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Jahresrückblick 2025 - memorylab

siBBe

Von siBBe in Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2025

Jahresrückblick 2025 - memorylab Bildnachweis: © Columbia Pictures

TOP 10 FILME 2025

1. 28 Years Later
Danny Boyle hat mit seinem erneut furiosen Filmexperiment im Zombiefilm-Sequel sensationell den ersten Platz belegt. Das schafft der Brite mit einer für das Genre selten gesehenen Bandbreite an Emotionen. „28 Years Later“ geht unter anderem zwei spannenden Fragen auf den Grund. Gibt es noch Überreste an Menschlichkeit in den vom Wut-Virus infizierten Menschen auf der britischen Insel? Und wie wächst die Generation Alpha in Zeiten eines grassierenden Virus auf, übertragen auf das Hier und Jetzt zum Beispiel nach der Corona-Pandemie?

Boyle begleitet in dem größtenteils auf iPhones gedrehten Coming-of-Age-Abenteuer Alfie Williams, der als Spike ein hervorragendes Filmdebüt hinlegt. Drehbuchautor Alex Garland lotet währenddessen den Wert von Beziehungen sowie einen schmalen Grat der Empathie in dieser gespaltenen Welt aus. Young Fathers steuern dazu einen fabelhaften Soundtrack bei mit Pop und düsteren, an Massive Attack erinnernden Klängen. Nicht zuletzt ist „28 Years Later“ ein Film der Gesten, die den Schmerz in der Gemeinschaft teilen, die den Tod begleiten und für die Hinterbliebenen als Erinnerungspunkt dienen können – um loszulassen. „Memento Amoris“, bedenke du musst lieben – ein ergreifender Moment im Finale eines bittersüßen mutigen Horrorfilms.

2. Getty Abortions
Wie wird das Thema Abtreibung bebildert und wie stark beeinflussen sie unsere Sichtweise? Diesen Fragen geht Franzis Kabisch in ihrem exzellent aufbereiteten, als Desktopfilm verpackten Essay „Getty Abortions“ nach. Neben humoriger Medienkritik, unter anderem an die Zeitschrift Bravo, findet die Regisseurin die Schöpfer der Stockbilder heraus. In einer bewundernswerten Wendung entzieht Kabisch den Bildern ihre stigmatisierende Wirkung, indem sie den darauf abgebildeten Frauen – wahlweise in tieftrauriger Pose oder mit deprimierten Blick gen Fenster – über zusammengehörende Aufnahmen Leben einhaucht. Damit verleiht sie den Bildern eine positive repräsentative Kraft für Frauen, denen es völlig freistehen sollte, ein Baby auszutragen oder nicht.

3. In die Sonne schauen
In 155 Minuten kreiert Mascha Schillinski ein unheimliches bedrückendes Porträt vierer Frauen auf einem Hof in der Altmark. Vier Generationen präsentiert die Regisseurin und verzichtet dabei bewusst auf chronologisches Erzählen. Seelische Narben erlebter Traumata durchziehen das Gesamtbild der Frauen, die mit sich selbst und der Familie fremdeln und mit dem Tod liebäugeln. Ein Gefühl der Gleichzeitigkeit beim Zuschauen entsteht, während Schillinski die Zeit in den Räumen auflöst. Ständig wirkt der Hof wie ein finsterer Magnet durch ein vom Mann geführten unterdrückenden System. Das Sounddesign ist dabei bezeichnend: Wie eine auslaufende Nadel am Ende einer Schallplatte sind es Echos und eine verblassende individuelle Freiheit, die die Bilder aus „In die Sonne schauen“ transportieren.

4. Hollywoodgate
Einen journalistischen Teufelspakt ist der Filmemacher Ibrahim Nash’at mit den Taliban eingegangen. Für exklusiven Zugang zu den Überbleibseln im titelgebenden, nunmehr verlassenen US-Stützpunkt in Kabul erhält die Terrororganisation eine Möglichkeit, sich groß und stark zu inszenieren. Dagegen kann Nash’at die Gedankengänge und den Einfluss der Terroristen offenlegen, indem er ein Prinzip folgt: Mit der Kamera zeigen, was ist. „Hollywoodgate“ offenbart eine gefährliche Mischung aus Überforderung, Überheblichkeit und Machtbesessenheit. 

