Stilsicher, beklemmend und voller gesellschaftskritischer wie politischer Brisanz kam Jordan Peeles (Key and Peele) Überraschungserfolg Get Out 2017 aus dem Nichts geschossen. Mit seinem Regiedebüt jonglierte der als Comedian bekannte Amerikaner Horror, Thriller, Komödie und Satire so schwindelfrei, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Nebenbei machte er aus einer nur 4,5 Millionen Dollar teuren Blumhouse-Produktion einen weltweiten Hit mit einem Einspielergebnis von über 250 Millionen Dollar. Dementsprechend hoch war die Erwartungshaltung gegenüber dem Nachfolgewerk von Peele, der von vielen Kritikern bereits als eine der aufregendsten neuen Stimmen im gegenwärtigen Horror-Genre gefeiert wurde. Mit seinem neuen Film Wir zementiert der Regisseur diesen Status mit einer erneut schwer greifbaren Mischung aus Horror, Thriller, Komödie und sozialem Kommentar, die den Zuschauer immer wieder in eine bestimmte Richtung führt, um kurz darauf doch wieder einen völlig neuen Weg einzuschlagen.
Um seinen Cast auf die Atmosphäre von Wir einzustimmen, gab Peele seinen Schauspielern vor Beginn der Dreharbeiten zehn Filme, damit sich anschließend alle in der gleichen Stimmung befinden würden. Hierunter fielen Funny Games, Martyrs, Die Vögel, Shining, Schatten der Vergangenheit, The Sixth Sense, A Tale of Two Sisters, So Finster die Nacht, Der Babadook und It Follows. Alleine dieser cinephile Bezug quer durch die bisherige Genre-Historie an Horrorfilmen und Psychothrillern, die überwiegend stark auf ihre Charaktere fokussiert sind, verdeutlicht den Stil des Regisseurs. Schon in seinem überaus stimmungsvollen Auftakt, der eine dreiköpfige Familie 1986 am Strand von Santa Cruz entlang führt, kreiert Peele mithilfe wundervoller Bildkompositionen und einem unheilvollen Sound-Design den Eindruck eines Jahrmarkts, der voll von furchteinflößenden Attraktionen ist.
Schauriger Höhepunkt ist ein Spiegelkabinett, in das sich die kleine Tochter der Familie verirrt, bis sie zwischen all den Reflektionen einem realen Mädchen begegnet, das wiederum ihrem eigenen Spiegelbild entspricht. Reflektionen, Spiegelbilder und Doppelgänger unserer selbst sind weiterhin wiederkehrende Konstanten in Wir, der für die eigentliche Handlung in die Gegenwart zurückkehrt. Hier widmet sich Peele erneut einer Familie, die für einen entspannten Urlaub gemeinsam in ein idyllisches Strandhaus fährt. Es dauert nicht lange, bis sich erste beunruhigende Untertöne zwischen die vorherrschende Stimmung mischen, für die Peele seinen erstaunlich treffsicheren Wortwitz keineswegs aufgibt. Die große Sorge von Mutter Adelaide, mit ihrem Mann und den beiden Kindern einen Ausflug an den Strand zu unternehmen, kippt wenig später in einen puren Alptraum, sobald die Nacht eingebrochen ist.
Plötzlich steht nur sehr unscharf erkennbar in der Dunkelheit vor dem Strandhaus eine Gruppe von Menschen, die sich offenbar Zugang in die privaten Räume der Familie verschaffen will. Fortan werden die vier Protagonisten auf engstem Raum mit einem irrationalen, nur allzu vertrauten Schrecken konfrontiert, der ihr Gesicht trägt. Noch offensichtlicher als zuvor in Get Out orientiert sich Peele für Wir an klaren Horror-Stilrichtungen, wenn sich die Geschichte bedrohlich zwischen intimem Home-Invasion-Terror und blutigem Slasher auf weiter Spielwiese hin und her schlängelt. Mit der Unterstützung seines Kameramanns Mike Gioulakis, der unter anderem für die Bilder von It Follows und Glass verantwortlich ist, und einem für das Genre bemerkenswert aussdrucksstarkem Cast legt der Regisseur größeren Wert auf den langfristigen Klammergriff des Unbehagens anstelle von ständigen, kurzen Schocks.
Dass Peele einige Horror-Momente von Wir mit humorvollen Einschüben aufbricht, ohne den Film jemals in unpassend alberne oder allzu selbstironische Gefilde abdriften zu lassen, ist ein weiterer Kunstgriff des Regisseurs, der bereits in seinem erst zweiten Spielfilm eine klare Handschrift erkennen lässt. Mit dem fortschreitenden Verlauf der Handlung wird zudem klar, dass der Zuschauer mit Wir wie auch schon bei Get Out keineswegs nur einen simplen Horrorfilm zu sehen bekommt. War der Vorgänger noch eine mit den Mitteln des Genres ins Groteske verzerrte Parabel über eine moderne Form der Sklaverei, ist Wir in seiner Kernaussage weitaus universeller angelegt. Vielmehr richtet Peele seinen Blick diesmal auf eine Gesellschaft, die den anklagenden Zeigefinger am liebsten auf sich selbst richtet. Inmitten der zunehmend apokalyptischeren Zustände äußert einer der terrorisierenden Doppelgänger daher in einer Szene des Films konsequent den Satz: Wir sind Amerikaner.
Im Vergleich zu Get Out zeichnet sich hingegen auch in Wir ein erzählerisches Muster ab, durch das dem Regisseur diesmal kein vollständig geglückter Abschluss gelungen ist. Erneut neigt Peele dazu, seinem Publikum lieber einige Aspekte zu deutlich zu erklären, um seine sozialkritischen Aussagen zu untermauern, und raubt dem mysteriösen Horror dadurch viel von seiner Wirkung. Auch ein finaler Twist wirkt eher wie ein finales Zugeständnis an Horror-Konventionen, die den Zuschauer stets möglichst pessimistisch aus dem jeweiligen Werk entlassen sollen. Nichtsdestotrotz ist es selten geworden, dass ein moderner Regisseur innerhalb des Genres derartig groß denkt, was die Stilrichtungen und Ideen angeht. Auch wenn in Wir diesmal nicht alle aufgehen mögen.