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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

Ein fotoaffiner Flüchtling ohne Namen schafft es aus einem Arbeitslager zu entkommen, kämpft sich durch die verwehten Dünen der Wüste Gobi und kommt schließlich in einem chinesischen Dorf an. Neben seinem Diebstahl von Lebensmitteln, um seinen Körper am Laufen zu halten, hat er es auf eine spezielle Filmrolle abgesehen: Eine Ausgabe der Wochenschau, in der seine verlorene Tochter erscheinen soll. Doch auch ein plötzlich auftauchendes Waisenkind namens Liu möchte diese Rolle ergattern. Der Flüchtling möchte den Filmausschnitt in einem Kino eines nächstgelegenen Dorfes unbedingt sehen, während sie die Rolle für ihre ganz eigenen Zwecke nutzen möchte. Es entwickelt sich ein Wettrennen zwischen ihnen, angetrieben durch ein humoristisches Wortgefecht aus Lügen und Enthüllungen, in dem sich ein bizarres Verhältnis zwischen den Protagonisten ihren Weg zum sagenumwobenen Film bahnt.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Angelegt als eine Hommage an den Film präsentiert Zhang Yimous Eine Sekunde das Wirkungsspektrum ebenjenes Mediums – insbesondere dessen Rezeption – in Zeiten der chinesischen Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976. Als Fallbeispiele präsentiert er neben der besonderen Ausgabe der Wochenschau Ausschnitte aus dem propagandistischen Streifen „Heroische Söhne und Töchter“ aus dem Jahr 1964 und fängt die Gesichter der Zuschauer aus der Vogelperspektive von vorne und aus den hinteren Reihen des Saals ein. Dieser Film läuft im Dorf nicht das erste Mal. Eher versteht das Publikum das Medium als ein Event und „Neujahrsfest“, das die Gemeinschaft zusammentrommelt. Sie haben die Botschaften und stolzen Strophen des Liedes aus dem Film verinnerlicht und singen sie mit Leidenschaft mit. Aber ist das noch Begeisterung oder wird der Zuschauer viel mehr eingelullt?

Der Filmvorführer mit seinem passenden Kosenamen „Kino-Onkel“, der auf sein Handwerk erpicht ist und keine Fehler macht, deutet beides an: Er stellt eine überbordende Faszination des Publikums fest und erzählt sinngemäß, dass sie jegliches Bewegmaterial verschlingen, das ihnen präsentiert wird und sie praktisch in eine Trance versetzt. Er weiß um die Wirkung des Mediums an sich und dieses Kriegsfilms, die sein hohes Ansehen innerhalb der Militäreinheiten prägen. Aus diesem Grund wartet er auf eine erneute Wiederholung der Wochenschau – auf die der Flüchtling (Yi Zhang, Cloudy Mountain) in drohender Manier besteht – sobald alle Menschen den Saal verlassen haben. Dies sind die Auswirkungen der repetitiven Präsentation eines nationalistisch-eingefärbten Widerstandes, der in Heroische Söhne und Töchter zu sehen ist. Ein aktuelles Äquivalent kann man in S. S. Rajamoulis „RRR“ und dem abschließenden Lied „Sholay“ beobachten. Ob das indische Publikum die Verse nach mehrmaligem Schauen im Kinosaal genauso herunterspulen kann, so wie es das chinesische Dorf mit ihrem Lied tut? Es würde jedenfalls nicht verwundern.

Das Waisenkind Liu (Liu Haocun, Cliff Walkers) scheint dem Propagandafilm ebenfalls offen zu sein, indem sie darin eine emotionale Komponente bezüglich ihres Vaters erkennt, den sie niemals kennengelernt hat. Am anderen Ende des Wirkungsspektrums sieht man den Flüchtling, der am Propagandawerk eher vorbeischaut und auf das titelgebende Zeitschnipsel mit seiner Tochter fixiert ist. Sein mit Tränen unterlaufenes Gesicht nach dem Sehen und seine relativ verklausulierte Kritik sprechen Bände: „Ein Mädchen sollte nicht mit Erwachsenen wetteifern.“ Denn seine Tochter muss im Alter von 14 Jahren bereits schwere Säcke tragen und scheint bei dieser kräftezehrenden Arbeit wohlgelaunt zu sein, was der Flüchtling den positiv inszenierten Nachrichten nicht abkaufen kann.