Auf dem ersten Blick zerstörtes militärisches Gerät der Amerikaner macht Nash’at zum Leitfaden. Als Ausmaß der Kontrolle sowie Überblick der extrem patriarchischen Kraft fängt die Kamera Kabul aus der Vogelperspektive ein – und das ausgerechnet aus einem Hubschrauber des US-Militärs, repariert von Terroristen. Ibrahim Nash’at hat mit „Hollywoodgate“ viel Mut bewiesen und damit eine nüchterne wie eindrückliche Investigativ-Doku gedreht.

5. Die Möllner Briefe
Der 23. November 1992 ist ein dunkles Datum in der Geschichte von Mölln: Zwei Brandanschläge verübten Neonazis auf Unterkünfte mit türkischstämmigen Familien. Drei Menschen, darunter zwei Kinder, verloren ihr Leben. Die Anteilnahme der Bürger:innen für die Türk:innen nach der scheußlichen Tat ist groß – doch kommt diese Solidarität erst 27 Jahre später beim Empfänger an. Martina Priessner geht diesen Briefen nach. Zum einen ist „Die Möllner Briefe“ ein emotionales Filmdokument des ausgedrückten Beileids und Beistands mit Stift und Papier. Zum anderen wird durch die verspätete Übermittlung der Nachrichten ein Totalversagen der Verwaltung deutlich.

Stadtarchivar und sogar der Bürgermeister Möllns vermitteln eine Distanz, fast eine Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern. Priessners präsentierte Verstöße der Verwaltung gegen das Briefgeheimnis sind der Gipfel einer mutmaßlich bewusst verschleppten Erinnerungskultur. Dass die schleswig-holsteinische Stadt an diesem Skandal noch lange zu knabbern haben wird, zeigt auch das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl, bei der Arnulf Fröhlich – AfD-Kandidat für Mölln und Teilnehmer eines Neonazi-Kongresses namens „Wahrheit macht frei“ im Jahr 1990 – die drittmeisten Erststimmen erhalten hat.

6. Festgehalten (Aferrado)
Bisweilen sind Animationsfilme von Geschmeidigkeit, feinsten Zeichnungen und Betonung auf Haptik geprägt. Der Filmemacher Esteban Azuela bricht jedoch mit den Sehgewohnheiten in diesem Genre. Er entführt die Zuschauer:innen in eine Welt voller fragmentierter 3D-Grafiken und macht sich dabei auch Glitches zu Nutze. Diese Pappmache-artige Welt verwebt Azuela geschickt mit der mentalen Abwärtsspirale seines Protagonisten: Ein mexikanischer Kfz-Mechatroniker und abseitiger Auftragskiller, der sich nunmehr von der Mafia loslösen möchte. „Aferrado“ gibt dem Auftragskiller-Genre einen neuen Spinn durch eine sehr gelungene Mischung aus zurückblickender Erzählung und visueller Instabilität.

7. Cover-Up
Es dauerte 20 Jahre, ehe US-Investigativjournalist Seymour Hersh Laura Poitras‘ Anfrage annimmt, einen Dokumentarfilm über seine Arbeit drehen zu wollen. „Cover-Up“ ist auf dem ersten Blick eine Revue über „Sy’s“ journalistisches Wirken, aber auch seinem Entgegenwirken einer „gewaltvollen Kultur“, die den Vereinigten Staaten von Amerika ihm zufolge innewohnt. Schwerste Verbrechen gegen die Menschheit beim Massaker von Mỹ Lai sowie herbeigeführte Regierungsstürze aufgrund eines korrumpierten US-Regierungsapparats belegen seine Auffassung. Insofern ist die von Netflix vertriebene Doku eine wichtige Geschichtslektion, die auch einen Anhaltspunkt für aktuelle Ablenkungsmanöver wie den gesuchten Konflikt mit Venezuela liefert. Ohne filmische Schnörkel präsentiert Poitras dazu gescannte Archivbilder mit trockener, aber nötiger klarer Härte.

