heretics" ist keine einnehmende Hommage an 1970s Jahre Horror-Kino, sondern ein lärmender Besuch im Gebrauchtwarenladen der Motive und Versatzstücke.

Autor: Pascal Reis
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