„Ein Liebesbrief an das Kino“, so beschreibt Zhang Yimou seinen Film Eine Sekunde. Dem kann man zustimmen: Die Wichtigkeit des Filmstreifens, die Behandlung, die Aufbereitung sowie das kurzfristige Erstellen einer Endlosschleife – kurzum die Leidenschaft und das Handwerk für dieses Medium werden in sorgfältigen Einstellungen schön eingefangen. Allerdings sieht man im Liebesbrief auch die Kraft des Propagandafilms, dessen Yimou sich bewusst scheint: Epische Bilder, geschickt eingewebte Emotionen und Patriotismus in Form von Widerstand, Mut und Zusammenhalt zeichnen sein Beispiel „Heroische Söhne und Töchter“ aus. Das alles in Zeiten der Kulturrevolution, in denen Mao Zedongs Porträt beginnt mindestens eine Wand des Restaurants im Dorf zu zieren und die Bewohner am Abend einen Kriegsfilm verfolgen. Kein Wunder also, dass da die chinesische Regierung gerne mitspielt… und an anderer Stelle wiederum nicht. Bei der vom Kino-Onkel angedeuteten Überfaszination der Zuschauer am Film und der abgekürzten Kritik des Flüchtlings an dem Mitwirken von Minderjährigen im Arbeitslager hat der Zensurdetektor Alarm geschlagen, damit man sich nicht weiter mit diesen Themen befassen soll. Aber genau diese beiden Dinge sind enorm interessant, gerade weil die Präsentation und Rezeption eines patriotischen Films den Erfolg des überdimensionalen Feuerwerks „RRR“ in ein anderes Licht rücken lässt und die Lebensbedingungen im Arbeitslager vor 50 Jahren sich vermutlich kaum unterscheidet von dem der Uiguren in der Region Xinjiang.

Abseits der geglückten Darstellung der Schicksale beider Protagonisten – auch wenn Lius Anliegen etwas speziell geraten ist – gibt es zwei Faktoren, die die Handlung wesentlich trüben: Die Beweggründe für den Ausbruch des Flüchtlings werden angerissen und ein absolut unnötiger Epilog wurde dem Film aufgezwungen. Die letzte Einstellung vor dem Zeitsprung wäre das passende, emotionale Ende gewesen, in dem ein Bild von der Tochter des Flüchtlings vom Sand der Wüste Gobi langsam überdeckt und anschließend abgeblendet wird – eine wunderbare Umschreibung der Kulturrevolution, dessen Urheber und sein Unternehmen über einzelne Schicksale hinwegfegt und die Erinnerungen des Flüchtlings begräbt. Wenn das chinesische Ministerium für Kultur und Tourismus nicht so besessen davon wäre, diesen Tribut der Kulturrevolution herunterzuspielen, wäre Eine Sekunde ein noch stärkerer, nachwirkender Einblick in eine Gesellschaft im Wandel der damaligen Zeit geworden.

Fazit

Geschickt veranschaulicht Zhang Yimou die Bedeutung von Filmmaterial und die Sogkraft eines Propagandastreifens vor dem Hintergrund der chinesischen Kulturrevolution und dessen Auswirkungen auf die familiären Schicksale seiner Protagonist:innen. Bedauerlicherweise fällt gerade wegen der historischen Veranlagung dieses Themenkomplexes „Eine Sekunde“ der staatlichen Zensurschere zum Opfer, wodurch Ansichten zur Kinderarbeit und Filmfaszination verkürzt werden und ein eigentlich starkes Ende durch einen überflüssigen Epilog verwaschen wird.

Kritik: Marco Focke

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