8. Predator: Badlands
Dan Trachtenberg hat mit seinen jüngsten Beiträgen zur Predator-Reihe einen Hattrick gelandet. Nach „Prey“ ließ er im wuchtigen gebündelten Animations-Dreiteiler „Killer of Killers“ einen kurzen Einblick in die bislang unergründete Kultur der Yautja gewähren. In „Badlands“ folgt davon nun die geballte Ladung durch einen Perspektivwechsel. Über eine zunächst sonderbare, aber rasante Mischung aus Science Fiction, Action, schwarzem Humor und Buddy-Film ergründet Trachtenberg die Grenzen einer auf purer Überlegenheit basierenden Spezies und reißt das männliche Rollenbild ein.

Da ist es einfach nur ironisch, wie Kritiker:innen die Entkernung dieses Franchises ankreiden. „Das ist nicht mehr mein Predator“ heißt es da. Im Umkehrschluss: Ein Predator-Film beziehungsweise ein Mann hat so und so zu sein, wie lächerlich. Die „Disneyfizierung“ kann man durch das Stitch-artige Wesen monieren. Allerdings kann sich der Konzern glücklich schätzen, so einen Regisseur zu haben, der einer Filmreihe neue Impulse verliehen hat und, nicht so wie verkrampft wie Paul W.S. Anderson, mühelos die Alien-Reihe miteinbindet.

9. Wake Up Dead Man
Über eine Kirchengemeinde im Norden des US-Bundesstaats New York kommentiert der Regisseur im dritten Teil der Knives-Out-Reihe amüsant die Spaltung der Gesellschaft durch die auf YouTube hochgeladenen Hassreden des Priesters Monsignor Wicks auf seine ein- und ausgehenden Besucher:innen. Ein Mord lenkt die Aufmerksamkeit auf einen an Profit und Dienstleistung orientierten Frauenhass. Bei der Aufklärung des Falles treibt Johnson wieder seine Metagenre-Spielchen und lässt Josh O’Connor zur Höchstform auflaufen. Viel wichtiger und spannender ist aber der Kontrast im Wirken der Kirche – von Beistand und Vergebung auf der einen und Korruption und Manipulation auf der anderen Seite. Dazu mündet der durchgehend unterhaltsame Whodunnit in ein überraschend rührendes Finale.

10. Sorry, Baby
Hauptrolle, Drehbuch und Regiestuhl besetzt Eva Victor in ihrem erstaunlichen Erstlingsfilm „Sorry, Baby“. Umgeben ist der Streifen von Wärme und Behutsamkeit – und das trotz des schwerwiegenden sexuellen Missbrauchs, den Jungprofessorin Agnes, verkörpert von Victor, erlitten hat. Agnes erzählt die ihr widerfahrene Tat in all den grausamen Details gegenüber ihrer besten Freundin Lydie. Wichtig dabei ist, auf welche Art und Weise Agnes‘ Umfeld Empathie bekundet. „Watch your tonality“ wird zum zentralen Satz, mit dem Agnes‘ beste Freundin Lydie (Naomi Ackie) einen Arzt zurechtweist.

Auf dem ersten Blick erscheint „Sorry, Baby“ absolut unspektakulär. Die Kraft des Films steckt jedoch in dem visuell minimalen, aber mental maximalen Horror. Die innere Verwüstung schlägt sich verbal in Agnes‘ tragikomischen Coping Mechanism wider. So ist es ein Film der langsamen Heilung, der dankenswerterweise keine Kopf-Hoch-Mentalität vermittelt und durch seine einfühlsame Charakterstudie mit einer erstklassigen Leistung von Eva Victor besticht.

