Seitdem die X-Men in den 60er Jahren das Licht der Welt erblickt haben, kreiert von Comic-Legende Stan "The Man" Lee und Zeichengenie Jack Kirby, avancierten die mutierten Superhelden schnell zum beliebten Comic-Franchise. Figuren wie Storm, Wolverine, Deadpool oder Cyclopse kennen heute nicht nur Fans der Serie, sondern sind teilweise schon regelrechte Kultcharaktere. Kein Wunder also, dass auch eine Kinoadaption nicht lange auf sich warten ließ. Mit "X-Men" aus dem Jahre 2000, konnte Regisseur Bryan Singer dabei nicht nur den Geist der Reihe gekonnt auf die große Leinwand übertragen, sondern auch der Mutanten-Gruppe rund um Professor X sowie Magneto die perfekte Bühne geben. Es folgten zwei weitere Teile und sogar mit "X-Men Origins: Wolverine" ein Ableger. Doch der Reihe ging allmählich die Luft aus. Was früher ruhig inszeniert einen Blick auf Intoleranz, Ablehnung und Kampf bot, wurde effektreiches aber relativ leeres Bombastkino. Trotz Cliffhanger, wurde so lange ein weiterer Teil der Reihe verschoben und auch Filme wie "Magneto" oder "Storm" wurden niemals realisiert. Die X-Men Saga schienen vorerst ihr Ende erfahren zu haben. Nun folgte jedoch mit "X-Men: Erste Entscheidung" ein Neuanfang, der frisches Blut in das Franchise pumpen soll. Das Risiko sowie die Skepsis waren hierbei groß, doch unter der Regie von Newcomer Matthew Vaughn ("Kick-Ass"), kehrten die X-Men nicht nur zu alter Stärke zurück, sondern präsentieren auch grandioses wie intelligentes Sommerkino, welches mit Leichtigkeit an die alten Tugenden der Saga anknüpft.
Während sich "X-Men" von Regisseur Bryan Singer bereits auf den Konflikt zwischen den X-Men unter Charles Xavier, den Machenschaften einzelner Militärs sowie Magneto konzentrierte, geht "X-Men: Erste Entscheidung" zu den Anfängen der Marvel-Reihe zurück und wirft ein Blick auf die ersten Schritte der Mutanten . So erzählt Regisseur Matthew Vaughn die Hintergründe der Figuren, zeigt die Freundschaft zwischen Charles Xavier und Erik Lensherr auf und wie es schlussendlich zu der erbitterten Feindschaft zwischen beiden kommt. Die Grundmaterie die hierbei offenbart wird, birgt ein grandioses spannungspotenzial, welches zwar bereits von Singer im Jahr 2000 aufgegriffen wurde, nun aber konsequent vollendet wird. Kann Charles mit seiner naiven Vorstellung tatsächlich eine neue Gesellschaft aufbauen, in der Mutanten sowie Menschen friedlich nebeneinander existieren? Oder wird sich doch Eriks Befürchtung bewahrheiten, dass die "normalen" Menschen aus Angst die Mutanten angreifen, sie in Lager stecken und töten werden. Besonders die Hintergrundgeschichte von Erik, durch seinen Aufenthalt im KZ Auschwitz, trägt hier viel zur Tiefe der Handlung bei. Überhaupt sind es vor allem die Figuren, die aus der ersten Stunde eine vielschichtige Story machen, die nicht nur das X-Men-Universum sinnvoll erweitert, sondern auch die einzelnen Figuren gekonnt ergänzen.
Im Kern stehen so immer Charles und Erik, ohne das die Geschichte zu stark in den Hintergrund drängt. Allerdings ist diese ohnehin bei näherer Betrachtung keineswegs Originell. Das Gegenseitige ausspielen von Russen sowie Amerikaner zusammen mit einer Raketenstationierung auf Kuba sowie einiger verschiedener Geheimbasen (unter anderem ein Atom-U-Boot), mutet eher wie ein James-Bond-Film an, als einer klassischen "X-Men"-Geschichte. Vaughn, der tatsächlich ein großer Bond-Fan ist, schafft es so dieses Mal nicht, eine fantastische Comic-Handlung zu erzählen, ohne in Klischees oder alte Konventionen zu verfallen. Selbst der berühmte runde Tisch im geheimen US-Bunker, den Stanley Kubricks "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" schon vor knapp 40 Jahren definierte, bekommt so seinen obligatorischen Auftritt. Dies zusammen mit der optisch kaum auf die 60er bezogenen Atmosphäre, nimmt viel vom Potenzial und lässt "X-Men: Erste Entscheidung" etwas hinter seinen Genrekollegen zurückfallen. Dennoch kann Regisseur Vaughn stets immer wieder seinen Roten Faden aufgreifen und die Kernthematik mit einer imposanten Inszenierung voran treiben.
