Wenn man in Deutschland ans amerikanische “Wrestling” (also ans Ringen) denkt, dann fällt einem bis auf enganliegende, knappe Trikots und schwitzende und grunzende Männer eigentlich wenig ein. Denn bei uns avancierte das Ringen nie zu so einer berühmten und gefeierten Sportart, wie im Amerika der 80er Jahre (was beim Gedanken an eine teils homophobe Gesellschaft dieser Zeit natürlich fast paradox scheint). Verfilmungen solcher Thematiken haben es in unserem nationalen Kontext also automatisch schwerer zu bestehen, da der emotionale und nostalgische Bezug zur der Sportart schlichweg nicht besteht. Probleme dieser Art hat man schon in “Moneyball - Die Kunst zu Gewinnen” (ebenfalls von Bennett Miller inszeniert) oder Ivan Reitmans “Draft Day” bemerkt. Doch sollte ein gutes Sportdrama nicht auch ganz unabhängig von seinem körperkultigen Bezug aufgrund einer aufwühlenden, interessanten Geschichte und tollen Charakteren begeistern können? Kann beides Hand in Hand gehen, so wie es letztes Jahr im Rennfahrerdrama “Rush” so wunderbar gelang? “Foxcatcher”, der neue Film von Regisseur Miller, gibt die Antwort: Ja, auch dieses Jahr gelingt dies wieder auf vorbildliche Art und Weise!
Dabei könnte man als Gegenargument sofort anführen, dass “Foxcatcher” eigentlich gar nicht so sehr ein echtes Sportdrama, als mehr ein Sportler-, also Charakterdrama, darstellt, welches weniger die Geschichte und die Prominenz des Ringens, als die menschliche und verzweifelte Suche nach öffentlicher und familiärer Anerkennung, als auch die Schwierigkeit des Verlustes und der Einsamkeit in den Mittelpunkt stellt. Der Sport bleibt natürlich trotzdem omnipräsent und stellt gar treibende Kraft für die charakterlichen Auseinandersetzungen des Films dar. “Foxcatcher” bewältigt aber das Kunststück seine Sportart zu keiner Zeit in ausschweifender und Fans vorbehaltener Manier auszukosten, seine Wichtigkeit aber auch nie zu vernachlässigen.
Bei einem solch gefeierten und für die Oscars heiß gehandelten Charakterdrama ist die große Frage natürlich immer erst: Machen die Schauspieler wirklich den Job, wie es überall angepriesen wird? Ja, das tun sie, aber darauf geht die Kritik etwas später ein. Tribut soll hier nämlich zu aller erst der eindringlichen Atmosphäre des Films gezollt werden. Kameramann Greig Fraser fängt die wenigen, aber wunderschönen Sets des Films mit einer ausgesprochenen Ruhe und akribischen Präzision überzeugend ein und verleiht dem Film so durch und durch eine sehr umfassende Magie. Zugleich überträgt der Film zwei zentrale, widerstrebende Stimmungen, löst diese aber absolut organisch auf: Denn “Foxcatcher” ist zugleich sehr persönlich, als auch unfassbar distanziert, was vor allem eine Konsequenz der Inszenierung ist. So fixiert sich die Kameraarbeit immer erstaunlich nah an den Gesichtern und der Mimik der Figuren und fängt die Emotionen auf sehr persönliche Weise ein, bleibt durch die kühle Betrachtung der Ereignisse und den ausschweifenden Landschaftsbildern aber auf interessante Art auch immer auf Distanz.
Diese sehr ambivalente und doch beeindruckende Vorgehensweise führt dabei auch zu “Foxcatchers” größtem Kritikpunkt: Denn wirklich mitreißend wird Millers Drama nur selten. Natürlich stechen aufgeladene, als auch packende Sequenzen immer wieder hervor, der kühlen Atmosphäre geschuldet schockieren diese Szenen aber nicht so, wie sie es bei einer dramatischeren Inszenierung vielleicht vermocht hätten. Als Beispiel sei Channing Tatums ("Jupiter Ascending") Figur des Mark Schultz genommen, dessen Zerrissenheit zwischen Bruderhass- und Liebe man zwar immer nachvollziehen und für den man demnach auch Mitleid empfinden kann, der aber selten echtes Mitgefühl nach sich zieht.
Toll gespielt bleibt der Film trotzdem. Tatum passt ausgesprochen gut in seine Rolle. Sowohl körperlich, als auch mimisch überzeugt er auf voller Linie, weil sein introvertierter Charakter selten wirklich emotional wird. Doch wenn er es tut, dann richtig. Und vor allem richtig gut! Übertrumpfend wirkt aber Mark Ruffalo ("Avengers - Age of Ultron"), der hier gar nicht mehr wiederzuerkennen ist und seinen Bruder Dave erstaunlich väterlich und zugleich robust spielt. Man könnte an seinem Charakter zwar bemängeln, dass er für den Plot oft zu positiv und fehlerlos dargestellt wird, vor allem seine animalische Körpersprache macht ihn aber trotzdem zu einer absolut glaubhaften Figur. Und dann ist da natürlich Steve Carell ("The Office"), der hier die mit Abstand schwierigste und interessanteste Rolle des Films übernommen hat. Carells Performance ist schlichtweg bravurös: Sein maskenhaftes Gesicht und seine vorsichtige und unsichere Körpersprache stellt der Komiker auf feine und doch absolut unberechenbare Weise dar. Du Pont wirkt geberisch, gar väterlich, bleibt dem Zuschauer aber dennoch immer auf merkwürdige Weise suspekt. Nur der Kampf nach der Anerkennung seiner Mutter mag nie so ganz überzeugen und ist selten als der große Schatten spürbar, den er darstellen soll. Das macht aber erstaunlich wenig. Unbestritten hat sich Carrell hier eine Oscarnominierung verdient: Unberechenbar, sonderbar und verletzt zählt sein John, auch wegen der Darstellung Carrells, zu den interessantesten Figuren des Jahres.
Apropos Oscars: “Foxcatcher” ist natürlich ein absoluter Oscarbait-film. Charakterbezogen und vor allem amerikanisch befasst sich der Film öfters mit Patriotismus, amerikanischen Werten und eben einem amerikanischen Populärsport. Das ist hier alles etwas schwer zu greifen, da “Foxcatcher” die Ansichten seiner Figuren realitätsbezogen selten hinterfragt. Realistisch wird das ganze dadurch auf jeden Fall, ein wenig mehr Klarheit (vor allem die Hintergründe der Charaktere betreffend) wäre aber dennoch zu wünschen gewesen. Realismus wird bei "Foxcatcher" also groß geschrieben, was durchaus keine schlechte Sache ist, den Zuschauer aber, wie schon erwähnt, etwas auf emotionaler Distanz hält. Ein wenig Vorwissen über die tatsächlichen Ereignisse wäre dementsprechend brauchbar, obwohl vermutlich jeder unbetuchte Kinobesucher sich nach dem Film ins Internet stürzen wird, um die Geschehnisse noch einmal für sich selbst zu rekonstruieren. Und dies weist nur erneut darauf hin, dass “Foxcatcher” eine starke und umfassende Faszination versprüht, die dazu noch von großartigem Schauspiel unterstrichen wird und den Zuschauer so, trotz ausschweifender 134 Minuten, immer bei der Stange halten mag.