Nennenswerte Erwähnungen

Deaf President Now! von Nyle DiMarco und Davis Guggenheim
Apokalypse in den Tropen
 von Petra Costa
Predator: Killer of Killers von Dan Trachtenberg
Companion - Die perfekte Begleitung
 von Drew Hancock
Flow
 von Gints Zilbalodis


FLOP 5 ENTTÄUSCHENDSTE FILME 2025

1. Ein Minecraft Film
Die bisher größte Enttäuschung unter den Markenfilmen – ganz einfach deswegen, weil Warner Bros. sich mit Minecraft ein Spiel vorknöpft, das vom Einfallsreichtum und Leidenschaft der Community lebt. Dazu braucht man sich im Netz nur nach architektonischen Großprojekten umschauen – wodurch Außenstehende sogar einen Blick ins berüchtigte Berghain erhaschen konnten. Eine Würdigung errichteter Errungenschaften der Menschen kommt für eine Filmumsetzung gar nicht infrage, denken sich wohl Regisseur Jared Hess und gleich fünf Drehbuchautor:innen! Sämtliche Aspekte im Minecraft-Film sind darauf ausgelegt, Zielgruppen von Jung bis Alt zu erreichen. Jason Momoa und Jack Black hampeln durch die Gegend, Neugier flammt nie auf. Von filmischer Kreativität und Experimenten fehlt ebenfalls jede Spur. Ein Riesenpotenzial bleibt ungenutzt, was in einer Riesen-Enttäuschung für einen selbst, aber einem Riesen-Reibach fürs Produktionsstudio mündet.

2. Ne Zha 2
Der weltweit erfolgreichste Film des Jahres 2025 ist im Heimatland China, nach der Veröffentlichung zum dortigen Neujahr, ein moderner Straßenfeger geworden. Mehr als 2,1 Milliarden US-Dollar haben nur (!) die chinesischen Zuschauer:innen für Tickets hingeblättert, ein Wahnsinnsrekord. Kinogänger:innen möchte man mit einer Zusammenfassung auf den aktuellen Stand bringen – aber mit was für einer halsbrecherischen Erzählgeschwindigkeit bitte? Gleich zu Beginn ist man schon heillos überfordert, die Untertitel zu verfolgen, während mystische Fantasy-Action-Kämpfe unsere Sinne bombardieren und überwältigen sollen. Wenn Regisseur Jiao Zi auf die Bremse tritt und witzige Passagen einbaut, dann nutzt er Ekelhumor, der auch noch frauenverachtend daherkommt. In der chinesischen Mythologie ist die Geschichte verankert, der Film jedoch in westlicher Blödelei.

3. Mission: Impossible - The Final Reckoning
Im Vergleich zu „Dead Reckoning“ kommt dem vorerst letzten Teil der Mission: Impossible-Reihe jegliche Leichtigkeit ab. Die Action kommt zu kurz, die Stunts sind natürlich beeindruckend, aber der Witz ist völlig abwesend. Alles muss ernst sein. Die im Vorgänger angestoßene KI bekommt als Endgegner keine weitere Tiefe, auch nicht für aktuelle Fragen wie die Manipulation von Chatbots, um politische Ansichten durchzudrücken. Um dem digitalen Gegner den Garaus zu machen, müssen Christopher McQuarrie und Tom Cruise das Ausschalten unnötig verkomplizieren. Tom Cruise rennt ohne Ende, ackert ohne Ende und schafft alles am Ende – das sollte doch klar sein. Einfach und direkt, das wäre ein möglicher Schlüssel für einen unterhaltsameren Streifen gewesen.

4. Sirāt / Rave On
Zwei Filme, die wegen ihrer Techno-Soundtracks in einem Atemzug genannt werden können, wegen ihrer dürftigen Erzählrahmen aber auch müssen. In Oliver Laxes Film „Sirāt“ entwickelt sich eine Vermisstensuche zum Rave am gefühlten Ende der Welt. „Rave On“ nimmt sich einen von Schweiß und Rauch durchzogenen Schuppen in Berlin vor. Die Wendungen in „Sirāt“ sind zu radikal, der titelgebende dünne Pfad „zwischen Hölle und Paradies“ wird den unausgegorenen Zeichnungen der Charaktere nicht gerecht. Das Clubabenteuer in Berlin mit Aaron Altaras verkommt zum von Drogen befeuerten Touristentrip. In beiden Filmen wirkt die Rave-Kultur erzwungen, in „Rave On“ setzt man sich gar nicht kritisch mit ihr auseinander. Und das obwohl die Unesco sie zum Weltkulturerbe ernannt hat.