Besonders die neuen Nuancen von Charles, der als Professor X (Patrick Stewart) eher die allwissende Vaterfigur war, sowie von Erik, der als Magneto (Ian McKellen) den besonnen Taktiker spielte, machen aus dem neuen X-Men eine einmalige Erfahrung. So ist der junge Charles aufbrausend, charmant und auch ein Frauenschwarm, der das Leben stets auf die leichte Schulter nimmt. Währenddessen ist Erik durchtrieben von Wut, Hass und einer unstillbaren Lust nach Vergeltung. Diese unterschiedlichen Ansichten sowie die ungleiche Sicht auf die Geschehnisse, führen zwangsläufig zum Bruch der Freundschaft. Einzig dieser Konflikt hätte ausgereicht, um exzellente 132 Minuten Comic-Unterhaltung auf die Leinwand zu bringen. Doch Regisseur Matthew Vaughn verbindet dieses auch noch gekonnt mit einer fast schon epischen Geschichte rund um Kampf, Verrat sowie das Ende der Welt, welche besonders durch die effektreiche Inszenierung eine wahre Pracht ist. Einzig der präsentierte Bösewicht, bleibt hinter den Erwartungen zurück. Zwar füllt Kevin Bacon als Sebastian Shaw die Rolle mit seiner arroganten Art perfekt aus, die Tiefe von Charles oder Erik bleibt ihm jedoch verwehrt. Überhaupt bleiben die gegnerischen Mutanten der X-Men recht farblos und hinterlassen so einen bitteren Nachgeschmack, da diese ebenfalls ein großes Potenzial gehabt hätten. Alleine die Figur des Azazel, der der Vater von Nightcrawler ist ("X-Men 2"), hätte für einen eigenen Film gereicht. Dies sowie ein paar Seitenhiebe auf die Original-Trilogie, lassen erkennen, dass scheinbar die Drehzeit von nur acht Monaten doch deutlich zu kurz war.
Doch was an Handlung und einiger Charaktertiefe zu kurz kommt (hier vor allem die Gegner der X-Men), kann Regisseur Matthew Vaughn mit seiner gelungen Inszenierung mehr als Wett machen. Zwar ist die Action rar gesät, dafür aber umso intensiver. Mit einem wuchtigen Soundtrack, einem Hang zur desaströsen Zerstörung sowie einer ruhigen immer auf das Geschehen gerichteten Kamera, kann Vaughn einmal mehr sein bestes in diesem Bereich offenbaren. Besonders das Finale, welches im Hinblick auf die Figuren viel zu schnell kommt, kann durch seine spannende Art mehr als überzeugen. Doch auch die Comic-Atmosphäre ist durchweg gelungen. Nicht nur dass "X-Men: Erste Entscheidung" einen Hang zu liebevollen Details hat, auch Anspielungen auf das Franchise sowie ein wirklich gelungener Cameo (Lacher garantiert) gehören zum Repertoire. Und natürlich dürfen die sehr am Original gehaltenen Kostüme der X-Men (blau-gelb) indes nicht fehlen.
Auch im Bereich der darstellerischen Leistungen, zeigt sich X-Men von seiner herausragenden Seite. Besonders James McAvoy und Michael Fassbender, die dadurch vollends zur A-Riege Hollywoods gehören dürften, zeigen sich von ihrer besten Seite. McAvoy spielt die Rolle des Xavier stets etwas verspielt sowie geheimnisvoll, dafür aber in den richtigen Momenten umso kraftvoller. Fassbender dagegen, kann seine innere Wut förmlich nach außen transportieren und spielt die jüngere Version des Magneto mit einer beängstigenden Präsenz. In den vielen Nebenrollen, können vor allem Kevin Bacon als sadistischer wie boshafter Sebastian Shaw, Rose Byrne (bekannt aus "28 Weeks Later") als kühle erfolgsorientierte Agentin Moira MacTaggert, Jennifer Lawrence als kraftvolle wie wegsuchende Raven/Mystique, January Jones als kaltherzige Emma Frost sowie Nicholas Hoult als ambitionierter und schüchterner Hank "Beast" McCoy überzeugen.