Inhalt
Shun Li näht Hemden für die chinesische Mafia in einer Fabrik in Rom, damit sie eines Tages ihren Sohn wiedersehen kann, der sich in den Händen der Mafia in China befindet. Weil sie ihren Job gut macht, wird sie in die Lagune von Venedig versetzt. Dort haben die Chinesen ein altes Cafe gekauft. Mit ihrem gebrochenen Italienisch soll sie die dort verwurzelten Fischer der Lagune in ihrem Stammlokal bedienen. Diese trauen ihren Augen nicht, als plötzlich die kleine Chinesin hinter dem Tresen steht. Das Cafe ist schon lange das zweite Zuhause für die Fischer. Und von einer Chinesin, die nicht einmal weiß, was ein Caffè-Corretto ist, werden sie sich nicht kommandieren lassen. Da kann es schon mal zu Konflikten zwischen den Kulturen kommen. Aber zumindest unter der harten Schale eines Fischers verbirgt sich ein weicher Kern. Bepi, der Poet, ist selbst vor 30 Jahren als Migrant in die Lagune von Venedig gekommen. Er hat Verständnis für die unsichere, neue Chefin im Cafe und hilft ihr, sich zurechtzufinden. Die beiden kommen gut miteinander aus, nicht zuletzt wegen des beidseitigen Interesses an der Poesie. Sowohl den misstrauischen Kollegen als auch der chinesischen Mafia ist die warmherzige Beziehung der beiden einsamen Seelen ein Dorn im Auge. Doch trotz der widrigen Umstände bewährt sich die Freundschaft.
Kritik
Auch wenn der Italiener Andrea Segre (Il Sangue Verde) in seiner Karriere schon einige Dokumentation inszeniert hat, so handelt es sich bei Venezianische Freundschaft dennoch um sein Spielfilmdebüt. Dass der Regisseur bereits filmische Erfahrung besitzt, merkt man dem fertigen Film durchaus an und so begeht er wenig typische Einsteigerfehler, die man sonst häufiger bei Erstlingen beobachten kann. Auf eine sehr natürliche Art erzählt der Film von einer ungleichen Freundschaft, von stillen Sehnsüchten und dem Gefühl des Verlorenseins. Dabei scheint der Ort des Geschehens seltsam aus der Zeit gefallen zu sein. In diesem kleinen Teil von Venedig herrscht Stillstand und jeden Tag scheinen die gleichen Menschen den gleichen Tätigkeiten nachzugehen.
Dadurch wirkt die Zeit im Kontext des Films ungewohnt unlinear. Die behäbige Erzählstruktur sorgt darüber hinaus dafür, dass Venezianische Freundschaft sich bisweilen sehr meditativ anfühlt. Damit gleicht sich der Film durchaus seinen Figuren an, sind auch diese als sehr ruhige Charaktere dargestellt. Inhaltlich werden dabei einige typische Klischees aufgegriffen, die der Film trotz zahlreicher Versuche nicht vollends verschleiern kann. Gerade den Hauptkonflikt um eine junge Chinesin, die sich in einem fernen Land behaupten muss hat man so schon unzählige Male gesehen. Und auch ihre wachsende Freundschaft zu einem alternden Einheimischen bedient die typische Erwartungshaltung, wenn sich bei unterschiedliche Figuren aneinander annähern.
Etwas fehl am Platz fühlen sich auch die gelegentlich auftretenden Äußerungen zur Weltpolitik an. Da gibt es beispielsweise eine Szene in einem Friseursalon deren einziger Inhalt darin besteht, dass sich zwei Nebencharaktere über eine politische Entscheidung von Obama unterhalten. Ob Regisseur Andrea Segre an diesen Stellen seine Figuren als eigenes Sprachrohr missbraucht oder doch etwas Anderes damit bezweckt, bleibt unklar. Feststeht jedoch, dass Szenen wie diese schlichtweg überflüssig sind, da sie keinerlei Einfluss auf den restlichen Film haben und gerade der restliche Tenor des Films nie übermäßig politisch erscheint. In Verbindung mit der ohnehin sehr langsamen Struktur des Films bremsen diese Momente die Erzählung unnötigerweise weiter aus.
Davon abgesehen beweist der Regisseur aber durchaus Talent bei der formalen Gestaltung und der Schauspielführung. Gerade die Chemie zwischen den Protagonisten stimmt und so lockert sich die festgefahrene Struktur angenehm auf. In der besten Szene des Films ist die komplette Kulisse einige Zentimeter mit Wasser überschwemmt und dabei eröffnen sich herrlich neuartige Blickwinkel auf die Figuren des Films. Überhaupt scheint man optisch wenig falsch machen zu können, wenn man im Hintergrund stets die beeindruckende Kulisse venezianische Architektur und sonnenbeschienener Kanäle einfängt.
Fazit
„Venezianische Freundschaft“ ist ein ruhiges Drama, das bewusst auf eskalierende Konflikte und kitschige Momente verzichtet. In die Kulisse eines sonnigen Venedigs gehüllt dürfen zwei augenscheinlich sehr unterschiedliche Menschen erkennen, dass sie vieles gemein haben. Dabei ist das Spielfilmdebüt von Andrea Segre zwar nicht so mitreißend und tiefgehend wie der Regisseur es gerne hätte, doch nichtsdestotrotz kommen interessierte Zuschauer wohl auf ihre Kosten.
Autor: Dominic Hochholzer