Manchmal, da braucht es eben einen Mann, den niemand einen Held nennen würde, obwohl sich jeder darüber im Klaren ist, dass dieser Mann ein absoluter Held ist. Ein Mann, der vor allem eine Sache möchte: Sein Leben leben, ohne jemals ernsthaft mit dem Leben konfrontiert zu werden. Und wenn es dann doch einmal passiert; wenn diesem Mann, diesem Inbegriff eines Helden, den niemand einen Held nennen würde, das Leben unvorbereitet einen Schlag vor den Bug versetzt, dann tut er genau das, was er immer schon getan hat: Er lebt unter diesen Umständen einfach weiter. Der Dude (Jeff Bridges, Hell or High Water), bürgerlich Jeffrey Lebowski, ist ein solcher Mensch. Ohne Antrieb, frei von Ambitionen, arbeitslos, aber eben auch verdammt heldenhaft, eben weil er schlichtweg nichts anderes tut, als sein Leben zu leben.
Im Jahre 1998, als The Big Lebowski von Joel und Ethan Coen (No Country for Old Men) veröffentlicht wurde, wollte sich das Publikum noch nicht mit dem Dude beschäftigen, der Film floppte weitestgehend an den Kinoskassen und bekam zuvorderst wohlwollende Kritiken. Inzwischen sind wir jedoch an einem Punkt angekommen, an dem es eine dreiste Untertreibung wäre, The Big Lebowski nur als Kult zu bezeichnen. Es gibt längst mehrtätige Veranstaltungen, in denen sich die Menschen verkleiden, Shorts, Bademantel, Schlappen, und gemeinschaftlich in die Lichtspielhäuser der Vereinigten Staaten pilgern, um ihrem Idol, ihrem Vorbild, ihrem Gott, Ihrer Dudheit, die Ehre zu erweisen. Woher die Fasinzation für den Film und seinen Protagonisten rührt, liegt indes auf der Hand: Er ist nicht einfach nur sympathisch und auf dem Boden geblieben.
Es muss diese allumfassende, aber niemals ausgestellte Verweigerung an das Leben sein, sich in den Vordergrund zu spielen. Der Dude, dieses Kind der 68er-Bewegung, liebt die Freiheit, die ihm zwar keinen Luxus, aber innere Ausgeglichenheit besorgt. Seine Miete kann er schon eine Weile nicht mehr bezahlen, selbst für die Milch aus dem Supermarkt stellt er einen (ungedeckten) Scheck aus, sein Auto ist eine verrostete Schrottlaube, sein alltäglicher Rückhalt – wobei, als wenn er Dude dergleichen überhaupt benötigen würde – beläuft sich auf den ein oder anderen Joint sowie das ein oder andere Glas White Russian. Durch eine Verwechslung allerdings gerät der Dude in das Visier eine Gruppe Nihilisten, die nicht nur seinen Teppich, der die Wohnung erst gemütlich gemacht hat, verunreinigen, sondern auch über Umwege in ein Entführungsszenario einbinden.
Die junge und aufreizende Frau (Tara Reid, American Pie) des stadtbekannten Millionärs Jeffrey Lebowski (David Huddleston, Frantic), ein im Rollstuhl sitzender Wohltäter, nämlich wurde von Unbekannten entführt, und da es sich bei den Kidnappern vermutlich um die gleichen Typen handelt, die auch schon dem Dude zuvor einen unerfreulichen Besuch in seiner Wohnung abgestattet haben, soll dieser nun eine Lösegeldübergaben abwickeln, um die Entführer zu identifizieren. Und an diesem Punkt begrüßt The Big Lebowski seine Zuschauer zum Film noir, den die Gebrüder Coen hier natürlich keinesfalls reproduzieren, sondern ihm auf die bestmögliche Art und Weise Tribut zollen: Sie dekonstruieren ihn, indem sie das obligatorische Repertoire an Themen und Motiven dieser filmischen Strömung aufgreifen und im Laufe der Handlung respektive im Wust der Missverständnisse konsequent ad absurdum führen.
Zusammen mit seinen Bowlingpartnern, dem Vietnamveteran Walter Sobchak (John Goodman, Argo), der in dem Entführungsfall natürlich auch eine Verbindung zu Vietnam sieht und das Regelwerk der Bowlingbahn im Notfall auch mal mit der durchgeladenen Handfeuerwaffe unterstreicht, und dem begriffsstuzigen Donny (Steve Buscemi, Boardwalk Empire), gibt sich der Dude alle (Nicht-)Mühe, nicht auf Abwege zu kommen und seine persönlichen Lebensphilosophie zu verraten: Wie mit der Kugel auf der Bahn ist es eben so, dass man manchmal alle Pins abräumt und manchmal auch mal die Kugel in die Gasse schlägt. Und es tut gut, zu sehen, dass es Filmemacher wie die Coens gibt, die es vollkommen berechtigt als notwendig erachten, Geschichten über Menschen zu erzählen, die nichts geleistet haben und es deswegen wert sind, dass man über sie spricht.
Das brillante, bis ins kleine Detail liebevoll ausgefeilte Drehbuch stachelt den exzellenten Cast dabei zu Höchstleistungen an: Ob Jeff Bridges und John Goodman jemals besser waren? Schwer zu sagen, The Big Lebowski jedoch ist der Film, mit dem sie Ewigkeit überdauern werden. Nicht nur, weil sie vollends mit ihren Charakteren verschmelzen, sondern weil der Film, die Coens, diese Charaktere ernst nehmen, egal, wie töricht und ungehalten sie sich auch benehmen dürfen. The Big Lebowski ist ein Werk, das sich dem Moment hingibt, in diesen hineinlebt, ausufert, aber dennoch niemals plätschert, sondern ganz gezielt von A nach B schlendert. Es ist die Zurückweisung von Initiative, von Ehrgeiz, von Bemühungen, etwas zu vollbringen, was die Menschen in Erwartung stellen. The Big Lebowski ist ein Treueschwur an das Kino und eine Liebeserklärung an ein Leben, das dazu da ist, gelebt zu werden. Herzerwärmend.