5. Fountain of Youth
Eins ist leider gewiss: Die einzig würdige Adaption des Abenteuer-Games Uncharted ist Allan Ungars viertelstündiger Fanfilm mit Nathan Fillion und Stephen Lang. Sony hingegen hat vor drei Jahren eine offizielle Filmadaption gegen die Wand gefahren dank eines katastrophalen Mark Wahlberg und der Dreikäsehoch-Version von Nathan Drake in Tom Holland. Vorfreude kam auf, als Apple „Fountain of Youth“ ankündigte. Denn John Krasinski muss ausgerechnet wie Hauptfigur Drake aus den Games gekleidet sein. Guy Ritchie liefert hier aber eine Fließband-Produktion eines Films, dessen Geschichte keine Eigendynamik entwickelt. Bemühte Witze, kaum Chemie zwischen Krasinski und Natalie Portman und öder als der abgeschaute Indiana Jones-Teil „Königreich des Kristallschädels“.

10 MOST WANTED FILME 2026

Toy Story 5
Silent Friend
Barrio Triste
Resurrection
The Dog Stars
Disclosure Day
Ghost Elephants
Dead Man's Wire
The Bride! - Es lebe die Braut
28 Years Later: The Bone Temple

MEIN SERIENJAHR 2025

Serien habe ich tatsächlich nur in der ersten Jahreshälfte geschaut. Netflix konnte mit gleich drei Serien punkten. Squid Game 2 ist ein gelungener Nachfolger mit Abstrichen (hier meine Kritik). Apple Cider Vinegar ist eine spannende wie schwarzhumorige Nacherzählung des Falls und Aufstiegs der betrügerischen Unternehmerin Belle Gibson. Die Australierin imitiert das Schicksal einer schwerkranken Wellness-Unternehmerin und nutzt ihre Reichweite, um alternative Medizin an krebskranke Patient:innen zu verkaufen. Serienschöpferin Samantha Strauss zieht die alternative Medizin herrlich durch den Kakao, während Kaitlyn Dever Gibson so gut spielt, dass man vor Wut platzen könnte. An Adolescence führte in diesem Jahr kein Weg vorbei, und das völlig zurecht. Weiterhin bot die zweite Staffel von Severance wieder einen tollen Mix aus Arbeitsplatz-Satire und den mysteriösen Machenschaften von Lumon.


FILMKLASSIKER, DIE ICH 2025 ERSTMALS GESEHEN HABE

Die zwölf Geschworenen Frankenstein (1931), Ghost in the Shell (1995)Jeanne Dielman, Koyaanisqatsi, Mulholland DriveUhrwerk Orange


BESONDERE ERWÄHNUNGEN

Der beste Soundtrack des Jahres: 28 Years Later von Young Fathers

Der Wow-Moment des Jahres: Die Plansequenz zu „I Lied To You“ im Club Juke in Blood & Sinners

Die besten Schauspielleistungen des Jahres (Nachnamen in alphabetischer Reihenfolge):
Owen Cooper
(Adolescence), Kaitlyn Dever (Apple Cider Vinegar), Erin Doherty (Adolescence), Stephen Graham (Adolescence), Hanna Heckt (In die Sonne schauen), Britt Lower (Severance, Staffel 2), Josh O'Connor (Wake Up Dead Man), Dimitrius Schuster-Koloamatangi (Predator: Badlands), Lena Urzendowsky (In die Sonne schauen), Eva Victor (Sorry, Baby), Alfie Williams (28 Years Later), Zoë Winters (Was ist Liebe Wert - Materialists)


