6.1

MB-Kritik

Die Aussprache 2022

Drama

6.1

Rooney Mara
Judith Ivey
Emily Mitchell
Kate Hallett
Liv McNeil
Claire Foy
Sheila McCarthy
Jessie Buckley
Michelle McLeod
Kira Guloien
Shayla Brown
Frances McDormand
Vivien Endicott Douglas
Ben Whishaw
August Winter
Lochlan Ray Miller

Inhalt

‎Eine Gruppe von Frauen in einer isolierten religiösen Mennonitenkolonie in Bolivien, die darum kämpfen, ihren Glauben mit einer Reihe von sexuellen Übergriffen seitens der Männer der Kolonie in Einklang zu bringen.‎

Kritik

Mit seinem dramaturgischen Fokus auf gewichtigen Dialogen, der bühnenhaften Kulisse, dem überschaubaren Ensemble, der Beschränkung auf einen Hauptschauplatz und nicht zuletzt der stilisierten Inszenierung gleicht Sarah Polleys (Take this Waltz) philosophisches Figurenstück mehr der Adaption eines Theatertextes als der eines Romans. Noch weniger eines reale Begebenheiten aufarbeitenden wie Miriam Toews (Stellet licht) Buchvorlage, deren Authentizität noch verstärkt wird durch den biografischen Bezug der Autorin zur Mennoniten-Gemeinde. In einer solchen ultrakonservativen Kolonie entfaltet sich die Debatte der fast ausschließlich weiblichen Charaktere.

Was sie eint, ist weniger der Glaube als die Erfahrung sexueller Gewalt durch die Männer; eine konkrete Gruppe teils pädophiler Täter, die ihre Opfer mit Giftstoffen betäubt haben, im weiteren Sinne jedoch alle Männer der Kolonie, deren patriarchalische Strukturen die Verbrechen befördert und gedeckt haben. Nun arbeite das System erneut gegen die Opfer, die vergeben sollen - oder in der Hölle schmoren. Ihnen bleiben zwei Tage für eine Entscheidung, deren weitreichende Bedeutung sie ängstigt und verunsichert.

Während manche wie Ona (Rooney Mara, Loving Highsmith) und Agata (Judith Ivey, White Collar) die Gemeinde verlassen wollen, wollen andere wie Salome (Claire Foy, My Son) Rache oder alles totschweigen wie Janz (Frances McDormand, Macbeth). Die metaphorische Ebene der Situation ist so überdeutlich, dass deren Betonung durch die Regisseurin und Drehbuchautorin oftmals ins Plakative gleitet. Die beständig wiederholten Argumente nutzen sich genauso ab wie die ausgebleichte Southern-Gothic-Ästhetik. Deren subtile Atmosphäre des Pathologischen und Perversen wird mit den komplexeren Aspekten der Story unterdrückt.

Fazit

Düster, desillusioniert und dialogschwer, ist Sarah Polleys allegorische Adaption Miriam Toews gleichnamigen Romans zugleich fesselnd in seiner schauspielerischen Klarheit und frustrierend in seiner symbolischen Simplifizierung des tatsachenbasierten Szenarios. Die blutige Brutalität und moralistische Manipulation des doppeldeutig als solchen definierten „Akt weiblicher Einbildung“ verlieren sich in albtraumhaften Andeutungen. Eindrücklicher als die Debatte um das Hinausdenken über einen systematisch verengten Horizont sind die unausgesprochenen Zweifel am eigenen Glaubensgefängnis, deren Resonanz ein weiterer fantastischer Soundtrack Hildur Guðnadóttirs verstärkt.

Autor: Lida Bach
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