KOMMENTAR: Sean Baker und der Coup der Saudis

In den fortlaufenden Bemühungen Saudi-Arabiens, das eigene Image reinzuwaschen, ist neben dem Sport nun auch die Kultur an der Reihe. In diesem Jahr ist der saudischen Regierung ein zweifacher Coup gelungen. Mit dem Riyadh Comedy Festival lockte man Standup-Comedy-Größen aus den USA wie Kevin Hart, Dave Chappelle, Bill Burr und Pete Davidson rüber in die Hauptstadt des Königreichs. Wenig überraschend wurden sie zu inhaltlichen Auflagen verpflichtet, wie Comedian Atsuko Okatsuka, die das wohl finanziell lohnende Angebot ausschlug, offenbarte.

Der zweite Coup geschah bei der fünften Ausgabe des Red Sea International Film Festivals. Diese Veranstaltung wird vom saudischen Kulturentwicklungsfonds gesponsert. Beim diesjährigen Jurypräsidenten haben sich die Organisator:innen nicht lumpen lassen und den vierfach frisch prämierten Oscar-Preisträger Sean Baker nach Dschidda geholt.

Sean Baker! Hoch geschätzt auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Karriere und dann solch eine Nebentätigkeit im Anschluss wahrnehmen? Diese „Side Gigs“ braucht er laut einem Interview mit dem Portal Deadline als „zusätzliches Einkommen“, denn er ist unabhängiger Filmemacher. In seiner Rede spricht Baker über die schnellwachsende Filmlandschaft in Saudi-Arabien. Rund 650 neue Leinwände sind in den vergangenen Jahren im Königreich hinzugekommen, während in den USA ein Kinosaal nach dem anderen verschwindet. Das lässt aufhorchen.

Aufhorchen sollte man eher bei der Tatsache, dass, ausgenommen vom IMAX-Kino in Khobar, das allererste reguläre Kino in Saudi-Arabien am 18. April 2018 in Riad eröffnet wurde! Zwei Monate später durften Frauen erstmals den Führerschein im Königreich machen und Auto fahren!

Seit diesen gewaltigen Veränderungen hatte die saudische Filmkommission, ebenfalls ein Sponsor des Festivals, bislang keine Zeit gehabt, Sean Bakers Werk zu sichten. „Starlet“, „Tangerine“, „The Florida Project“, „Red Rocket“ und „Anora“ – alles Filme, die noch nie Premiere in Saudi-Arabien gefeiert haben und, mal ehrlich, das erst am Sankt-Nimmerleins-Tag tun werden. Themen wie soziale Unterschicht und Sexarbeit sind absolute Red Flags für die Regierung.

Warum Baker das Kino nur in der Quantität hervorhebt, anstatt auch für die Wahrung der Kunstform einzutreten, ist unverständlich. Seine Tätigkeit beim Red Sea International Film Festival ist schlicht und ergreifend ein moralischer Ausverkauf und für die Festivalleitung reinster Namensschmuck. In die gleiche Kerbe schlägt auch Dakota Johnson bei einem Gespräch auf dem Festival: „In den Vereinigten Staaten sieht die Lage zurzeit ziemlich düster aus. Aber in den weniger als 24 Stunden, seitdem ich hier [in Saudi-Arabien] bin, glaube ich wieder ans Kino.“ Wer’s glaubt. Übrigens hat „50 Shades of Grey“ auch noch keine Premiere in Saudi-Arabien gefeiert.

Die Karriere von Sean Baker erhält nach der gekrönten Oscarverleihung jedenfalls einen ersten Knick. Wer sich einen unabhängigen Filmemacher schimpft, sollte darüber nachdenken, ob es richtig ist, ein Land zu besuchen, dessen Kronprinz im starken Verdacht steht, den Mord an Journalist Jamal Khashoggi beauftragt zu haben. Überhaupt hat sich die Leitung bislang scheinbar keinen Deut für Bakers Filme interessiert. Sonst hätte sie auch eine Retrospektive ins Programm miteinbinden können. Baker täte gut, mal innezuhalten, warum er bislang eine Zusammenarbeit mit den Major-Filmstudios in Hollywood gescheut hat.

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